Auf der Jagd
- Ars vivendi
- Erschienen: Januar 2017
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- New York: W. W. Norton & Co., 2014, Titel: 'Dry bones in the valley', Seiten: 284, Originalsprache
- Cadolzburg: Ars vivendi, 2017, Seiten: 287, Übersetzt: Gottfried Röckelein
Eindringlicher, preisgekrönter Debütroman
Ex-Soldat Henry Farrell sehnt sich nach dem Tod seiner Frau Polly nach Ruhe und Einsamkeit. Der Job als Gemeindepolizist in Wild Thyme, einem verschlafenem Kaff in Holebrook County/Pennsylvania, kommt da wie gerufen, zumal er hier im früheren Haus seiner Eltern leben kann. Häusliche Gewalt, Einbrüche und Drogendelikte bestimmen seinen Alltag, und daher ist er zunächst nicht überrascht, als Danny Stiobhard einen Streifschuss aus einer Schrotflinte abbekommen hat.
Die Stiobhards sind in der Gegend so bekannt wie gefürchtet, und offensichtlich hat sich Danny zu nahe an das Grundstück des leicht dementen Aub Dunigan herangewagt. Doch als Farrell den alten Aub zu dem Vorfall befragen will, weist dieser jegliche Schuld am Tod des Jungen von sich. Farrell ist zunächst irritiert, macht sich dann aber auf den Weg und entdeckt in den angrenzenden Wäldern die Leiche eines Mannes, teils verdeckt von einem Schieferbrocken, die offenbar das einsetzende Tauwetter freigegeben hat.
"Sie steckt nicht in Schwierigkeiten. Na klar! Was wissen denn Sie schon? Sie ist da draußen mit diesen Hillbillys unterwegs, nimmt Crystal und ... und treibt sich herum. Ihre Mutter und ich haben alles versucht. Was immer sie dort draußen hält, es ist stärker als wir. Sie ist schon seit einiger Zeit volljährig, aber erwachsen ist sie noch nicht. Und ihr von der Polizei? Wofür zahlen wir eigentlich Steuern - für die ganze Kacke, die hier oben abgeht?"
Gemeinsam mit Sheriff Nicholas Dally versucht Farrell zunächst, die Identität des geheimnisvollen Opfers zu klären. Als Farrell nur wenig später auf einem abgelegenen Schrottplatz die Leiche seines erschossenen Deputy George Ellis findet, gewinnt der Fall eine persönliche Note und Farrell begibt sich auf die Jagd. Erste Spuren führen zu einem großen Fracking-Unternehmen und versteckten Cystal-Meth-Küchen, derweil verschwindet der verdächtige Danny Stiobhard in der Wildnis...
Die einsame Wildnis Amerikas in all ihren Facetten
"Auf der Jagd", der Titel suggeriert es ein bisschen, ist ein ruhiger Kriminalroman, der sich neben seinem eigentlichen Plot ausgiebig mit der Landschaft Pennsylvanias, der Schönheit und Einsamkeit der Natur, aber auch mit den dort lebenden Menschen beschäftigt. Ausgezeichnet mit dem Edgar Award als bester Debütroman überzeugt das Buch gleich auf mehreren Ebenen.
Die raue, weite und atemberaubende Landschaft, die allerdings auch über große Erdgasvorkommen verfügt, was ein großes Fracking-Unternehmen auf den Plan ruft. Sehr zum Missfallen von Farrell, was persönliche Gründe hat, die mit dem Tod seiner geliebten Polly zusammenhängen. Die Arbeit der Firma und die damit einhergehenden Schäden für die Umwelt werden ebenso ausführlich beschrieben wie die bis dahin intakte Natur und Tierwelt.
Ebenso interessant sind die Menschen der Gegend. Viele leben in herunter gekommenen Häusern und Trailern oder in versteckten Drogenküchen im Wald. In Wild Thyme leben zu meist die, die zu kurz gekommen sind, jene, die die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren drohen oder schon verloren haben. Kriminalität, Drogen und immer wieder Gewalt gehören zum Alltag.
Hier, mitten im Nirgendwo, lassen sich nicht nur die Stiobhards nichts sagen. Wer nicht genug zu essen hat, geht einfach in den Wald. Jeder der auf sich hält besitzt einen gut gefüllten Waffenschrank. Das uramerikanische "stay your ground", sozusagen der Auslöser am Anfang dieser Geschichte, wird hier gelebt. Man löst seine Probleme noch selber, Gewaltexzesse inklusive.
"Arme Leute sind heutzutage nicht mehr dünn wie in meiner Kindheit; jetzt sind sie dick vom minderwertigen Essen, mit dem der Geist des amerikanischen Traums gefüttert wird."
Die white trash people, der Bodensatz der Gesellschaft, bestimmen nicht selten das Geschehen, die chronisch unterbesetzte Polizei kann da kaum einwirken, zumal der neue Verwaltungsdirektor Milgraham ohnehin wenig angetan ist von Farrell. Wozu die begrenzten Steuergelder für einen Polizisten verschwenden? Im Zweifel helfen Sheriff Dally aus dem County oder die State Trooper. Doch es ist Farrell, dessen arg in Mitleidenschaft gezogene Figur grandios gezeichnet ist, der die Gegend und vor allem die Menschen dort kennt.
Tom Bouman ist ein intensiver Plot gelungen, der sich nicht nur auf die rein kriminelle Handlung reduziert, sondern einen packenden Einblick in einen Teil der amerikanischen Mittel- und Unterschicht wirft. So leben Menschen, die sich abgehängt fühlen und sich in ihren eigenen Mikrokosmos und dessen selbst bestimmte Regeln zurückziehen. Ein perfekter Nährboden für bestimmte politische Strömungen.
Tom Bouman, Ars vivendi
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