Der große Plan
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: Januar 2017
- 6
- Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017, Originalsprache
Dengler erklärt die Griechenlandkrise
Der Stuttgarter Privatdetektiv Georg Dengler, einst für das BKA in Wiesbaden aktiv, erhält einen lukrativen Auftrag. Er soll für das Auswärtige Amt das Verschwinden von Anna Hartmann, die als Mitarbeiterin an die europäische Troika ausgeliehen war, aufklären. Dazu bedarf es eines Berliner Büros und einer weiteren Mitarbeiterin, die er in der attraktiven Petra Wolff findet. Diese löst nicht nur das Problem mit der Berliner Zweigstelle umgehend, sondern sorgt auch gleich für ordentliche Rechnungen, so dass Dengler zumindest finanziell mal wieder durchatmen kann.
Mit Hilfe seiner Freundin Olga gelingt es, den Mieter des Wagens aufzufinden, in dem Hartmann vermutlich entführt wurde. Ein zufällig entstandenes Amateurvideo legt diesen Verdacht jedenfalls nahe. Doch kaum hat Dengler die erste Spur aufgenommen, wird der Mieter des Wagens quasi vor seinen Augen erschossen. Dengler lässt kurzerhand dessen Handy mitgehen bevor er vom Tatort verschwindet. So gelingt es der Hackerin Olga herauszufinden, mit wem der Mann zuletzt telefonierte. Eine weitere Spur die allerdings ebenfalls tödlich verläuft. Wann immer Dengler eine verdächtige Person beschattet oder befragen möchte, wird diese vor seinen Augen ermordet.
Dengler konzentriert sich auf Hartmanns berufliche Aktivitäten, da er hier das Motiv der Entführer vermutet. Hartmann arbeitete für die Troika und somit an dem Rettungspaket für Griechenland. In Athen lernte sie allerdings den Künstler Petros kennen, der ihr die Augen für die harten Lebensbedingungen der griechischen Bevölkerung öffnete. Dengler versucht, sich mit Hilfe von Olga und Petra sowie seinen Freunden Mario, Leopold Harder und Martin Klein einen Überblick über die Hintergründe der Griechenlandkrise zu verschaffen. Auch Petros und Denglers Sohn Jakob sind mit von der Partie. Dabei entdecken sie eine in jeder Hinsicht griechische Tragödie...
Vom Massaker von Distomo bis zum deutschen medialen Overkill
"Der faule Grieche für den wir deutsche Milliarden verbrennen." Die schreierischen Schlagzeilen der Medien hierzulande sind noch in bester - bester gesagt schlechter - Erinnerung. Wolfgang Schorlau, der für scharfsinnige "politische Kriminalromane" bekannte Autor, schickt in seinem bereits neunten Fall, seinen unerschütterlichen Privatdetektiv Georg Dengler ins Rennen. Übermächtige Gegner scheinen ihm immer einen Schritt voraus, was dem toughen Ermittler bald schmerzhaft bewusst wird.
Schwerere Verletzungen dürfte er sich bislang jedenfalls noch nicht zugezogen haben. Kleiner Schwachpunkt des ansonsten überzeugenden Romans vorab: Bei den zahlreichen Dialogen werden die Personen mal mit Vor-, mal mit Nachnamen und nicht selten mit Vor- und Nachnamen genannt.
"Selbst wenn ich Geld hätte, Griechenland ist für mich gestorben."
"Warum?"
"Die verprassen unser Geld. Wir zahlen für die, weil die den ganzen Tag nur in der Sonne liegen und Ouzo trinken."
"Als ich auf Kreta war, lagen nur Touristen in der Sonne. Und den meisten Ouzo tranken die."
Der Krimiplot spielt in zwei Erzählsträngen. Zunächst gibt es die aktuellen Geschehnisse, in denen der Autor geschickt die Ermittlungen nutzt, um "ganz nebenbei", aber in aller Schärfe und Ausführlichkeit, die so genannte Griechenlandkrise zu erläutern. Denn, nur dies sei hier erwähnt, die Milliarden Euro, die unter dem "Rettungsschirm" hinausgeschmissen wurden, landeten vornehmlich auf den Konten deutscher und französischer Banken; nur ein minimaler Teil in Griechenland. Die vermeintliche Griechenlandkrise entpuppt sich in Wahrheit als eine Spekulation der internationalen Finanzmärkte und Hedgefonds gegen den Euro; der leichteste Angriffspunkt war der schwächste EU-Staat.
Wie das zusammenhängt, beschreibt Schorlau höchst detailverliebt. Hier verlässt er vorübergehend das Format des Kriminalromans, man liest eher ein Fachbuch für Wirtschaftswissenschaft und stellt erstaunt fest, dass die meisten Milliarden für Griechenland in Wirklichkeit auf den Konten deutscher und französischer Banken landeten.
Warum während der Griechenlandkrise die deutschen Medien diese Aspekte nie aufgriffen, sondern immer nur die Klischees vom "faulen Griechen" bedienten, bleibt deren Geheimnis. Sorgfältige journalistische Recherchen können jedenfalls nicht der Grund gewesen sein. Vielleicht lag der Grund darin, dass - frei nach einem deutschen Politiker - Teile der Antwort die Leser verunsichert hätten.
"Wie viel Geld ist in diesen Waps unterwegs?"
"Es gibt keine Meldepflicht für diese Geschäfte. Man kann sie nur schätzen. Der korrekte Name dafür ist übrigens der englische Begriff credit default swap oder abgekürzt CDS. Es gibt in den USA eine Datensammelstelle für CDS, die Depository Trust & Clearing Corporation. Diese schätzen, dass für - und jetzt haltet euch fest - 22 Billionen Dollar, also 19 Billionen Euro, Swaps gehandelt werden."
"Nur zum Vergleich: Der Bundeshaushalt von 330 Milliarden Euro ist ein Nasenwasser im Verhältnis zu der Summe, die durch diese SWAPS bewegt wird."
Im zweiten Erzählstrang geht es um Otto Hartmann, Annas Großvater, der zu Lebzeiten ein hohes Tier der Deutschlandbank war. Sein Lebensweg beginnt jedoch als Sohn eines Stallmeisters auf dem Gut derer von Mahnkes. An der Seite von SS-Obersturmbannführer Gero von Mahnke zieht es Otto Hartmann während des Krieges nach Griechenland, wo die Bevölkerung unter den deutschen Besatzern schrecklich leidet.
Die Hungersnot 1941/42 mit zehntausenden Toten wird beschrieben, ebenso wie das für den weiteren Verlauf der Handlung wichtige Massaker von Distomo, bei dem am 10. Juni 1944 eine SS-Einheit rund 1.800 Dorfbewohner tötete. Wie diese beiden Erzählstränge letztlich miteinander zusammenhängen, wird nicht jeden Leser überraschen, dennoch ist der Werdegang des Großvaters zu Kriegs- und Nachkriegszeiten äußerst informativ. Hier erfährt man auch, warum es bis heute keine (wirklichen) Reparationszahlungen Deutschlands an Griechenland gegeben hat.
Politisch interessierte Leser kommen an dem neuen Roman von Wolfgang Schorlau nicht vorbei. Die Hintergründe sind ebenso atemberaubend wie verstörend. Immerhin versteht man jetzt ein bisschen besser, wie die große Welt des Kapitalismus funktioniert. Mit viel Fantasie und ebenso wenig Skrupeln. Darauf einen Ouzo oder Tsipouro. Besser gleich mehrere.
Wolfgang Schorlau, Kiepenheuer & Witsch
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