Das Meer
- Droemer
- Erschienen: Januar 2018
- 3
- München: Droemer, 2018, Seiten: 446, Originalsprache
Brutale Fischereimafia, machtlose Bürokratie und radikale Umweltaktivisten
Das Meer, der Fisch und das liebe Geld
Um es vorweg zu nehmen - lassen sie die Finger von diesem Buch, wenn sie gerne Fisch essen! Was Fleischhauer hier beschreibt, sind in jeder Beziehung unerträgliche Zustände. Es scheint, als sei die gesamte Fischindustrie in der Hand einiger großer Unternehmen, die einer Fischerei-Mafia gleichen. Gefischt wird nur noch mit gigantischen Schleppnetzen, die den Meeresboden auf Jahre extrem schädigen.
Illegale Fänge werden ein-, zwei- oder dreimal auf hoher See umgeladen und mutieren so zu legal gefischtem Dorsch oder sonstigem ungeschützten Fisch. Oder es entsteht "rekombinierter" Fisch, "das heißt, die gefährdeten Arten sind so untergemischt, dass sie nur durch aufwendige Fisch-forensische Verfahren entdeckt werden können".
Da kann einem doch wirklich der Appetit auf das nächste Fischfilet vergehen. Aber nicht nur das Meer und der Fisch sind die Leidtragenden in diesem System. Mit falschen Versprechungen werden Flüchtlinge und Illegale auf die Fangschiffe gelockt, und dort unter menschenunwürdigen Bedingungen, die an Sklaverei erinnern, zu jahrelanger Knochenarbeit oder Prostitution gezwungen. Wolfram Fleischhauer zeigt deutlich, dass nur der Profit zählt, egal wie er erwirtschaftet wird.
Der Raubbau am Meer in Endlosschleife
So tragisch die Umstände des Raubbaus am Meer auch sind, hat sie doch auch der unwissendste Leser nach spätestens der dritten Erwähnung realisiert. Aber Fleischhauer scheint seiner Leserschaft nicht zu trauen und wiederholt die mißliche Lage der maritimen Umwelt bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das macht den Eindruck einer Endlosschleife, die sehr bald nur noch lästig und nicht mehr informativ wird.
Auch die ständigen Abkürzungen, wie "RASFF" oder "PAFF" lassen auch den fischliebenden Leser dumm dastehen. Die im Prolog aufgebaute Spannung verpufft sehr schnell. Die Handlung um Teresa, Ragna und den kontaminierten Fisch tritt in den Hintergrund und scheint nur noch als Trägermedium für die Botschaft der ökologisch-menschlichen Katastrophe zu dienen. Schade - aus dem Stoff hätte man mehr herausholen können, ist "Das Meer" doch ein Öko-Thriller und kein Sachbuch.
Erhobener Zeigefinger statt plausibler Handlung und realistischer Protagonisten
Wenn man dem Autor glauben darf, sollte man lieber nicht Kontrolleur auf einem Trawler werden. Die Sterblichkeitsrate in diesem Metier scheint sehr hoch. Es wird wie selbstverständlich berichtet, dass dieser oder jene einfach verschwindet, getötet wird und alle immer um Leib und Leben fürchten müssen. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, nur noch Gruppen von Beobachtern auf die Fangschiffe zu schicken. Anscheinend hat man genug Biologen in petto.
Auch die plötzlich aufflammende Liebe Di Melos zu seiner jahrelang nicht beachteten Tochter ist eine der Ungereimtheiten, die in die Geschichte hinein konstruiert wurde, um auch noch die Arbeit der Lobbyisten und die unmoralische Tätigkeit der Anwälte im Dienst der Fischerei-Mafia zu integrieren. Wer glaubt denn, dass eine willensstarke radikale Umweltaktivistin, die ihren Vater so sehr verachtet, dass sie fünf Jahre nicht den geringsten Kontakt zu ihm hatte, alle ihre Pläne aufgibt, bloß weil es Papa so möchte?
Ökoszene wird als ziemlich taff und unerbittlich dargestellt
Ragna selbst und mit ihr die ganze radikale Ökoszene ist als taff und unerbittlich dargestellt. Sie retten die Welt ob sie es nun will oder nicht - und riskieren dabei nicht nur ihr eigenes sondern auch das Leben der ignoranten Anderen. Durchaus denkbar, aber erschreckend, dass die Wertigkeit des Menschen von seinem Umweltbewußtsein abhängen soll.
Der zwischen Trauer, Abscheu und Sympathie für die Ökoterroristen hin und her schwankende Render ist so farblos dargestellt, dass sich seine Rolle auf den verlassenen alternden Liebhaber, der nach der Rechtfertigung für die Handlung seiner Geliebten lechzt, beschränkt.
"Nun hatten also frustrierte und verzweifelte Forscher insgeheim ein Gift entwickelt, das den maßlosen Appetit des weltverschlingenden Homo sapiens eine unüberwindliche toxische Grenze setzen würde, damit eine für den Planeten unverzichtbare Biosphäre sich wieder erholen kann."
Adrian Noack ist noch die am glaubwürdigsten geschilderte Figur. Ahnungslos tappt er in das Netz, das Di Melo spinnt, und lässt sich nur für dessen Spiel missbrauchen, weil er Ragna gerne wiedersehen will. Aber auch hier erhebt der Autor den moralische Zeigefinger.
Zwar übersetzen die Dolmetscher alles, was ihnen vorgesetzt wird, nur scheinen sie sich nie Gedanken darüber zu machen, was der Inhalt des Stoffes ist. "Das meiste, was ich dolmetsche, verstehe ich gar nicht...ich dresche dann eben das gleiche leere Stroh, wie die Redner". Es scheint, als ob Fleischhauer gerne eine andere Auffassung vom Beruf des Dolmetschers hätte.
Rundumschlag gegen das Übel, das man unterwegs so findet
Ein Plus des Buches ist die glaubwürdige Schilderung des Krisenmanagments der EU-Kommissionen. Durch endlose Debatten, Anhörungen, Sitzungen und Resolutionen ist der Machtapparat so sehr mit sich beschäftigt, dass die Menschheit sich erst einmal selbst überlassen bleibt. Aber ansonsten kommt's ganz dicke! Man(n) ist in Thailand? Dann muss der Sextourismus erwähnt werden - und Adrian kann nicht widerstehen und geht mit einer Prostituierten auf das Hotelzimmer.
Kaum hat sich die Handlung nach Myanmar verlagert, erhebt Fleischhauer wieder den Zeigefinger und startet einen Rundumschlag gegen die nominell immer noch herrschende Militärregierung, die miserablen Lebensbedingungen der Bevölkerung, die NGOs, und natürlich müssen die Landminen eine gewichtige Rolle spielen. Diese Mißstände gibt es bestimmt, aber müssen sie unbedingt alle in einem Thriller erwähnt werden? Der Leser ist versucht, sich als moralisch fragwürdig zu fühlen, wenn er die Umstände zwar kennt, aber nichts dagegen unternimmt.
Kein Buch für Thriller-Liebhaber
Wer sollte dieses Buch lesen? Spannungs-verwöhnte Thriller-Liebhaber lieber nicht. Sie wären enttäuscht, plätschert die Dramatik doch nur so vor sich hin. Aber, mit dieser Warnung wird man dem Buch nicht gerecht. Wenn man am Ökosystem unserer Erde Interesse hat, und bereit ist, Abstriche bei der als "bewegender Thriller" angepriesenen Handlung zu machen, findet man in "Das Meer" einen Roman vor, der aufrüttelt.
Nach der Lektüre wird man das Lebensmittel Fisch mit anderen Augen betrachten und vielleicht seine Essgewohnheiten ändern. Die geschilderten Zustände auf den Fangschiffen, der Betrug am Verbraucher und die Zerstörung der Meere bleiben im Gedächtnis und mahnen uns Verbraucher, sinnvoller mit den Ressourcen umzugehen, sonst drohen uns möglicherweise wirklich Aktionen von übermotivierten Umweltaktivisten.
Wolfram Fleischhauer, Droemer
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