Das stumme Mädchen
- Black dot
- Erschienen: Januar 2015
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- Leeds: Black dot, 2015, Titel: 'Stranger child', Seiten: 366
- München; Berlin: Piper, 2017, Seiten: 378, Übersetzt: Karin Dufner
Aufholjagd nach glattem Fehlstart
Emmas Leben könnte perfekter nicht sein. Mit ihrem Mann David lebt sie in einer liebevollen Ehe, ihr neugeborener Sohn Ollie ist ihr ganzes Glück. Doch David hat eine dunkle Vergan-genheit: Bei einem mysteriösen Autounfall starb seine erste Frau, ihre gemeinsame Tochter Natasha verschwand spurlos. Sechs Jahre später taucht die Kleine wie aus dem Nichts wie-der auf. David ist außer sich vor Freude. Doch Emma wird das Gefühl nicht los, dass von dem schweigsamen Mädchen eine Bedrohung ausgeht. Sie wird zunehmend paranoid, lässt das Kind nicht mehr aus den Augen. Und kann dennoch nicht verhindern, dass ihr schlimms-ter Albtraum wahr wird...
Wenn früher ein Kleidungsstück unrettbar verloren war, pflegte Mutter Bongenberg die Debat-te um die Nochtragbarkeit mit den Worten "Das hat ein Loch, da kannst du die Faust durch-stecken" zu beschließen - und das war es. Ab in den Sack. An diese Szenarien fühlte ich mich bei den ersten Kapiteln von Abbotts "Das stumme Mädchen" erinnert. Handlungen mit Logik-Löchern - so groß, da hätte eine Faust in jedem Fall durch gepasst.
Die Autorin erzählt von der sechsjährigen Natasha, die bei einem Autounfall auf unerklärliche Weise verschwand. Ebenso unerwartet steht die jetzt Zwölfjährige bei ihrem Vater und dessen neuer Ehefrau in der Küche und was passiert - bzw. was passiert nicht? Es wird keine Polizei informiert, es taucht kein Kinderpsychologe auf und es wird keine Kleidung konfisziert, um anhand der anhaftenden Fasern Rückschlüsse auf den möglichen Aufenthaltsort des Kindes zu ziehen. Wenn Sie diese Reaktion jetzt als angemessen empfinden, danke ich Gott auf den Knien für den Tag, an dem Sie den Berufswunsch "Polizist" verwarfen. Aber offenbar sieht Natashas Vater das genauso:
Emma schluckte ihren Ärger hinunter. "Ich habe gar niemanden angerufen. Ich wollte die Polizei verständigen, aber&" "Die Polizei?" Als David sich zu Emma umdrehte, zuckte sie angesichts seines Tonfalls leicht zusammen. "Warum wolltest du die Polizei verständigen?"
Die irgendwann dann doch dazu gerufene Polizei stellt dann tatsächlich ein paar Fragen und als die nicht zufrieden stellend beantwortet werden, zieht sie sich genauso Schulter zuckend zurück und nimmt sich mit mäßigem Interesse noch einmal der alten Akten an. Soweit also "Business as usual":
Naivität und Unbedarftheit führt zu einem weiteren Verbrechen
In dieser Zeit schlagen sich Emma und David weiter mit der "verlorenen" - und wie im Titel versprochenen mehr oder weniger "stummen" - Tochter herum. Hier stellt sich immer wieder die Frage, warum sich dieses Paar von einem zwölfjährigen Fünfkäsehoch dermaßen den Schneid abkaufen lässt, wobei insbesondere die Heldin Emma schon fast in eine Angststarre verfällt. Sofern sie nicht in passenden und unpassenden Momenten das "Bäuchlein" ihres aber-ach-so-süßen kleinen Sohnes Ollie kitzeln muss, versteht sich.
Unklar auch, warum der immerhin gestandene, wenn auch unterbelichtete David seine of-fensichtlich nicht gefestigte Tochter allein mit einem Kleinkind einen Spaziergang machen lässt, ohne diese zu begleiten oder zumindest im Auge zu halten. Hier überrascht dann nicht, dass so viel Naivität und Unbedarftheit zu einem weiteren Verbrechen führt.
Wer aber nach diesen Einleitungen dazu geneigt ist, die "Ab-in-den-Sack-Methode" meiner Mutter zu wählen, stellt - sofern er sich gegen diese Variante entscheidet - verblüfft fest, dass sich der Krimi dann doch spannend und rasant entwickelt. In einem fast schon atembe-raubenden Tempo führt Rachel Abbott durch eine Geschichte, die sich immer verwickelter präsentiert und von einem Drama in das nächste führt.
Dabei werden nicht nur die Leben des eingangs vorgestellten Paares David und Emma be-rührt, sondern auch das des ermittelnde Detektiv Tom Douglas wird gehörig durcheinander gewirbelt. Dabei war der hier im dritten Band seiner Aktivitäten und verbandelt mit seiner Freundin Leo offensichtlich ein wenig zur Ruhe gekommen.
Kurios wiederum, dass die Geschichte um Emma und David und ihre Kinder aufgelöst - wenn auch nicht komplett zu Ende geführt wird, wogegen die von Tom Douglas am Besten durch den Satz beschrieben wird "Der Vorhang zu und alle Fragen offen".
Aber immerhin: Nach einem derartigen Fehlstart war mit einer solchen Entwicklung nicht mehr zu rechnen, so dass zu guter Letzt dann doch ein versöhnliches Ende und damit auch eine versöhnliche Wertung eintritt. Aber so versöhnlich, um einen "Treffer" zu markieren, ist sie dann doch nicht - 70°.
Rachel Abbott, Black dot
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