Der Mordfall Bischof
- DuMont
- Erschienen: Januar 1987
- 5
Originalausgabe erschienen unter dem Titel „The Bishop Murder Case“
- New York : Scribners Press 1928
- Berlin : Verlag Neufeld & Henius 1932 [unter dem Titel „Das Zimmer des Schweigens“]. Übersetzung: D. Fickert. 223 S. [keine ISBN]
- München : Heyne Verlag 1972 [unter dem Titel „Mordakte Bischof“] (Heyne Crime classic 1468). Übersetzung: Marfa Berger. 126 Seiten. [keine ISBN]
- Köln : DuMont Buchverlag 1987 (DuMont’s Kriminal-Bibliothek 1006). Übersetzung: Sascha Mantscheff. Cover: Pellegrino Ritter. 287 Seiten. ISBN-10: 3-7701-1907-X
- Köln : DuMont Buchverlag 2002 (DuMont’s Kriminal-Bibliothek 1006). Übersetzung: Sascha Mantscheff. Cover: Pellegrino Ritter. 287 Seiten. ISBN-13: 978-3-7701-1907-8
Tückische Morde nach harmlosen Kinderreimen
Professor Bertrand Dillards ruhiges Haus in New York City war bisher nur als Treffpunkt für Physiker, Mathematiker und geniale Schachspieler bekannt. Man trifft sich, diskutiert über aktuelle Forschungsfragen oder schießt einige Pfeile ab, denn Belle, die junge Nichte = Mündel des Professors, hat auf dem Grundstück einen Schießplatz eingerichtet. Hier nimmt das Verhängnis seinen Lauf - denn mausetot, weil mit einem Pfeil im Herzen, ging Hausgast Joseph Henrik Haan zu Boden.
Der Tat verdächtig ist der oft anwesende Raymond Sperling, der mit Haan um Belles Gunst stritt. Die Polizei wäre mit ihm als Täter zufrieden, aber Bezirksstaatsanwalt Markham steht im Informationsaustausch mit Philo Vance, dem berühmten Privatdetektiv. Dem fällt auf, dass Haan nach dem Vorbild eines alten Kinderreims zu Tode kam. Dass Sperling wohl unschuldig ist, bestätigt eine an die Presse gehende Meldung des „Bischofs“, der sich für die Bluttat verantwortlich zeichnet.
Verdächtig sind die Gäste und Nachbarn des Hauses Dillard. Zu ihnen gehören der überspannte Adolph Drukker und seine psychisch marode Mutter, der gescheiterte Turnierschachspieler John Pardee oder der zynische Mathematiker Sigurd Arnesson, Dillards Adoptivsohn, der keinesfalls brüderlich an Belle interessiert ist.
Vances Verdacht, dass ein ebenso genialer wie wahnsinniger Mörder sein Unwesen treibt, bestätigt sich, als beide Drukkers umgebracht werden und ein weiterer Kinderreim die Tat begleitet. Die Presse tobt vor Entzücken, besorgte Bürger drängen auf die Aufklärung der Morde. Markham und vor allem Vance nehmen die Herausforderung des „Bischofs“ an - denn alle Zeichen deuten darauf hin, dass die bizarre Mordserie längst kein Ende gefunden hat …
Des Wahnsinns schlaue Beute
Die moderne Kriminalliteratur findet seit dem Schweigen der Lämmer quasi nicht mehr ohne den zwar irren, aber superintelligenten und organisierten Serienkiller statt. Immer wieder taucht er auf und investiert viel Hirnschmalz in die Gestaltung absurd-grotesker Untaten, die nur leidlich als Wahngespinst begründet werden; im Vordergrund steht der unterhaltsame Grusel-Splatter als Bestätigung der alten Binsenweisheit, dass der Weg das eigentliche Ziel darstellt.
Dieser Erzbösewicht ist ein Archetyp, d. h. deutlich älter als gedacht, und er tauchte sogar im klassischen Rätselkrimi („Whodunit“) auf, der die finale Demaskierung des Täters über die explizite Darstellung seiner Übeltaten stellt. Metzel-Drastik war Anno 1928 jedoch weder üblich noch möglich. Erst recht musste jegliche sexuelle Komponente unterbleiben; die krankhafte Verirrung als Ursache konnte als Motiv nur umschrieben werden. Der Mordfall Bischof kreist um eine intellektuelle Entartung, für die angeblich Geistesriesen besonders anfällig sind. Philo Vance - der wohl selbst gefährdet ist - erläutert dies im Rahmen eines ellenlangen Vortrags über die Schattenseiten der modernen Astronomie, Mathematik und Quantenphysik, die dem Menschen in einem Universum ohne verständliche Regeln seine besondere Rolle genommen haben.
Dass der daraufhin von geistigem Zerfall erfasste Täter als Serienkiller ein Talent an den Tag legt, das selbst Vance mehr als einmal bewundert, bleibt ein nie geklärter Widerspruch. Hier steht der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund: Wieso einfach erledigen, was sich auch umständlich - oder besser: originell - umsetzen lässt? Der Leser ist in Sicherheit und hat seinen Spaß, während die Fallbetroffenen stellvertretend zittern. Damit dies gewährleistet ist, streut van Dine (allzu) fleißig Kommentare ein, die das Grauenvolle dieses Falls betonen.
Simple Worte, böse Taten
Um den Wahn des Mörders zu unterstreichen, lässt ihn S. S. van Dine nach dem Vorbild alter Kinder- und Abzählreime töten. Kind = Unschuld, lautet die Formel, weshalb der Missbrauch harmloser Wortspiele erst recht verwerflich ist. Bei näherer Betrachtung sind diese „nursery rhymes“, die man kranken oder noch nicht schlafmüden Kindern vortrug oder -sang, nicht ohne; zumindest heutzutage dürften sie politisch nicht mehr korrekt sein: „Es war einmal ein kleiner Herr, / Der hielt ein kleines Schießgewehr / in seiner kleinen Hand. / Johnny Sprigg, dem armen Tropf, / schoss er mitten in den Kopf, / und sein Hut fiel in den Sand.“ Kinder lieben solche Reime, erkennen durchaus die inhaltliche Übertreibung und entwickeln sich nicht zu Massenmördern. Spätere Krimi-Autoren wie Agatha Christie oder Ellery Queen erkannten das Potenzial und ließen ‚ihre‘ Mörder ebenfalls auf „nursery rhymes“ zurückgreifen.
Dass eine ganze Mordserie nach solchen Reimen gestaltet wird, sorgt für einen überaus schematischen Aufbau. Der Tatort gleicht einer Kulisse, die der Autor bis ins Detail gestaltet. Eine Skizze ergänzt (wie in beinahe jedem „Whodunit“ vor dem Zweiten Weltkrieg) den Text und ermöglicht den Lesern, den Schauplatz kennenzulernen und quasi selbst unter die Lupe zu nehmen: Van Dine war nicht nur ein Fürsprecher des „fair play“ im Kriminalroman, sondern hatte selbst feste Regeln fixiert, an die man sich als Autor halten sollte. Übernatürliches Treiben oder Wunderwaffen waren ebenso verpönt wie Liebesgeplänkel. Im Zentrum standen die Tat und ihre Aufklärung, und sonst am besten nichts!
Das Ergebnis beglückt sicherlich Puristen (sowie jene, die moderne Schmalz-‚Krimis‘ zu hassen gelernt haben), stellt aber auch eine Geduldsprobe dar. Van Dine lässt uns an der Seite seines Detektivs an den Ermittlungen teilnehmen. Wie ein Zauberer, der während seiner Vorführung immer wieder seine ‚leeren‘ Hände zeigt, beschreibt er methodisch den (nicht nur deshalb) langsamen Fortschritt. „Tempo“ wurde einst definitiv anders als heute definiert! Viele Seiten vergehen, während jedes Indiz vorgeführt und jede/r Verdächtige verhört wird. Solche präzise Gemächlichkeit muss man schätzen, da sich sonst bald Langeweile einschleicht - ein Problem, dessen sich van Dine bewusst war, weshalb er gern mit „Had-we-but-known“-Hinweisen arbeitet: Hätten wir Ermittler zu diesem Zeitpunkt nur schon gewusst, welche Konsequenzen unser Tun (oder Unterlassen) haben würden!
Oh, Philo …
Hinzu kommt eine Hauptfigur, die schon vielen Zeitgenossen verhasst war. Van Dine formte Philo Vance nach dem Vorbild jener „gentleman detectives“, die einst nur bedingt an der Seite von Polizei und Justiz und deshalb ‚frei‘ von einschränkenden Gesetzen die Gaunerjagd als intellektuelle Herausforderung betrachteten. Für ihren Lebensunterhalt müssen Männer wie Vance nicht arbeiten, sodass ihnen zwischen (penibel aufgelisteten) Theater- und Museumsbesuchen Zeit genug für dieses ‚Hobby‘ bleibt.
Ihre geistige (und moralische) Überlegenheit, die durch eine ausgezeichnete Schul- und Universitätsbildung abgerundet wird, stellen solche Ermittler gern zur Schau. Sie setzen sich damit von den Berufsermittlern ab, die in der Regel nicht über den Tellerrand ihrer begrenzten Erfahrung und Phantasie blicken oder gar als Hohlköpfe denunziert werden, denen besagter Detektiv aus der Sackgasse helfen muss.
Philo Vance ist in dieser Hinsicht kein freundlicher Spötter wie Lord Peter Wimsey, und er schafft es auch nicht, trotz offensichtlicher intellektueller Dominanz sachlich wie Sherlock Holmes zu bleiben. Er ist - man kann es so und dann gar nicht besser ausdrücken - ein Arsch, der betont lässig mit seinem Wissen protzt, lateinische oder griechische Zitate aus oft obskuren, uralten Buchwerken oder Theaterstücken in seine Rede einfließen lässt, scheinheilig voraussetzt, dass ihn sein Gegenüber versteht, und denen hochmütig-generös ‚vergibt‘, die diesbezüglich überfordert sind. Dies ist gleichzeitig eine Prüfung: Wer Vance versteht, besetzt wie er eine höhere Stufe in der gesellschaftlichen Hierarchie. In den USA gibt es anders als in England keinen alten Adel, weshalb Vance auf diese Alternative ausweicht. „Man“ erkennt sich und reagiert entsprechend.
Welches Urteil ist über dieses Werk zu fällen? Man darf auf keinen Fall sein Alter und den damaligen Publikumsgeschmack vergessen. Philo-Vance-Romane waren außerordentlich beliebt, und S. S. van Dine gehörte zu denen, die jenen „Whodunit“-Rahmen schufen, der noch heute maßgeblich ist. Der Mordfall Bischof ist ohne Frage ein Klassiker, aber gleichzeitig ein Beleg dafür, dass sich der Lese-Geschmack wandelt.
Der Mordfall Bischof als Film
The Bishop Murder Case wurde bereits 1929 als früher Tonfilm vom Regisseur-Duo David Burton und Nick Grindé für das Studio Metro-Goldwyn-Mayer inszeniert. Als Philo Vance trat Basil Rathbone (1892-1967) vor die Kamera (der neun Jahre später die Rolle seines Schauspielerlebens als Sherlock Holmes übernahm, den er in 14 Filmen verkörperte).
Der Film leidet unter den technischen Problemen, die der noch unvertraute Ton mit sich brachte: Die Mikrofone waren überempfindlich, sperrig und wurden so selten wie möglich bewegt, weshalb sich das Skript - und vor allem die Darsteller - nach ihnen richten mussten. Die Handlung wirkt deshalb statisch bzw. wie ein abgefilmtes Theaterstück. Zudem mussten die Schauspieler noch lernen, sich zurückzunehmen, nachdem sie Emotionen nicht mehr ausschließlich über Gestik und Mimik transportieren mussten.
Fazit
Der vierte Philo-Vance-Roman ist ein konsequent auf ‚den Fall‘ ausgerichteter Rätselkrimi: Wie wurde die Tat begangen, und wer steckt dahinter? Dies steht im Vordergrund eines pedantisch entwickelten Geschehens, dessen Figuren hölzern wirken - aber wirken dürfen, denn sie erfüllen Aufgaben im Rahmen eines gründlich konstruierten Krimis; ein „Whodunit“ in seiner reinsten Form, dessen Schneckentempo heute irritiert.
S.S. van Dine, DuMont
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