Tote kennen keine Gnade
- Heyne
- Erschienen: Januar 1990
- 4
- New York: Dutton, 1989, Titel: 'The Killing Man', Seiten: 228, Originalsprache
- München: Heyne, 1990, Titel: 'Ich, der Rächer', Seiten: 250, Übersetzt: Walter Ahlers
- Hamburg: Rotbuch, 2001, Seiten: 250, Übersetzt: Lisa Kuppler
Mike Hammer, Privatdetektiv in New York, hat es eilig. In seinem Büro wartet ein neuer Klient. Er weiß nichts von ihm und wird Tony DiCica auch nicht mehr befragen können, denn als er eintrifft, findet er zunächst seine Assistentin und Geliebte Velda mit fast eingeschlagenem Schädel vor. Hinter Hammers Schreibtisch sitzt festgebunden auf seinem Stuhl besagter DiCica mit durchschnittener Kehle; die toten Augen starren auf die eigenen Fingerspitzen, die der Mörder abgeschnitten und fein säuberlich auf der Schreibunterlage aufgereiht hat. Dazu gibtßs eine kryptische Botschaft: "Du stirbst, weil du mich getötet hast - Penta".
Wer ist Penta? Hammer hat keine Ahnung. In seiner wild bewegten Laufbahn ist er nie mit jemandem dieses Namens zusammengestoßen. Dummerweise will ihm das niemand glauben. Die Polizei - hier vertreten durch Hammers alten Kumpel Pat Chambers - genauso wenig wie das FBI, die CIA oder die eiskalte, ehrgeizige Bezirksstaatsanwältin Candace Amory. Sie alle drängen Hammer, über Penta auszupacken, von dem sie allerdings heimlich sehr viel mehr zu wissen scheinen als ihr Verdächtiger.
Brenzlig wird es für Hammer, als ihn Gangster entführen, mit Wahrheitsserum vollpumpen und ebenfalls über Penta befragen. Dies ist der Tropfen, der das ohnehin flache Fass der Hammerschen Toleranz erst zum Überlaufen und dann zum Kochen bringt. Ohnehin mehren sich die Anzeichen dafür, dass es tatsächlich "Spezialisten" vom Außenministerium waren, die den Detektiv in die Mangel nahmen.
Dann beginnt sich auch noch Mafia für das Penta-Geheimnis zu interessieren. Wie kann Hammer beweisen, dass er nichts weiß, wie seine Haut retten und gleichzeitig Rache nehmen für den Anschlag auf die geliebte Velda? Er findet seinen Weg, der ihn in die Albtraumwelt diverser Verschwörungen, des organisierten Verbrechens und des internationalen Terrorismus führt ...
Schon immer hat es "Privatdetektiv" Mike Hammer selten in der seinem Berufsstand eigentlich zugewiesenen Nische gehalten. Irgendwie geriet er stets in Übeltaten, die ganze Nationen ins Chaos stürzen konnten, in Gangsterkriege und in Machtübernahmeversuche des organisierten Verbrechens. Dem einsamen, harten aber redlichen Mann aus den dunklen Straßen von New York blieb es dann überlassen, mit eiserner Faust dem Recht zum (blutigen) Sieg zu verhelfen.
Mit der Realität hatte es Hammers Schöpfervater Mickey Spillane dabei nie. Auch den Plot von "Tote kennen keine Gnade" unterzieht man besser keiner strengen Musterung. Selbst der politische Laie weiß, dass Terroristen US-amerikanische Vizepräsidenten in Serie abschießen könnten, ohne dadurch mehr als Verwunderung oder Hohngelächter hervorzurufen - so übernimmt man die Macht im Staate jedenfalls nicht!
Auch Spillanes Vorstellungen vom Organisationsgrad der Mafia, aber auch vom Funktionieren der Polizei- und Justizbehörden oder der Geheimdienste sind - vorsichtig ausgedrückt - sehr subjektiv. Darauf kommt er freilich auch gar nicht an: Mike Hammer-Thriller sind Krimi-Science Fiction; sie spielen in einer Welt, die der unseren zwar gleicht, aber nicht deckungsgleich mit ihr ist. Primär geht es in Spillanes Kosmos um Schlägereien, Schusswechsel und triebhaften Sex.
Die Befriedigung der sogenannten "niederen Instinkte" funktioniert auch vierzig Jahre nach Hammers Debüt, wenn auch nicht mehr so prompt wie einst: 1989 gehören Brutalität und Menschenverachtung längst zum normalen Unterhaltungsgeschäft. Deshalb wirken Hammers Gewaltausbrüche, vor allem aber seine Breitwand-Macho-Allüren oft eher unfreiwillig komisch als schockierend.
Altmodisch ist er geworden, sogar nostalgisch. Gemächlich geht es bei aller Gewalt voran mit dem Penta-Fall. Von Hightech-Verbrechen keine Spur; wie in den 1940ern sind schmuddlige Autowerkstätten oder einsame Hütten in der Nacht die Schauplätze. Auch New York wurden die 90er Jahre nur notdürftig übergestülpt. Spillane nimmt sich Zeit, erstaunt mit stimmungsvollen (wenn auch leicht mechanischen) Schilderungen moderner Großstadt-Tristesse und bemüht sich sogar um eine richtige Geschichte, statt nur Knalleffekt an Knalleffekt zu reihen.
Da ist er also wieder - und wie! Niemand hatte im Jahre 1989 noch mit Mike Hammer gerechnet. Immerhin waren 18 Jahre vergangen, seit er sich mit dem (nicht gerade gelungenen) Krawall-Krimi "Survival ... Zero!" von seinen zahllosen Fans verabschiedet hatte.
Nun macht "Tote kennen keine Gnade" das Dutzend voll. Bange fragt sich der Leser, ob der alte Feuerfresser womöglich altersmilde geworden ist. Keine Sorge, sobald sich die Welt gegen die "lex Hammer" vergeht, tanzen sogleich wieder die bekannten feuerroten Blutrausch-Nebel vor seinen Augen. Hammer will nicht unbedingt den Fall klären, sondern primär jene austilgen, die seine Velda niederschlugen und ihm den Tag versauten.
Freudig heißt er dabei so viele Gegner wie möglich willkommen. Korrupte oder auch nur geheimniskrämerische Schreibtischhengste verdrischt er genauso gern wie Mafiapack und anderes Gesindel. Diplomatie ist ein Fremdwort für Hammer, Drohungen fruchten bei ihm überhaupt nicht. Man kann ihm höchstens den Weg ein wenig ebnen, damit er nicht gar zu viele Passanten niedermacht. Freund Pat hat das längst begriffen und praktiziert diese einfache Regel mit einigem Erfolg. Insgeheim denkt er ähnlich wie Hammer und profitiert gern von dessen Freiheit von der Dienstvorschrift.
Frauen bekommen in Mike Hammers Welt auch um 1990 nur Statistenrollen. Velda wird angebetet und blutig gerächt (aber bedenkenlos betrogen, wenn sich die Gelegenheit ergibt). Ansonsten gibt es nur Zicken und Huren, die mit viriler Männlichkeit auf Hammers Kurs gebracht oder umgebracht werden. Da ist es klar, dass der Eisberg Candace Amory bald schmelzen oder zu Würfeln verarbeitet wird.
Ansonsten hetzt Hammer manchmal wie sein eigenes Gespenst durch New York. Er müsste inzwischen um die 80 Jahre alt sein, was natürlich schlecht zur Rolle passt. Deshalb alterte Hammer nach "Survival ... Zero" nicht mehr. Spillane macht daraus auch keinen Hehl und treibt manchen Scherz über den Anachronismus, zu dem Mike Hammer geworden ist. Er hängt an seiner hoffnungslos veralteten .45er, kennt Computer nur vom Hörensagen und Handys (jawohl, die gab´s 1989 schon; ich habe es nachgeprüft) gar nicht. Schnüfflerarbeit ist halt Fußarbeit.
Penta ist als Serienkiller für den Leser keine Offenbarung. 1988 war Hannibal Lecter auf der Bildfläche erschienen und hatte sogleich das Thrillergenre auf seine Weise revolutioniert. Der fixe Spillane hatte niemals Probleme damit, sich einen Trend zunutze zu machen. Wie es typisch ist für ihn, streicht er die morbide-faszinierenden Elemente der modernen Kultfigur "Serienmörder", vergröbert sie und hebt ihre blutig-brutalen Züge hervor. Für Spillane haben Psychopathen nichts Anziehendes. Sie sind für ihn Abschaum, der ausgerottet werden muss. Dass er dafür eine andere Art von Psychopath von der Kette lässt, könnte seinem boshaften Humor geschuldet sein. Wo gehobelt wird, fallen Späne, und so muss schon einer wie Hammer das Werkzeug gegen die Pentas dieser Welt führen.
Mickey Spillane, Heyne
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