Kerkerkind
- Knaur
- Erschienen: Januar 2018
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- München: Knaur, 2018, Seiten: 336, Originalsprache
Die Axt im Haus ersetzt den Henker
Rosa Lopez wird zu einem überaus unschönen Leichenfund im Grunewald gerufen, und nimmt ihren noch krank geschriebenen Kollegen Viktor Saizew mit - weil sie eine zweite Meinung braucht, nämlich seine. Eine Frau wurde getötet und verbrannt, und sie war hochschwanger, wie die beiden unschwer erkennen können. Die Obduktion ergibt, dass die Frau in der 29. Woche war - und bei lebendigem Leib verbrannt wurde.
Die Ermittlungen gestaltet sich mehr als schwierig, da irgendwie kein Motiv erkennbar ist. Zunächst fällt der Verdacht auf den deutschen Ehemann des türkisch-stämmigen Mordopfers. Doch spätestens als dessen Kopf auf einem Briefkasten in seinem Hausflur gefunden wird, ist Lopez und Saizew klar, dass sie es hier mit einer unheimlichen Mordserie zu tun haben. Eine ernst zu nehmende Spur führt nach langen Ermittlungen nach Dänemark - aber bei seiner Reise dorthin gerät Saizew selbst in Lebensgefahr.
Blutrünstige Fortsetzung der Reihe um Lopez und Saizew
Nach dem ersten Roman ihrer Reihe um das ungleiche Ermittlerduo wurde Katja Bohnet in der Presse als "aufregende neue Stimme im deutschen Thriller" bezeichnet. "Messertanz" wurde von den Lesern der Krimi-Couch allerdings mit eher gemischtem Echo aufgenommen. "Kerkerkind" setzt nun die Geschichte von Saizew und Lopez mit einer recht blutrünstigen Episode fort.
Obwohl Viktor Saizew nach Aussage der Autorin nicht gerne reist, muss er sich auch jetzt wieder aus seinem geliebten Berlin heraus bewegen und nach Dänemark fahren. Die Liebe zur deutschen Hauptstadt teilt der Kommissar übrigens mit der Autorin, die im Interview mit der Krimi-Couch offenbart, dass sie ganz euphorisch wird, wenn es für sie in die Metropole an der Spree geht. Für den Leser wird es bei den ständigen Schauplatz-Wechseln - auch innerhalb der Hauptstadt - keineswegs unübersichtlich, denn die kurzen Kapitel sorgen dafür, dass man sich stets neu orientieren kann.
Katja Bohnet lässt ihre Figuren beim Schreiben gerne "laufen"
Katja Bohnet gibt ihren Protagonisten viel Raum für ihre private und berufliche Entwicklung. Sie bezeichnet es als politische Entscheidung, diesen beiden gesellschaftlichen Außenseitern die Hauptrollen in ihrer Krimi-Reihe zu geben. Rosa Lopez ist dabei für die Autorin die heimliche Hauptfigur - aber in Wirklichkeit ist die Ermittlerin ohne ihren Kollegen Viktor Saizew überhaupt nicht vorstellbar. Wer "Messertanz" gelesen hat, kennt die Kabbeleien und kleinen Rituale zwischen den beiden schon. Hier werden dem Leser nun weitere private Seiten und Macken der beiden Protagonisten noch vertrauter.
Es wird einige Leser und Rezensenten geben, denen das schon wieder zu viel an Privatem ist. Aber da Katja Bohnet ihre Figuren beim Schreiben gerne "laufen lässt", wie sie selbst sagt, ist es nach meiner Auffassung völlig in Ordnung, die beiden Protagonisten auch etwas ausführlicher und eingehender zu schildern. Und in meinen Augen ist es nicht so, dass sich die Autorin in diesen privaten Gefilden verliert, sondern sie befeuert davon ausgehend immer wieder ihre eigentliche Geschichte. Und da sind es die weiteren Todesfälle, die für ordentlich Dynamik sorgen. Die Autorin ist kein Kind von Traurigkeit, es geht brutal und deftig zu. Kopflose Leichen sind schon packend - für Ermittler und Leser. Wenn dann noch eine ziemlich abgedrehte Performance-Künstlerin mit dem Thema "spielt" wird es sogar mehr als gruselig.
Tiefe Gefühle spielen mehrfach eine große Rolle
Bei aller Rasanz und bei allem Tempo wird es nicht nur für die beiden Kommissare ziemlich persönlich. Katja Bohnet schildert eingehend auch die Gemütslage der Eltern der ermordeten Frau - und diese Emotionen gehen schon unter die Haut. Das Ehepaar, vor allem die Frau, kann überhaupt nicht erfassen oder gar verstehen, was da mit ihrer geliebten Tochter passiert ist. Als dann auch noch der Schwiegersohn brutal ermordet wird, bricht ihre Welt völlig zusammen.
Es geht insgesamt um tiefe Gefühle in diesem Roman, die keineswegs immer positiv sind. Mehr will ich dazu aus dramaturgischen Gründen nicht verraten - aber Katja Bohnet holt weit aus, um den Leser und die Ermittler mit vielen Fallstricken einzuwickeln.
Der Schreibstil der Autorin ist dabei ziemlich eindringlich. Kurze, knackige Sätze, und auch die Dialoge sind nicht gerade ausschweifend. Im Grunde schreibt Katja Bohnet so wie sie auch im wahren Leben spricht. Wer sie also persönlich erlebt, wird sich über den Erzählstil nicht wirklich wundern, ein Energiebündel kann vermutlich nur so schreiben.
Wer sich daran erst einmal gewöhnt hat, wird bald merken, dass dadurch auch die Dynamik der Geschichte befördert wird. Die Autorin pflegt zudem einen recht ambitionierten Sprachstil, streut so einige Fremdwörter ein, und unterscheidet sich mit ihrer Erzählweise deutlich von etlichen Kollegen.
Ein rustikaler, dynamischer und lesenswerter Krimi
Auch wenn Rosa Lopez für die Autorin - und sicher auch für viele Leserinnen - der heimliche Star der Reihe ist, bei "Kerkerkind" steht Viktor Saizew beruflich und privat deutlich mehr im Rampenlicht. Und er muss dabei einiges einstecken, zeigt sich aber immer wieder als unkaputtbar. Das Ermittlerduo ist - vorsichtig gesagt - recht eigenwillig, aber wahrscheinlich macht genau das den Charme dieser Reihe aus. Wobei es eben auch überaus rustikal zugeht, abgeschlagene Köpfe sind ja nicht gerade eine subtile Tötungsart.
Die Geschichte insgesamt, Dynamik, Dialoge, das Personaltableau - Katja Bohnet hat mit ihrem zweiten Band der Reihe einen rasanten und lesenswerten Krimi geschrieben. Es macht Spaß, Lopez und Saizew auf einem Stück ihres Wegs zu begleiten. Im Interview mit der Krimi-Couch hat Katja Bohnet auch schon verraten, wie es mit den beiden Kommissaren weitergeht. Viktor muss wieder reisen - und gerät natürlich in neue Turbulenzen. Man (und Frau) darf gespannt sein.
Katja Bohnet, Knaur
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