Perry Mason und die amouröse Tante
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1964
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- New York: Morro, 1963, Titel: 'The Case of the Amourous Aunt', Seiten: 271, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1964, Seiten: 158, Übersetzt: Renate Weigl
- Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1975, Seiten: 158, Übersetzt: Renate Weigl
- Bern; München; Wien: Scherz, 1990, Seiten: 158, Übersetzt: Renate Weigl
- Bern; München; Wien: Scherz, 1998, Seiten: 158, Übersetzt: Renate Weigl
Routinierter Justizthriller vom Altmeister des Genres
Eine liebeshungrige Tante brennt mit einem Heiratsschwindler durch. Die besorgte Nichte beauftragt den berühmten Rechtsanwalt Perry Mason mit der Rettung. Doch die Verfolgung zeitigt ein unerwartetes Ergebnis: Der Bösewicht wird an der mexikanischen Grenze vergiftet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Als Mörderin wird festgehalten: die unglückliche Tante. Auftritt Mason, der das Anklagegespinst mit mit gewohnter Genialität zerreißt und das Rätsel löst ... - Perry Mason-Krimi Nr. 69; die Leser erwartet das Gewohnte & Gewünschte, nämlich ein routiniert geplottetes Mordrätsel, das den Anwalt als Rächer der Entrechteten zeigt, welcher die Ermittlungsarbeit der voreiligen Polizei leistet, vorwitzige Kollegen in großer Gerichtsschlacht bloßstellt und auch sonst keinen juristischen Trick auslässt, die selbstverständlich unschuldige Klientin frei zu boxen.
Spät erblüht ist leicht betrogen
Lorraine Elmore ist 47 Jahre alt, leicht vermögend und sollte es eigentlich besser wissen. Doch noch plagen sie die Hormone, Ms. Elmore ist einsam und wünscht sich einen Lebensgefährten. Auftritt Montrose Dewitt, der zwar nur ein Auge hat, aber Lorraine doppelt aufmerksam mit dem beglückt, das sie vermisst: Aufmerksamkeit und die Verheißung einer raschen Ehe. Ein paar finanzielle Schwierigkeiten muss der Galan bis dahin noch bewältigen. Das ist der Moment, als Linda Calhoun, Lorraines überaus vernünftige Nicht, Verdacht schöpft. Sie hält Dewitt für einen Heiratsschwindler, der Tantchens kleines Vermögen an sich zu bringen gedenkt, und womöglich für einen Blaubart, der sein Opfer nach vollendeter Tat irgendwo zu Tode bringt. Leider lacht die Polizei ihr ins Gesicht - Lorraine ist volljährig, Dewitt nicht aktenkundig. Unterstützung erfährt Linda nur durch ihren Verlobten, den Medizinstudenten George Latty, dem ihre Arbeit sein Studium ermöglicht.
Ratlos hören Linda und George vom berühmten Anwalt Perry Mason, der sich juristisch derer annimmt, die durch die Lücken des Gesetzes fallen. Mason hört sich ihre Geschichte an, nimmt sie jedoch zunächst nicht ernst. Das rächt sich, als Lorraine und Dewitt Los Angeles (bisher Ort des Geschehens) mit unbekanntem Ziel verlassen. Hat der Schurke sein ahnungsloses Opfer bereits umgarnt und will es jetzt irgendwo in den großen Vereinigten Staaten verschwinden lassen.
Der Lump ist tot, lang lebe die Mörderin?
Mason setzt Paul Drake, einen fähigen Privatdetektiv, auf die Sache an. Drake spürt die Flüchtigen in einer kleinen Grenzstadt an der Grenze zu Mexiko auf. Dorthin begibt sich Mason. Er trifft gerade rechtzeitig ein um mitzuerleben, wie Lorraine Elmore quasi über der Leiche von Montrose Dewitt entdeckt wird, dessen schmachvoller Karriere die Überdosis eines Beruhigungsmittels aus ihrer Handtasche jäh ein Ende setzte. Lorraine wird verhaftet, obwohl sie ihre Unschuld beteuert. Jetzt ist es an Perry Mason, dies trotz der gegen seine Klientin sprechenden Indizien auch zu beweisen, was er mit einem reichen Vorrat juristischer Tricks unverdrossen angeht ...
Der exotische Alltag des Rechtsanwalts Mason
82 Fälle löste Perry Mason zwischen 1933 und 1973. Zuverlässig ließ ihn Erle Stanley Gardner, sein geistiger Vater, zweimal jährlich auftauchen. Daneben schrieb der überaus fleißige Verfasser weitere Romane und Kurzgeschichten. Ein quantitativ reiches Werk war das Ergebnis, für das sein Schöpfer freilich qualitativ gewisse Abstriche machen musste, zumal Gardner - man glaubt es kaum - nicht hauptberuflich Schriftsteller war, sondern als Mann des Gesetzes beruflich aktiv blieb. Da blieb nicht gerade viel Zeit zum Austüfteln ausgeklügelter Kriminalromane. Glück für Gardner, dass dies auch gar nicht nötig war. Er hatte das Glück, auf eine Goldader zu stoßen: Gerichtsdramen sind seit jeher sehr beliebt im Unterhaltungssektor. Gardner verfügte über Hintergrundwissen und schriftstellerisches Talent - und er war ein Pionier, ein früher Grisham, wenn man so will.
"Perry Mason und die amouröse Tante basiert bei kritischer Betrachtung auf einem wenig originellen, vielleicht sogar kümmerlichen Plot. Auf den kommt es freilich nicht unbedingt an. Die Leser - meist Mason-Fans - wollen vor allem erfahren, wie ihr Held dieses Mal seine Gegner aus dem Feld schlägt und den Fall löst - in dieser Reihenfolge. Die Story entbehrt jeglichen Realitätsbezugs: Ein viel beschäftigter Anwalt lässt alles stehen und liegen, um einem Fall simplen Heiratsschwindels quer über einen ganzen Kontinent zu folgen! Die Spannung entsteht daraus, wie Perry Mason die strenge Justiz mit ihren eigenen Mitteln schlägt und dabei letztlich doch ihrem Recht verhilft. Er tritt dabei sehr sicher auf, und der Leser glaubt ihm, ein Verdienst Gardners, der seine Geschichten zumindest in juristischer Hinsicht sorgfältig entwarf.
Was wichtig ist, da Perry Mason Anno 1963 eigentlich in einer anachronistischen Welt wirkt. PM-Romane sind die "Whodunits der 1930er Jahre geblieben. Die Technik mag fortschrittlicher geworden sein, die Figurenzeichnung ist es ganz gewiss nicht! Dass sich der Globus oft gedreht hat, blieb in Masons Kanzlei offensichtlich weitgehend unbemerkt. Auch hier gilt: Der Leser erwartete von einer PM-Story ganz gewiss kein Spiegelbild der Realität, sondern die Variation des Bekannten. Allerdings wird wohl sogar der Langmut des notorischen Mason-Fans durch "PM und die amouröse Tante auf die Probe gestellt: Dies ist kein Höhepunkt der beliebten Serie; der war 1963 bereits sichtbar überschritten, auch wenn Mason noch zehn weitere Jahre neue (bzw. eben alte oder altmodische) Fälle löste.
Der wahre Rächer der Enterbten
Perry Mason ist und bleibt der klassische Anwalt der Entrechteten (bzw. Rächer der Enterbten). Man kann ihn nur bewundern: Er arbeitet rund um die Uhr für das Gesetz und diejenigen, die durch seine Mühlen bedroht werden. Trotzdem nimmt er sich stets die Zeit, sich auch denen zu widmen, die ihn unangemeldet aufsuchen.
Dieses Mal dauert es ein bisschen, bis ihm die Dringlichkeit des Anliegens deutlich wird, das Linda Calhoun und George Latty an ihn richten. Als es ihm dann bewusst wird, tut Mason Buße: Ohne Rücksicht auf entstehende Kosten richtet er eine Verfolgungs- und Überwachungsjagd über mehrere US-Staaten aus, bei der sogar das Flugzeug zum Einsatz kommt. Die Gerechtigkeit ist Masons Archillesferse; er weiß um ihre Verwundbarkeit, ihre Schwächen: Justitia trägt nicht ohne Grund eine Binde über den Augen. An Mason ist es als ihrem Repräsentanten, die daraus resultierenden Ungerechtigkeiten auszugleichen.
Menschliche Schwäche ist der entscheidende Faktor, der diese bedingt. Lorraine Elmores Fall ist verzwickt, ihre Erklärungen sind scheinbar wenig glaubhaft. Ihren Anklägern genügt das entstehende Bild: Hier hat sich eine betrogene Frau an ihrem schuftigen Bräutigam gerächt. Sie war außer sich - so sind die Frauen halt -, aber das wird sie nicht vor dem Gefängnis retten.
Dass da weitaus mehr hinter der Sache steckt, vermutet sehr zu Recht nur Perry Mason. So ist es richtig, denn schließlich ist er der Held seiner Serie. Als Ermittler steht er seinen Mann ebenso wie als Anwalt, auch wenn er sein besonderes Talent erst vor den Schranken eines Gerichtes zum Tragen bringt. Mason balanciert stets an der Grenze zum Illegalen, aber für ihn steht ausschließlich das Interesse des jeweiligen Klienten im Vordergrund. Für ihn oder sie bricht er zwar das Gesetz nicht, aber er biegt es, wobei die Attraktion für den Leser aus der Tatsache erwächst, in welchem Maße dies nach US-Recht möglich ist, wenn man nur weiß wie.
Ein wahrer Held benötigt Bundesgenossen
Unterstützt wird Mason wieder vom unermüdlichen Privatdetektiv Paul Drake, von dem wir nicht viel erfahren. Er tut seinen Job und genügt sich als Schlagarm seines Herrn, für den er die Laufarbeit erledigt. Außerdem gibt es da noch Della Street, Masons entsagungsvolle Sekretärin, die zwar hübsch, aber auch auch tüchtig und womöglich heimlich in den Chef verliebt ist. Da hat sie freilich Pech, denn Mason geht in seinem Beruf bzw. in seiner Berufung vollständig auf.
Aber frau hat es ohnehin nicht leicht in dieser Welt, vor allem wenn sie alleinstehend ist: "Frauen wollen jemand haben, den sie lieben und verwöhnen können, für den sie da sind und dem sie, wenn man es genau nimmt, auch gehorchen müssen. So spricht eines von Dewitts weiblichen Opfern für ihre Geschlechtsgenossinnen - starker Tobak selbst für 1963, aber Erle Stanley Gardner ist Jahrgang 1889, das darf man nicht vergessen. Deshalb ist klar, dass George Latty ein Schuft sein m u s s, lässt er sich doch sein Studium durch die Verlobte finanzieren: Ein echter Mann tut so etwas nicht!
Ansonsten bevölkern nur Statisten Masons Welt. Es ist völlig klar, dass Ankläger Charles Marshall trotz oder gerade wegen seiner Überheblichkeit von Mason düpiert werden wird. Der eigentliche Mörder (der hier nicht verraten werden soll) verrät sich dem kundigen Krimifreund praktisch bei seinem ersten Auftritt. Andere Verdächtige treten auf - sie wirken unglaubwürdig, weil das Geschehen ohnehin auf Masons üblichen großen Auftritt vor Gericht ausgerichtet ist: Nein, "P. M. und die amouröse Tante" ist kein Höhepunkt der schon etwas müden Serie, aber immer noch flott & kompetent geschrieben.
Erle Stanley Gardner, Ullstein
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