Der Stier und das Mädchen
- Edition M
- Erschienen: Januar 2017
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- Reykjavík: Sögur, 2015, Titel: 'Nautið', Seiten: 233, Originalsprache
- Luxembourg: Edition M, 2017, Seiten: 240, Übersetzt: Karl-Ludwig Wetzig
Isländischer Noir führt tief in menschliche Abgründe
Die junge Australierin Melanie und ihre Zufallsbekanntschaft Frida, eine Schwedin, sind gemeinsam im isländischen Hochland unterwegs, um sich die ungewöhnliche und teilweise atemberaubende Landschaft anzusehen. Als ihr Leihwagen liegen bleibt, und sie kein Handy-Netz haben, machen sie sich auf den Weg zu einem einsam gelegenen Bauernhof, wo sie ein grausige Entdeckung machen - drei brutal getötete Menschen.
Die drogenabhängige Hanna und ihr Freund Rikki leben in der Hauptstadt Reykjavik in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Hanna ist mit dem Gangsterboss Anton Isaaksson verlobt, will sich aber mit ihrer wahren Liebe Rikki ins Ausland absetzen. Dafür brauchen die beiden dringend Geld. Der Versuch, den ausgebufften Verbrecher Isaaksson um einen Beutel gestohlener Diamanten zu erleichtern, setzt eine Kette tragischer Ereignisse in Gang - die schließlich auf dem Bauernhof im Hochland ihr dramatisches Finale finden.
Die bunten Illusionen von Ehre, Liebe und Anstand platzen
Der Isländer Stefán Máni ist in Deutschland noch weitgehend unbekannt, auf seiner Heimatinsel hat er für einige seiner bislang 13 Bücher immerhin schon zweimal den isländischen Krimipreis bekommen. Der Stier und das Mädchen ist ein ungewöhnlich aufgebauter Kriminalroman, denn die Handlung beginnt mit dem Auffinden der brutal zugerichteten Leichen auf dem Bauernhof in der Einöde des isländischen Hochlands. Der Autor rollt die Geschichte dann rückblickend auf - und dringt dabei tief in die Abgründe gescheiterter Existenzen und zerrütteter Familien vor.
In meinen Augen hat Stefán Máni hier eine Art isländischen Noir vorgelegt. Wie an anderer Stelle schon ausgeführt, sollte man Noir nicht als Genre, sondern eher als eine Art Farbe sehen. Es geht dabei darum, den Farbschleier von der Wirklichkeit zu ziehen, um die bunten Illusionen von Ehre, Liebe, Anstand platzen zu lassen. Noir muss unter die Haut gehen - und das gelingt Máni mit seinem Roman auf jeden Fall.
Eine schreckliche Kindheit auf dem Bauernhof in der Einöde
Seine Protagonisten sind allesamt Verlierer - auf die eine oder andere Art. Alle wollen ein besseres Leben, oder bilden sich ein, schon das Beste aus ihrer Existenz zu machen. Das Ende kommt in allen Fällen ebenso brutal wie überraschend.
Hanna hat eine schreckliche Kindheit auf dem Bauernhof in der Einöde verbracht. Zumindest ab dem Zeitpunkt, als sie alt genug war, von ihrem Vater missbraucht zu werden. Ihrer bedauernswerten Existenz ist sie dann entflohen, nachdem sie sich einige Jahre noch liebevoll um ihren Bruder gekümmert hat. Er ist auch der einzige, zu dem sie noch sporadischen Kontakt hat, und um den sie sich Sorgen macht. Dabei hat sie selbst in Reykjavik keineswegs ihr Glück gefunden, sondern pendelt zwischen dem sadistischen Verbrecher Isaaksson und ihrem Freund Rikki, der allerdings ebenfalls keine vom Schicksal begünstigte Figur ist.
Hoffnung, Gier, Verzweiflung, Hass - hier sind starke Emotionen im Spiel
Neben Hanna und ihrem tragischen Schicksal wirkt Rikki als Figur eher blass. Er ist ein typischer Kleinkrimineller, der nie den Sprung vom Handlanger zum gestandenen Gangster schafft. Seine Verbindung zu Hanna entpuppt sich am Ende als Zweckbündnis - Liebe war da wohl nur verbal im Spiel.
Beeindruckender ist da schon Hannas Familie auf dem Einöd-Hof. Dazu kann man nicht viel mehr verraten, ohne zu spoilern. Aber die Familiengeschichte ist ein zentrales Element des Romans. Und sie zeigt, dass das Leben auf dem Land und in der Stadt gar nicht so verschieden sein muss. Die Hölle kann schließlich überall sein.
Stefán Máni hat mit seinem Deutschland-Debüt einen ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Romane vorgelegt. Seine Figuren sind allesamt vom Leben gezeichnet, egal wie jung sie noch sind. Hoffnung, Liebe, Gier, Verzweiflung, Hass - hier sind starke Emotionen im Spiel, und gehandelt wird nur selten mit Überlegung. Wenn man sich auf den ungewöhnlichen Erzähl-Stil einlässt, wird man mit viel Stimmung und Spannung belohnt. Der Autor hat nach eigener Aussage schon einiges erlebt - und das transportiert er in sein Buch, was es wirklich lesenswert macht.
Stefán Máni, Edition M
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