Königstöchter
- Heyne
- Erschienen: Januar 2018
- 1
- Köln: Graufisch Medien, 2014, Seiten: 365, Originalsprache
- München: Heyne, 2018, Seiten: 320
Weit mehr als ein Regionalkrimi
Zunächst sieht alles nach einem unglückseligen Unfall aus, als die 78-jährige Bewohnerin der Stiftung auf äußerst tragische und entsetzliche Art aus dem Leben scheidet. Während Ira Wittekind für die Tagezeitung "Tag 7" darüber berichten muss, erfährt sie im Rahmen ihrer Recherche, dass die Tote Maria Klabunde seit Kindheitstagen sehr eng mit drei weiteren Damen aus der Residenz befreundet war. Als ein weiterer Teil dieses vierblättrigen "Kleeblattes" unerwartet stirbt, ahnt Ira, dass dies kein Zufall sein kann.
Aber warum sollte man zwei betagte Bewohnerinnen der Residenz, die beide schon geistig verwirrt waren, töten? Alle Fäden scheinen in der Stiftung "Morgenstern" zusammenzulaufen. Ina wittert eine große Story. Als sie das Geheimnis der Frauen entdeckt, erkennt sie aber, welches Drama dahintersteckt: eine Geschichte aus der Vergangenheit, deren Ausmaß all ihre Vorstellungskraft übersteigt.
Bewegender Fall, der auch den Leser nicht kalt lässt
Das Grauen des Romans entfaltet sich nach und nach, wenn Ira Wittekind die unfassbaren Vorfälle der Nachkriegszeit im Laufe dieses Krimis immer weiter aufdeckt. Berling beschreibt die Ereignisse der damaligen Zeit in einer schonungslosen Offenheit, die den Leser unsagbar berührt.
Die Autorin konfrontiert ihn mit den Abgründen der menschlichen Seele und führt die Brutalität und Gewissenlosigkeit der Nachkriegszeit mit ausdrucksstarken Schilderungen für den Leser nahezu greifbar vor Augen. Diese Bilder treffen den Leser regelrecht ins Mark und hinterlassen auch nach all den Jahren immer noch Fassungslosigkeit und Wut. Die Entwürdigung eines menschlichen Lebens scheint keine Grenzen zu kennen.
Der Umgang mit den Schrecken der Vergangenheit
Aber Berling bleibt nicht nur bei der Darstellung der damaligen Ereignisse, sondern stellt gleichzeitig auch die Frage, wie Menschen, die dieser entsetzlichen Grausamkeit und unglaublichen Erbarmungslosigkeit ausgesetzt waren, mit ihrem Schicksal leben können. Genau das sind die Momente, in denen die aktuellen Mordfälle ob der menschlichen Tragödien schon fast zur Nebensache werden.
Mit enormer Sensibilität zeigt Berling hier ihre Hauptfigur, die Reporterin Ira, die dem Ganzen ebenso fassungslos ausgesetzt wird wie der Leser. Die Autorin lässt an diesen Stellen einfach ihre Figuren sprechen. Es erscheint fast schon egal, wer für die aktuellen Mordfälle verantwortlich ist, wenn man weiß, dass die eigentlichen Täter - ja, man muss schon sagen "Monster" - in der Vergangenheit zu suchen sind.
Glaubwürdige Figuren und realistische Charaktere
"Königstöchter" ist der zweite Roman der Ira-Wittekind-Reihe. Auch in diesem Fall kommt das Privatleben der Reporterin und ihres Freundes Andy Weyer nicht zu kurz, dominiert aber niemals die Handlung. Oftmals dient Iras Freund auch eher als Reflektorfigur für die Reporterin, um das, was ihre Recherchen und Ermittlungen ergeben, richtig einordnen und bewerten zu können. Der Leser hat hier die Möglichkeit, selbst zu einer Einschätzung der Ereignisse zu kommen.
Auch die beiden im ersten Fall eher humorvoll angelegten älteren Damen, Tante Sophie und Tante Friedchen, die mit ihrem original-westfälischen Charme zusammen mit Andy und der Familie seines Bruders Thomas auf "Hof Eskendor" leben, wirken dieses Mal oftmals nachdenklich, wenn sie sich an die Ereignisse aus der Vergangenheit erinnern. Unnötige Albernheiten wären hier auch fehl am Platz. Dennoch sorgen sie mit ihren Eigenheiten auch in diesem Roman für Phasen der Entspannung, die der Handlung - und dem Leser - gut tun.
Zwar tritt mit Kommissar Brück auch ein polizeilicher Ermittler auf, der allerdings eine fast schon zu vernachlässigende Nebenrolle spielt. Grundsätzlich kommt der Roman auch ohne ein Ermittlerteam aus und dennoch bleibt er bis zum Schluss glaubwürdig und absolut realistisch.
Gut recherchierter Krimi mit viel Tiefgang
Carla Berling arbeitete jahrelang als Lokalreporterin und Pressefotografin. Beides spürt man auf jeder Seite des Romans, wenn sie ihre Hauptfigur Ira ermitteln lässt. Sprachlich genau schreibt die Autorin kein Wort zuviel und wie bei einer guten Reportage hat der Leser stets das Gefühl dabei zu sein. Das Thema des Romans ist gut recherchiert und brillant umgesetzt, ohne dabei oberflächlich zu sein oder ins Klischeehafte abzurutschen.
Die Hauptfigur Ira Wittekind ist keine klassische Ermittlerin, sondern eine Reporterin, der es zunächst um die Story geht, die aber spätestens nach dem zweiten Mord wissen will, was in der Nachkriegszeit genau geschehen ist. Sie gehört keineswegs zu den "Geiern der Presse", sondern zeigt eindringlich, dass auch Reporter nur Menschen sind, denen die Schicksale, über die sie berichten müssen, nicht gleichgültig sind. Ira ist in erster Linie Mensch und erst in zweiter Linie Reporterin. Dies nimmt man der Figur genauso ab wie die Entscheidungen, die sie innerhalb des Romans trifft. Diese sind nicht immer korrekt, aber zutiefst menschlich und nachvollziehbar. Als Leser möchte man oft sagen: "Richtig gemacht, Ira!"
Carla Berling - ein Gewinn für die Krimilandschaft
Wer sagt, dass so genannte Regionalkrimis langweilig und albern seien, sollte "Königstöchter" unbedingt lesen. Er wird seine Meinung möglicherweise grundlegend ändern. Die Handlung des Romans kennt keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Ohne unnötig zu psychologisieren, zeigt die Autorin die Abgründe der menschlichen Seele auf und spricht ein Thema an, dass lange Zeit tabuisiert wurde und auch heutzutage leider nichts an Aktualität eingebüßt hat. Auch nach der Lektüre wirkt der Roman noch nach. Carla Berling schockiert mit ihrer klaren Sprache und erbarmungslosen Offenheit. Sie berührt. Und sie klagt an.
Carla Berling, Heyne
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