Es beginnt am siebten Tag

  • HarperCollins
  • Erschienen: Januar 2016
  • 1
  • London: Killer Reads, 2015, Titel: 'After Anna', Seiten: 309, Originalsprache
  • Hamburg: HarperCollins, 2016, Seiten: 470, Übersetzt: Stefanie Kruschandl
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Andreas Kurth
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2017

Wenn der Feind unbemerkt hinter dir steht

Der Termin von Rechtsanwältin Julia Crowne dauert länger als geplant. Ihr Handy-Akku ist alle, sie kann die Schule also nicht benachrichtigen, dass sie ihre Tochter nicht rechtzeitig abholen wird. Als sie endlich ankommt, beginnt der absolute Albtraum einer Mutter - die fünfjährige Anna ist verschwunden. Familie, Lehrer, Polizei, Freunde - fieberhaft wird nach dem Mädchen gesucht. Sechs Tage voller Angst, Vorwürfe und sogar Medienhetze zermürben Julia, um deren Ehe es ohnehin nicht zum Besten steht. Am siebten Tag ist Anna plötzlich wieder da - ohne äußere Verletzungen. Aber sie erinnert sich auch nicht an die vergangenen sechs Tage. Aber für Julia ist der Alptraum noch lange nicht vorbei. Offenbar ging es nicht um das entführte Mädchen, sondern um Julias Familie und um ihr Leben, dass nun zerstört werden soll. Ehemann Brian, und vor allem seine Mutter Edna, versuchen Julia ihr Kind wegzunehmen. In den sozialen Medien bricht ein Shitstorm los - und für Julia die Welt zusammen.

Tiefe Einblicke in das Seelenleben einer verzweifelten Mutter

Der erste Roman von Alex Lake ist ein tiefgründiges Buch, das nicht unbedingt von atemloser Spannung lebt, wie die Einstufung als Thriller vermuten lässt. Vielmehr wird hier ein Konflikt geschildert, der in kleinen Schritten immer weiter eskaliert. Wer als Leser glaubt, ihm sei die Spannung genommen, weil er aus dem Klappentext weiss, dass Anna nach sechs Tagen wieder da ist, sieht sich getäuscht. Schon während der Entführung ist in dieser kleinen Familie die Hölle los - und nach der Rückkehr des Kindes ist nichts mehr wie es einmal war.

Der Autor präsentiert zwei Erzähl-Perspektiven. Neben der Sicht von Julia ist auch früh die Tätersicht zu verfolgen, die aber auf eigentümliche Art geschildert wird. Der Entführer führt seltsamerweise eine Art Selbstgespräch. Es dauert allerdings einige Zeit, bis man daraus brauchbare Schlüsse ziehen kann.

Daneben geht es vor allem um Julia, die im Zentrum der Ereignisse steht. Der Autor gibt tiefe Einblicke in das Seelenleben einer Mutter, die verzweifelt um ihr Kind kämpft. Dabei ist sie sogar bereit, ihr eigenes Leben einzusetzen.

Edna ist ein absoluter Alptraum als Schwiegermutter

In seinem ersten Roman entwickelt Alex Lake einen ebenso eigenwilligen wie interessanten Erzählstil. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der Jagd nach dem Täter, obwohl auch das eine wichtige Rolle spielt. Vielmehr geht es darum, was Julia Crowne erdulden muss, nachdem ihre Tochter wieder aufgetaucht ist.

Ihre Ehe mit Brian ist gescheitert, schon lange bevor es zu den dramatischen Ereignissen kommt. Jetzt hagelt es gegenseitige Vorwürfe, und der öffentliche Druck setzt Julia zusätzlich enorm zu.
Brian ist ein echtes Muttersöhnchen, kann sich gegen Edna überhaupt nicht durchsetzen, sondern wird von ihr ständig manipuliert. Er denkt nicht mal im Ansatz daran, Verständnis für seine Ehefrau aufzubringen. In der Geschichte spielt er im Grunde nur eine Nebenrolle, und eine eher traurige dazu.

Julias Antagonistin ist Edna, ein Alptraum von einer Schwiegermutter. Sie als arrogant zu bezeichnen ist im Grunde noch eine viel zu schwache Charakterisierung. Ihre psychopathischen Züge werden immer weiter enthüllt - und Julias Verzweiflung wächst.

Alex Lake ist mit seinem Buch voll auf der Höhe der Zeit

Die Ermittlungsarbeit der Polizei spielt in diesem Roman eine eher untergeordnete Rolle. Interessant ist dagegen, wie hier die Rolle der Medien beleuchtet wird, vor allem die Wirkung der sozialen Netzwerke. In dieser Hinsicht ist Alex Lake mit seinem Buch voll auf der Höhe der Zeit. Wenn Kinder vermisst werden, wird in den sozialen Netzwerken sofort heftig debattiert. Es wird wild spekuliert, und es werden vernichtende moralische Urteile gefällt.

Die Reporter und auch die Reaktionen im Internet, einschließlich das Verdrehen oder Erfinden von angeblichen Fakten, wird überzeugend geschildert. Mir erscheint es mehr als realistisch, wie das Leid der Familie ausgeschlachtet wird. Die heutige Form der Berichterstattung, und vor allem die Echtzeit-Kommunikation im Internet könnte den einen oder anderen Leser zum Nachdenken bringen.

Ein Teil des möglichen Nervenkitzels wird verschenkt

Es beginnt am siebten Tag ist kein Thriller im üblichen Sinne. Alex Lake hat hier vielmehr ein spannendes und fesselndes Psycho-Drama vorgelegt. Die knisternde Spannung, die man als Leser erwartet, wenn ein Buch als Thriller deklariert wird, wird hier nicht entwickelt. Wer stärker mit Julia Crowne, der gequälten Protagonistin, mitfühlt, wird das möglicherweise anders sehen. In meinen Augen setzt der Autor vor allem auf unterschwellige Spannung und Dramatik - was ja nicht schlecht ist. Der Klappentext sollte bei diesem speziellen Buch etwas weniger von der Geschichte verraten. Ein Teil des möglichen Nervenkitzels wird so verschenkt. Das gilt leider auch für den Titel. Im Original heißt das Buch After Anna. Daraus Es beginnt am siebten Tag zu machen, ist nicht besonders kreativ. Dennoch eine unterhaltsame und lohnenswerte Lektüre - für Klappentext und deutschen Titel kann ja der Autor nichts.

Es beginnt am siebten Tag

Alex Lake, HarperCollins

Es beginnt am siebten Tag

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