Als Luca verschwand
- Diana
- Erschienen: Januar 2018
- 4
- München: Diana, 2018, Seiten: 496, Originalsprache
Mehr Personen als auf dem Kölner Hauptbahnhof
Der Einstieg ist viel versprechend: In Ihrem ersten Kapitel beschreibt Petra Hammesfahr die letzten Minuten der heilen Welt vor einem Verbrechen. Die Handlung spielt in einem Drogeriemarkt. Hier treiben sich die üblichen zusammen gewürfelten Besucher herum: Die leicht verrückte, alte Dame in eigenartiger Kleidung, der gepflegte, sportliche Mann, die gertenschlanke Blondine mit Kind und die leicht aus dem Leim gegangene Dame an der Kasse. Ein normaler Tag, in einer normalen Kleinstadt - bis ein Verbrechen passiert und ein Kind entführt wird.
Petra Hammesfahr widmet sich in ihrem neuen Roman dem Alptraum aller Eltern: Ein Moment der Unaufmerksamkeit und schon ist es passiert. Dennoch zeigt sich auch schon im ersten Kapitel die Problematik des Buches: Die Eingangsszene im Supermarkt wird detailliert und mit Spannungsaufbau geschildert - aber das eigentliche Verbrechen hat sich draußen vor der Tür mit einem anderen Opfer zugetragen. Dieses Szenario sorgte bei mir bereits für das erste Zurückblättern und der Frage, welche Information ich überlesen hatte.
Martin, Martin, Martina - ihre Onkel, Tanten, Freunde, Mütter, Nachbarn ...
Vieles an dem Krimi erinnerte mich anschließend an die Erzählungen von Mutter Bongenberg, die gerne ihre Berichte mit der Frage eröffnet "Kennste den Peter/Paul/Irgendwen?", und wenn das - dummerweise - verneint wird, ein ganzes Heer von weiteren - mir vollkommen unbekannten - Personen ins Feld führt, um zu belegen, dass ich den "Helden" der Geschichte auf jeden Fall kenne. Das darunter selbst die beste, saftigste Geschichte leidet, ist nachvollziehbar. Ähnlich erging es mir bei der Lektüre dieses Buches: Es taucht eine Vielzahl von Personen auf, die nicht wichtig genug sind, um eine besondere Rolle zu spielen, die aber dennoch immer wieder in die Handlung eingeflochten werden und den Leser so in heillose Verwirrung stürzen.
Detailliert geschildert werden dagegen nur die Hauptakteure des Romans und hier stellt sich auch der Leser die Frage, ob es denn tatsächlich so normal sein muss, dass sich ein Großteil der so geschilderten offensichtlich fest im Griff von Wahnvorstellungen oder Manien befindet. Besonders befremdlich erscheint dabei das Festhalten von Luca's Oma an einer längst verstorbenen Jugendliebe und dem wahnhaften Nachtrauern derselben. Hammesfahr macht es dem Leser nicht leicht, auch nur einen ihrer Charaktere zu mögen. Ein Umstand, der nicht dazu geeignet ist, das Lesevergnügen zu fördern.
Wenn "Rammstein" das sagt, muss es ja stimmen...
Überhaupt das Thema "Wahn" und das immer wiederkehrende Thema der Wiedergeburten und der Schutzengel. Hier spielt die Himmelsbeschreibung, die weiland von der Gruppe "Rammstein" in den düstersten Farben gezeichnet wurde eine weitere unnötige, aber dafür um so nervigere Rolle. Offensichtlich ist dieses Lied dazu geeignet, jeden, der bisher von der Pracht des Paradieses überzeugt war, nach einmaligem Hören so umzupolen, dass er zukünftig vom düsteren Schicksal der Engel ("Sie müssen sich an Sterne krallen, damit sie nicht vom Himmel fallen") überzeugt ist. Ob ein einfacher Radiosong tatsächlich so geeignet ist, Ansichten neu zu besetzen, darf hier zumindest in Frage gestellt werden.
Verschiedene Befremdlichkeiten ergänzen zusätzlich die wirre Handlung. So geißelt eine involvierte Staatsanwältin die Kölner "Kuscheljustiz", hat aber offensichtlich keine Bedenken, Verstöße gegen den Datenschutz zu begehen - solange sie dafür etwas Leckeres vom Grill bekommt. Kurios auch die Arbeit der Polizei: Der Dienststellenleiter fährt zu einer Tagung, ist nur via Privathandy zu erreichen - und schaltet es zudem aus. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Beamten klappt hinten und vorne nicht und offensichtlich springt jeder auf jede Lösung, die auch nur halbherzig ihr Haupt erhebt.
Hartnäckig werden daher alle verwendbaren Kräfte auf die Suche nach einer offensichtlich verwirrten Frau eingesetzt, wer daneben noch Zeit hat kümmert sich um den eigenartigen Verdacht, dass vielmehr die Oma des kleinen Luca sich des Kindes bemächtigt haben dürfte. Ein Erpresser-Anruf - der alle Glocken zum Schrillen bringen müsste - liegt zwar mittlerweile vor, aber für den scheint das Interesse eher gering zu sein.
Überhaupt ist die Kommunikation zwischen den Akteuren eine sehr ungewöhnliche. Der Vater des entführten Kindes wird nicht benachrichtigt, weil er einen wichtigen Termin hat, Abstimmungen zwischen den beteiligten Ermittlern finden im Großen und Ganzen nicht statt und so muss es fast schon überraschen, dass zuletzt eine Lösung gefunden wird. Nervig auch das immer wieder eingeflochtene Baby-Sprech des dreijährigen Bruders des entführten kleinen Luca
Ein spätes Aufbäumen
Ein gewisses Tempo oder aber Spannung kommt erst im letzten Teil der Handlung auf. Ob diese allerdings noch dazu geeignet ist, den mittlerweile genervten Leser zu begeistern, sie dahingestellt. Gut möglich, dass sich auch im wirklichen Leben nicht alle Fäden auflösen, oder aller Fragen beantworten lassen. Dennoch hätte ich mir hier eine klarere Auflösung gewünscht, und einen Roman damit enden zu lassen, dass jemand jetzt einen Anruf annehmen will - das zählt schon unter die Rubrik lieblos.
Petra Hammesfahr, Diana
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