Eiskalt funkelt der Tod
- Knaur
- Erschienen: Januar 2006
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- Toronto: HarperCollins, 2004, Titel: 'The Border Guards', Originalsprache
- München: Knaur, 2006, Seiten: 528, Übersetzt: Wibke Kuhn
Schmutzige Spiele im Dienst der Gerechtigkeit'
Anscheinend ist es ein tragischer Autounfall, der den erfolgreichen aber verhassten Lobbyisten Michael Hollins das Leben gekostet hat. Viele Jahre hatte er die Interessen diverser Gruppen vertreten und dabei auf den Ruf seiner Kunden nicht allzu genau geachtet. Das rächte sich, als er für Nikolaj Petrowitsch tätig wurde, ein hohes Tier in der russischen Mafia, die auch im kanadischen Toronto glänzend floriert. 4000 Kilometer ist die Grenze zu den USA lang und die Zahl der Zollbeamten gering: Schmuggelgut und Waffen können sie leicht passieren.
Das beunruhigt die "Border Vigilance Commission" (BVC), die Petrowitsch gern näher auf die Finger sehen möchte. Der erste Versuch, einen Spitzel in dessen Bande einzuschleusen, scheiterte mit denkbar üblen Folgen für den Maulwurf. Nun fordert BVC-Chef Sonny Rockliff den FBI-Agent John Selby an, der sich mit einer geschickt eingefädelten Tarnexistenz im Dunstkreis des Mafiabosses platzieren kann.
Tim Hollins, der das kleine aber beliebte Speiselokal "Granite" am Ufer des St.-Lorenz-Stromes führt, trauert noch um seinen Vater, als sich Petrowitsch bei ihm meldet und ankündigt, ihm einen "Berater" ins Haus zu schicken. Tim weiß um den üblen Leumund des Russen, lässt sich jedoch einschüchtern. Dadurch rückt Tim als scheinbarer Partner gemeinsam mit Petrowitsch ins Visier der BVC. Inzwischen konnte Selby das Vertrauen des Mafiabosses erwerben, musste aber feststellen, dass zu dessen Vertrauten die Künstlerin Hanne Kristiansen gehört, die einst seine Geliebte war und seine wahre Identität kennt. Kann er darauf vertrauen, dass sie den Mund hält? Auch Rockliff ist kein vertrauenswürdiger Mann. Er hatte von Hanne gewusst aber geschwiegen, damit Selby den Auftrag übernahm. So kann das Schicksal seinen verhängnisvollen Lauf nehmen, als sich die Wege der genannten Personen schließlich kreuzen ...
Mehr als Mounties und Elche
In den letzten Jahren hat der Knaur-Verlag für sich und seine Leser Kanada als Krimiland entdeckt. Giles Blunt und James Nichol wurden einem zu Recht interessierten Publikum bekannt gemacht, mit Jean Lemieux bezog man auch den französischen Teil des riesigen Landes ein. Mark Sinnett ist ein weiterer Autor aus Kanada, und siehe da: Die Rechnung geht ein weiteres Mal auf. Eiskalt funkelt der Tod ist - ungeachtet des schwachsinnig "übersetzten" Titels - ein richtig guter Thriller der altmodischen bzw. zeitlosen Art.
Kanada ist eine wahrhaft eindrucksvolle Kulisse. Schier endlose Naturlandschaften zwischen Wald und Eiswüste laden zu spannenden Verfolgungsjagden ein, die durch ein unberechenbares Klima effektvoll untermalt werden können. Gleichzeitig existiert ein modernes Kanada mit Millionenstädten, in denen auch das organisierte Verbrechen auf der Höhe der Zeit arbeitet. Die Präsenz der russischen Mafia in Kanada ist - zur Freude der Mafia selbst - noch nicht ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt. Sie ist jedoch mit den üblichen unerfreulichen Folgen vor Ort tätig.
Verfasser Sinnett thematisiert in Eiskalt funkelt der Tod diverse Aktivitäten der Mafia. Sie profitiert von der Infrastruktur Kanadas, die das riesige Land längst nicht erschlossen hat. Zu Wasser und zu Lande können allerlei profitable und verbotene Waren eingeschmuggelt werden, wobei das Risiko erwischt zu werden gering bleibt. Sehr angenehm ist die Nähe zu den USA, wo stets Abnehmer für Waffen, Rauschgift oder Falschgeld auf Nachschub warten. 4000 km ist wie gesagt die Grenze zwischen den beiden Ländern lang, die sich den nordamerikanischen Kontinent teilen - da klaffen gewaltige Lücken, die vor allem den notorisch misstrauischen US-Amerikanern Kopfschmerzen bereiten.
Maulwurf mit scharfem Blick
Nach dem 11. September 2001 wird auch an der Nordgrenze aufgerüstet', wobei das Interesse der USA zunächst eventuellen Terrorattacken gilt, die aus dieser Richtung vorbereitet werden könnten. Lieber zu misstrauisch sien als noch einmal überrascht werden, lautet das Motto. Eiskalt funkelt der Tod greift dies auf und erzählt die Geschichte eines Jedermanns, der (in Vertretung des Lesers) arglos ins Visier der Mafia und des FBI gerät, in diesen Kreisen verloren ist und zwischen den Fronten zerrieben zu werden droht.
Der zweite Handlungsstrang beschreibt eine gefährliche Infiltration der Mafia. Zwischen dem eingeschleusten FBI-Agenten und dem Mafiaboss entsteht so etwas wie eine vorsichtige Freundschaft, während viel Spannung aus dem Umstand geschlagen wird, dass der Mafiamann den Verrat ahnt und das Leben des Spitzels vom Schweigen einer plötzlich auftauchenden Mitwisserin abhängt.
Niemand traut niemandem, und das mit vielen guten Gründen. Sinnett schreibt über Menschen unter Druck, der sie auf beiden Seiten des Gesetzes unter vergleichbaren Stress setzt. John Selby kennt das Risiko, das er als Undercover-Agent eingeht. Immer wieder droht seine Tarnung aufzufliegen, was der Autor sehr spannend in Szene zu setzen weiß. Im letzten Moment gelingt es zwar, den Verdacht zu zerstreuen, doch die Saat des Misstrauens bleibt, und man erkennt frühzeitig, dass sie irgendwann aufgehen wird - mit gewaltreichen Folgen. Dass eine ebenso schöne wie undurchsichtige und damit gefährliche Frau im Spiel ist, gehört zu den bewährten Klischees solcher Konstellationen.
Im Sog der Übermächtigen
Nikolaj Petrowitsch ist ein Exemplar der russischen Mafia, wie es uns gern von der Sensationspresse oder publicitysüchtigen Politikern vorgeführt wird - ein brutaler, machtbesessener, rücksichtslos agierender russischer Aufsteiger-Oligarch, der im Krimi den sowjetischen Apparatschik als roten Bösewicht inzwischen ersetzt hat. Jenseits dieser Klischees schildert Sinnett Petrowitsch aber auch als Menschen, der es satt hat in einer Welt des Misstrauens und der Gewalt zu leben. Petrowitsch sehnt sich nach einem Frieden, für den er freilich sein unrechtmäßig erworbenes Vermögen und seine Macht nicht aufzugeben gedenkt.
Hin- und hergerissen zwischen Gangsterpflicht, Überdruss und Angst vor den Behörden ist er zum Paranoiker geworden, dessen Stimmung von einem Moment zum nächsten umschlagen kann. Die daraus entstehende Unberechenbarkeit ist ein permanentes Element der Spannung.
Der kleine Mann, der zwischen Hammer und Amboss gerät, um sein Leben kämpfen muss und dabei über sich hinauswächst, ist als Figur nicht nur im Krimi ein Dauerbrenner. Tim Hollins verkörpert ihn glaubwürdig als Mann, der zunächst ahnungslos ist, später gar nicht so viel wissen möchte und letztlich - natürlich - mit seinen Gegnern konfrontiert wird.
Als sich die Wege der Hauptfiguren nicht nur kreuzen, sondern die Karten endlich auf den Tisch gelegt werden, kommt es zum großen Finale. Über den Ausgang wird an dieser Stelle selbstverständlich geschwiegen, aber die Ereignisse werden hässlich. Der Autor löst damit konsequent ein schmutziges Spiel auf, das wohl nur dem glücklicherweise unbeteiligten aber ausgezeichnet unterhaltenen Leser Freude bereitet.
Mark Sinnett, Knaur
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