Pilzekrieg
- Rotbuch
- Erschienen: Januar 2003
- 2
- Hamburg: Rotbuch, 2003, Seiten: 220, Originalsprache
Neue Impulse für den ´deutschen Krimi´
"O du schöner Westerwald... "
Ganz so beschaulich, wie man von diesem Streifen zwischen Köln und Frankfurt vermutet, geht es wahrlich nicht zu. Nicht nur, dass vor etwa 100 Jahren eine lupenreine Hexenverbrennung in diesem beschaulichen Fleckchen Land stattgefunden hat, nein: Im Forst treiben eigenartige Menschen ihr Unwesen.
Da ist der 28jährige Sebastian Knooth, der eigentlich unter dem Messer in der örtlichen Klinik landen sollte, um sich einer Magenverkleinerung zu unterziehen. Wen wundert´s, der Schwergewichtige Bremer hat das Freiluft-Camping im Wald mit Notebook und Sixpacks Bier dem Aufenthalt im Krankenbett vorgezogen. Da ist aber auch der alte Postbote Backes, ein Pilzefreak, in dessen Revier gewildert wird - wer hat seine Pilze gefunden und geschnitten? Nicht zu vergessen der Legenden-umwobene "Kreuzemaler", der seit Jahren schweigsam die Wegkreuze neu streicht.
Aber die drei sind nicht das einzig Merkwürdige im Wald. Auf Knooth wird geschossen, auffallend viele Schweine-Kadaver werden in letzter Zeit gefunden, schließlich auch noch die Überreste eines Menschen - gekocht, wohlgemerkt. Kein Fleisch mehr an den Knochen, nur das Gehirn ist noch vorhanden. Und ausgerechnet der "Kreuzemaler" spricht wieder. Zwar nur zu Knooth, doch auf eine sehr bedrückende Art und Weise: "Et könnt noch lewwe. Datt arm Ding."
"Heute wollen wir marschier’n, einen neuen Marsch probier’n,
in dem schönen Westerwald, ja, da pfeift der Wind so kalt;"
Roger M. Fiedler kultiviert in seinem "Pilzekrieg" nicht nur eine kriminalliterarisch weitgehend unbefleckte Region als Krimi-Schauplatz, sondern geht auch in Sprache und Struktur neue Wege. Ganze 42 Kapitel bringt er auf weniger als 200 Seiten unter, springt dabei so munter von der Perspektive des Ich-Erzählers Knooth zu der des allwissenden Erzählers, der die Leutchen im Westerwald bei ihren ganz eigenen Tätigkeiten beobachtet, dass dies dem Leser einiges an Konzentration abverlangt. Dazu zahlreiche Fußnoten und Zitate aus zeitgenössischen Werken wie zum Beispiel aus dem "Buch der Frau. Handbuch der christlichen Frauen in ihrer Stellung als Gattin, Hausfrau, Mutter und Erzieherin" (Saarloius, 1912), die der Handlung einen historischen Background (und Authentizität!) verleihen.
Der ersten Verwirrung fügt Fiedler eine weitere Irritation hinzu: Die Kapitel sind mit englischen Satzfragmenten wie "Aroynt thee, which" oder "When the hurlyburly´s" überschrieben. Der findige Leser wird´s merken: Fiedler zitiert damit Shakespeares "Macbeth", genauer gesagt Akt 1, Szene 1 und 3. Dass diese Macbeth-Bruchstücke auch noch mit den Kapitel-Inhalten wunderbar korrespondieren, ist schon eine großartige Leistung des Autors.
Zeugen die Schilderungen des Kampierens im Wald, des besonderen Menschenschlags und die historischen Anmerkungen von großer Sorgfalt und umfangreicher Kenntnis und Recherche, ist es auch Fiedlers Schreibstil der überzeugt. Als Ich-Erzähler Knooth modern, bildhaft, grüblerisch, ähnlich eines Stuckrad-Barre, auf der anderen Seite der beobachtende Erzähler, der den Westerwäldlern ganz genau auf den Mund schaut.
"Ist das Tanzen dann vorbei, gibt es meistens Keilerei,
und vom Bursch, den das nicht freut, sagt man, der hat ja keine Schneid;"
Roger M. Fiedler versteht zweifellos viel von seinem Handwerk und hat mit "Pilzekrieg" eine Art Soundtrack zur dort stattfindenden Criminale 2003 geschrieben. Jedoch ist sein vierter Krimi, mit dem er die Gorski-Reihe um den Münchner Privatdetektiv verlässt, kein Krimi fürs Lesen "nebenbei". Durch Knooths melancholisch-philosphische Monologe, die Wechsel in Perspektive, Zeit und Schreibstil, die dadurch manchmal nur angedeutete Handlung, verlässt der Leser, soweit er Fiedlers Roman nicht seine ungteilte Aufmerksamkeit geschenkt hat, den Westerwald recht ratlos.
Achtet man jedoch auf all die verstreuten Details und Fingerzeige, die nie explizit erläuterten Zusammenhänge, muss man Roger M. Fiedler für seinen "Pilzekrieg" hohe Anerkennung zollen: So hat noch kein deutscher Autor einen Krimi geschrieben. Kein Werk fürs breite Publikum, kein kleinbürgerliches Sittengemälde, auch der Begriff "literarisches Experiment" würde "Pilzekrieg" nicht gerecht werden, sondern ein mutiger Roman, der in keine Schublade passen will, mit dem der Autor sich deutlich abhebt und dem "deutschen Krimi" neue Impulse gibt - alle Achtung!
Roger M. Fiedler, Rotbuch
Deine Meinung zu »Pilzekrieg«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!