Die Detektivin

  • von Schröder
  • Erschienen: Januar 1998
  • 12
  • München: von Schröder, 1998, Seiten: 439, Originalsprache
  • München: Ullstein, 2000, Seiten: 439, Originalsprache
  • München: Heyne, 2003, Seiten: 523, Originalsprache
  • Berlin: Ullstein, 2004, Seiten: 523, Originalsprache
  • Berlin: Ullstein, 2011, Seiten: 523, Originalsprache
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Peter Kümmel
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2003

Gesellschaftskritik mit Humor zu spannendem Krimi vereint

Nach Frankfurt am Main in das Jahr 1882 versetzt die Autorin ihre Leser. Hochangesehene Familien mit Dienstbotenpersonal und das einfache Volk stehen sich hier gegenüber und das noch heute existierende Fest des Wäldchestags "dribb de Bach" (auf der gegenüberliegenden Mainseite) in Sachsenhausen bildet die Kulisse für einen ungewöhnlichen historischen Kriminalroman.

Im Mittelpunkt stehen die beiden Familien der Brüder Rudolf und Konrad Könitz mit ihren zahlreichen Kindern. Als Protagonistin fungiert dabei Rudolfs Tochter Viktoria, die sich so gar nicht mit ihrer Rolle als unterdrückte und gehorsame Frau abfinden kann, sondern heimlich das verbotene Wissen aus der Bibliothek ihres Onkels aufsaugt und sich insbesondere für Kriminalisktik interessiert.

Als aus dem Haushalt von Konrad und Sophia Könitz das Dienstmädchen Emilie spurlos verschwindet, befasst sich Kommissar Richard Biddling mit dem Fall. Doch als Preuße in Frankfurt hat er es schwer. Zumal es sein Vorgesetzter auch nicht gerne sieht, dass er seine Freizeit dazu nutzt, um in einem alten unaufgeklärten Mordfall zu herumzustochern. Vor Jahren wurden innerhalb weniger Wochen zwei junge Mädchen ermordet, doch der "Stadtwaldwürger" wurde nie gefasst. Im Verdacht stand Eduard, der Sohn von Konrad Könitz und dem damaligen Kommissar wurde es zum Verhängnis, dass er in diesen Kreisen ermittelte. Er wurde versetzt, da Polizeirat Dr. Rumpff mit den Könitz' gut bekannt ist.

Die von Nikola Hahn geschaffenen Charaktere sind zwar konstruiert, aber sehr vielschichtig und für ein Lesevergnügen wie geschaffen. Dem jungen frisch aus Berlin eingetroffenen ehrgeizigen Kriminalkommissar wird mit Heiner Braun ein alteingesessener Frankfurter zur Seite gestellt. Dieser ist zwar schon reich an Dienstjahren, hat es aber wegen Disziplinlosigkeiten und mangelndem Respekt gegenüber Vorgesetzten noch nicht mal zum Wachtmeister gebracht. Erst langsam erkennen sowohl der Leser als auch Biddling, welch hervorragender Polizeibeamter Braun ist. Es macht Spass, zu verfolgen, wie zwischen Vorgesetztem und Untergebenem nach und nach die Schranken fallen und beide zu Freunden werden. Dazu Viktoria Könitz, die sowohl mit Biddling auf Konfrontationskurs geht als auch Widerstand gegen ihre Verwandtschaft zeigt und hier als intelligente Frau für die beginnende Emanzipation steht. Auch die Charaktere der Nebenrollen wurden nicht vernachlässigt und sind ebenso greifbar dargestellt wie die Hauptdarsteller.

Das Buch ist in Inhalt und Qualität weniger mit Anne Perrys viktorianischen Romanen - die wesentlich oberflächlicher sind - vergleichbar als mit den Krimis von Caleb Carr, die etwa zur selben Zeit in New York angesiedelt sind. Wie dieser hat auch Nikola Hahn bekannten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte mittelgroße Rollen zugedacht. So findet sich nicht nur der von Anarchisten ermordete Polizeirat Dr. Rumpff, sondern auch der Irrenarzt Dr. Heinrich Hoffmann wieder, besser bekannt als Erfinder des Struwwelpeter. Dies verleiht der fiktiven Geschichte einen Hauch von Authentizität.

Jedem Kapitel vorangestellt ist ein kurzer Abschnitt aus dem "Practischen Lehrbuch der Criminal-Polizei von 1860":

 

"Eins der vorzüglichsten Mittel zur Überführung einer verdächtigen Person bildet die Haussuchung. Bei der Durchsuchung der Meubles ist namentlich auf geheime Schubfächer Acht zu geben. Man entdeckt diese am Besten, wenn man den cubistischen Inhalt der Meubles mit dem Inhalte der in solchen befindlichen Kästen oder Abtheilungen vergleicht."

 

Gut recherchiert zeigt Nikola Hahn den Beginn der Nutzung moderner Methoden bei der Aufklärung von Verbrechen. Die Erkenntnis, dass jeder Mensch unterschiedliche und unveränderliche Fingerlinien besitzt, war zur damaligen Zeit nur sehr vereinzelt bekannt und innovative Polizeibeamte hatten es schwer, sich gegen konservative Vorgesetzte durchzusetzen.

Wie die Charaktere, so entwickelt sich auch die zunächst recht belanglose Story zu einem spannenden Kriminalfall, in den man sich nicht nur als Frau, sondern auch als Mann sehr gut hineinversetzen kann. Immer wieder neue Verwicklungen und überraschende Wendungen lassen nach und nach auch das Beziehungsgeflecht zwischen den Personen hervortreten und fesseln den Leser bis zum Ende. Das Flair des alten Frankfurt verschafft eine ungewöhnliche Atmosphäre zwischen gutbürgerlichen Herrenhäusern und Sachsenhäuser Äbbelwoikneipen.. Gesellschaftskritik und die Anfänge der modernen Kriminalistik vereint die Autorin mit viel Humor und einer Liebesgeschichte zu einem unterhaltsamen Roman, der das Frankfurt des 19. Jahrhunderts lebendig rüberbringt.

Die Detektivin

Nikola Hahn, von Schröder

Die Detektivin

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