Der einsame Bote

  • List
  • Erschienen: Januar 2018
  • 16
  • Bergen: Vigmostad Bjørke, 2016, Titel: 'Blod i dans', Seiten: 316, Originalsprache
  • Berlin: List, 2018, Seiten: 400, Übersetzt: Günther Frauenlob
Der einsame Bote
Der einsame Bote
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Jörg Kijanski
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2018

Schräger Pageturner mit Schwächen

Oslo im April. Elf Jahre hat Anders Rask für mehrere Mädchenmorde im Gefängnis gegessen. Für Morde, die in Wirklichkeit Elisabeth Thorstensen und Jon-Olav Farberg begangen haben. Jetzt sitzt er im Rollstuhl und ist bereit, mit Kommissar Tommy Bergmann zu sprechen. Im Januar des Jahres behauptete Thorstensen, ihren Partner Farberg ermordet und verbrannt zu haben.

Doch bis heute liegen keine Ergebnisse der DNA-Auswertung vor, und so ist es Bergmann, der als einziger Polizist glaubt, dass Farberg noch lebt. Denn am Tag seiner vermeintlichen Ermordung verschwand die dreizehnjährige Amanda Viskveen, seither fehlt von ihr jede Spur.

Rask ist nicht sehr mitteilsam, warum sollte er auch, doch gibt er Bergmann einen Hinweis auf die geheimnisvolle Sekte der Skopzen. Deren Mitglieder glauben, dass Mörder erlöst werden, wenn sie junge Mädchen mit dem Sternzeichen Widder vor ihrem vierzehnten Geburtstag verstümmeln. Die Zeit drängt, eine erste Spur führt Bergmann in die litauische Stadt Vilnius, von wo Farberg angeblich zwei Postkarten verschickt haben soll. Seine Kollegin Susanne Bech fährt derweil nach Göteborg, um den Mord an einer 53-jährigen Frau aufzuklären. Ist auch sie, trotz ihres fortgeschrittenen Alters, ein Opfer Farbergs?

Ermittler mit durchaus zwiespältigem Charakter

"Der einsame Bote" ist eine krude Geschichte, die weniger auf Glaubwürdigkeit, denn auf hohes Lesetempo setzt. Direkt auf der ersten Seite geht Bergmann bei einem Boxtraining zu Boden. Die Leser des Romans sollten härter im Nehmen sein, denn die Handlung verlangt ihnen einiges ab. Es fängt schon damit an, dass beide Ermittler - Bergmann und Bech - innerlich völlig ausgebrannt sind.

Im wahren Leben wären sie nicht im Einsatz, sondern krank geschrieben, was immerhin für Bergmann auch im Roman zutrifft. So kann er machen was er will, denn nach einer Abmahnung darf er in dem Fall Farberg gar nicht mehr ermitteln. Schließlich verbrannte dieser ja vor einiger Zeit, der Fall ist also offiziell abgeschlossen. Warum nach rund vier Monaten noch immer keine DNA-Ergebnisse vorliegen, darf man an dieser Stelle nicht hinterfragen (ebenso wenig wie das Verhalten von Bergmanns Chef Reuter und von Oberstaatsanwalt Finneland), denn sonst funktioniert ein Teil des Plots nicht.

"Irgendwo in Nordeuropa muss ein toter Mann herumlaufen. Sollten er und Amanda wirklich am Leben sein und wir keinen Finger gerührt haben, müssen sich alle in diesem Raum noch vor dem Sommer nach einem neuen Job umsehen. Und glauben Sie mir, ich werde nicht zögern, Sie alle mit in die Tiefe zu reißen, wenn es darauf ankommt."

Problematisch bei Bergmann und Bech ist vor allem, dass beide Figuren leicht unsympathisch erscheinen. Bergmann ist ein störrischer Einzelgänger, der seine frühere Frau regelmäßig geschlagen hat und sich daher selber kaum leiden kann. Dass er in der Folge in Vilnius ausgerechnet starke Gefühle für eine junge Prostituierte entwickelt, passt daher ins Bild.

Aber auch Bech ist kein einfacher Fall, da sie nach einem tätlichen Angriff auf ihre Person in ständiger Angst lebt. Angst um sich, aber vor allem um ihre junge Tochter Mathea. Die ständige Erwähnung eben dieser allgegenwärtigen Angst geht dem Leser mit zunehmender Dauer auf die Nerven. Getoppt wird die Situation aber dadurch, dass Bech trotz ihrer Ängste mal eben so einen Mann befragt, den sie für einen möglichen mehrfachen Mörder hält. Selbstredend befragt sie ihn allein und unbewaffnet. Na klar doch.

Auch gibt es einige kleinere Schnitzer, die ins allgemeine Bild passen. Als ein weiterer Mord geschieht, heißt es hierzu auf Seite 51 "Ein paar Tage zuvor&", nur eine Seite später "&vor zwei Tagen&". Auf Seite 52 heißt es zudem, dass die ermordete Frau 53 Jahre alt war. Später ist die Rede von "etwas über 50 Jahre" (Seite 93), bevor es dann prompt wieder heißt "Die Frau war 53" (Seite 95). Kleinigkeiten gewiss, aber dennoch ärgerlich, da unnötig.

Wen das alles nicht schreckt, der kann gerne einen Versuch starten, denn trotz der genannten Schwächen treibt der Autor mit seinem Schreibstil den Leser ordentlich voran. Die rund 300, äußerst großzüzig gedruckten Seiten, in zahlreiche kurze Kapitel aufgeteilt, sind schnell gelesen, und wer einfach nur mal in der Bahn abschalten will, ohne groß mitzudenken, der ist mit diesem Mainstream-Pageturner durchaus gut bedient. Denn trotz aller Kritik, spannend ist es schon. Einige schaurig-blutige Sequenzen sind bei den Verstümmelungen der Frauen allerdings in Kauf zu nehmen.

Der einsame Bote

Gard Sveen, List

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