Inspektor Ali im Trinity College
- Unionsverlag
- Erschienen: Januar 1998
- 5
- Paris: Denoël, 1996, Titel: 'L´Inspecteur Ali á Trinity College', Seiten: 142, Originalsprache
- Zürich: Unionsverlag, 1998, Seiten: 154, Übersetzt: Regina Keil
- Zürich: Unionsverlag, 2002, Seiten: 118
I'm just a gigolo
Irgendein Schlafzimmer, ein Mann, eine Frau, ein Telefon, kurz vor dem Aufwachen. Sein Chef ruft an, sie hat jedoch den leichteren Schlaf und nimmt den Hörer von der Gabel. Es ist dringend, also weckt sie ihn. Aber kaum haben beiden den Halbschlaf überwunden, überkommt sie die Lust. Hemmungsloser Sex. Erst eine Viertelstunde später nimmt der Mann den Hörer ans Ohr. Sein Chef hat alles mit angehört.
Der Mann, von dem die Rede ist, ist Inspektor Ali, Held aus bislang drei Romanen des Marokkaners Driss Chraibi. Und was ist das für ein Mann. Einer der interessantesten Kriminalcharaktere, der mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen ist. Inspektor Ali versteht es, Beruf und die angenehmen Seiten des Lebens zu vereinen. Er ist ein Frauenheld. Wo immer er einer attraktiven Frau über den Weg läuft, kann er nicht anders, als sie mit Komplimenten überschütten. Er ist ein Romantiker und Poet. Wie gerne würde er seine Arbeit bei der Polizei aufgeben und Gedichte schreiben. Bis dahin muss er sich in Geduld über und einstweilen seine Gegenüber damit verblüffen, Gedichte alter Meister zu rezitieren. Er ist ein Faulpelz. Anstatt rund um die Uhr zu arbeiten, kann er sich viel lieber mit seiner Frau vergnügen. Er ist ein Bauernrüpel. Sein Verhalten ist provozierend und ungesittet. Ihm rutscht allzu gerne mal das ein oder andere unflätige Wort über die Lippen. Und letztlich ist er ein gnadenloses Schlitzohr, das Hintergründe erkennt und all seine zuvor beschriebenen Eigenarten einzusetzen weiß, um die wahren Täter zu überführen.
Seinen Auftrag im altehrwürdigen Trinity College in England verdankt er dem plötzlichen Ableben der marokkanischen Prinzessin Yasmina. Ihr Leibwächter wird des Mordes verdächtigt, aber er scheint ein wasserdichtes Alibi zu haben. Ali reist nach London, aber bevor er von London ins Trinity College aufbricht, verbringt er in einem Luxushotel fünf angenehme Tage mit seiner jungen Gattin. Dann führt er auf aggressivste Art Gespräche mit der Polizei vor Ort, die bereits sehnsüchtigst auf ihn wartet und lockt schließlich die Verdächtigen mit unorthodoxen Methoden aus der Reserve.
Ali tut alles, um unterschätzt zu werden. Zu arrogant und überheblich sind die Menschen des europäischen Kulturkreises einem nordafrikanischen Bauerntölpel gegenüber, der sich partout nicht mit Tischsitten und Anstandsregeln anfreunden will. Wie soll so einer den Mord an der Prinzessin klären. Dabei vermutet keiner, dass Ali eigentlich schon ganz im klaren über den wahren Täter ist und dass er auch schon weiß, wie er ihn überführen wird. Und wie er ihn aus der verweichlichten und viel zu demokratischen Rechtsprechung des europäischen Kulturkreises heraus schleust.
Mit gerade einmal 110 Seiten ist "Inspektor Ali im Trinity College" ein sehr kurzes Romänchen, das einem aber einen kurzweiligen sonnigen Sommernachmittag bereiten kann. Locker in einem Schwung zu lesen. Über Ali kann man immer wieder den Kopf schütteln, eine schillernd faszinierende Figur. In seiner Logik einem Sherlock Holmes mindestens ebenbürtig und in der Auflösung dieses Falles vielleicht sogar eine Spur genialer. Ein herrlich kurzweiliger Krimi, der zudem Unterschiede in Kultur und Justiz mit mahnender Geste aufzeigt.
Driss Chraibi, Unionsverlag
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