Wintertod
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2016
- 4
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2016, Seiten: 432, Originalsprache
Der lange Schatten der alten Männer aus Wandlitz
Nach einer entwürdigenden Attacke durch gewalttätige Schüler musste Lehrerin Lea Zeisberg eine mehrmonatige Auszeit nehmen. Als sie wieder unterrichtet, fällt ihr das unendlich schwer, dennoch kümmert sich die sensible Pädagogin um merkwürdige Vorfälle in einer auffälligen Familie - und wird schließlich tot in ihrer Küche gefunden. Zeitgleich werden der frisch nach Berlin versetzte Hauptkommissar Arne Larsen und seine Kollegin Mayla Aslan mit einem Leichenfund auf einen verwilderten Friedhof in Berlin-Buch konfrontiert.
Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, Larsen muss außerdem mit seiner neuen Kollegin zurecht kommen, was die Arbeit nicht gerade erleichtert. Nach dem Fund einer weitere Leiche verwerfen die Ermittler ihre These von einem vertuschten Suizid - es handelt sich bei den Toten um Mutter und Tochter. Der Weg zur Lösung der Rätsel führt Larsen und Aslan weit in die Vergangenheit, in die Zeit der DDR. In einem geheimen Stasi-Krankenhaus finden sie Spuren in die legendäre Waldsiedlung in Wandlitz - dort lebte die politische Führungselite des untergegangenen Staates.
Anpassungsprobleme mit der neuen Großstadt-Kollegin
Mit seinem neuen Buch hat Thomas Nommensen seinen Protagonisten den gleichen Weg nehmen lassen, den er selbst einst gegangen ist - vermutlich aber aus anderen Gründen. Der erste Fall von Kommissar Arne Larsen spielt noch in Schleswig-Holstein, der Heimat von Nommensen. Nun sind Autor (schon länger) und Protagonist (ganz frisch) in Berlin. Ein dunkler Sommer hat bei den Lesern der Krimi-Couch überdurchschnittlich hohe Wertungen bekommen, für Wintertod deutet sich ähnliches an - und das zu Recht.
Der Wechsel eines Polizisten in eine ganz neue Umgebung ist bei Autoren ein durchaus beliebtes Stilmittel. Man kann dem Protagonisten dann tolle Dinge andichten. Thomas Nommensen verzichtet auf derartigen Quatsch, lässt Arne Larsen ein paar merkwürdige Episoden in seiner Wohngemeinschaft durchleben, aber das war es dann auch schon. Anpassungsprobleme gibt es mit seiner Kollegin Mayla Aslan - und die ist eine spannende Figur.
Eine maulige, aber auch liebenswerte Klugscheißerin
Die Kommissarin hat einen niedrigeren Dienstgrad, wird aber zunächst als Leiterin der Ermittlung eingesetzt, weil Larsen ja noch keine Erfahrung in der Großstadt hat. Der nimmt die Sache weitgehend sportlich, auch wenn Aslan eine gewöhnungsbedürftige Kollegin ist.
Gleich an Larsens erstem Tag müssen sich die beiden mit dem merkwürdigen Fund einer Frauenleiche auf einem stillgelegten Friedhof auseinandersetzen. Und das auch noch in Buch, einem Stadtteil am nördlichen Rand der Metropole. Der Hauptkommissar muss also so einiges verdauen, kommt damit aber gut zurecht, indem er sich auf seine professionellen Tugenden besinnt.
Aslan ist eine maulige Klugscheißerin, irgendwie ein typische Berlinerin, dabei allerdings durchaus liebenswert, was Larsen die Sache eben auch leicht macht. Keineswegs leicht sind die Recherchen in diesem Mordfall, denn zunächst passt nichts zusammen. Thomas Nommensen hat hier einen erstklassigen Plot erdacht, dessen düstere Atmosphäre durch den zweiten Handlungsstrang um die psychisch angeschlagene Lehrerin Lea Zeisberg enorm unterstrichen wird.
Empathische Lehrerin trotzt der eigenen Psyche
Zeisberg ist eine wirklich interessante Figur. An einer überaus problematischen Schule sind ihr schlimme Dinge mit völlig außer Kontrolle geratenen Schülern passiert. Der Direktor hält jedoch alles unter dem Deckel, um den öffentlichen Ruf seiner Penne nicht zu gefährden. Lea hält dennoch nach ihrer Auszeit ihre Augen auf - trotz großer psychischer Probleme. Zeisberg kommt dadurch Vorgängen auf die Spur, die sie in große Gefahr bringen. Ihre Empathie führt schließlich zu Lea Zeisbergs Tod - und lässt den Leser ratlos zurück, weil er in dem geschickt aufgebauten Plot erst viel später die Zusammenhänge erkennen kann.
Die Vorgänge an Berliner Problemschulen sind häufig genug durch verschiedene Medien thematisiert worden. Dabei ist die deutsche Hauptstadt keineswegs einzigartig für solche Verhältnisse, aber in Berlin ist eben alles wie unter einem Brennglas fokussiert. Thomas Nommensen baut das sehr geschickt in seiner Kriminalgeschichte ein. Hier die Schönredner und Ignoranten, da die empathische Lehrerin, die trotz enormer eigener Probleme nicht wegschaut. Der Leser fühlt sofort mit Lea Zeisberg mit, ihr tragisches Ende hebt die Spannung in dem Roman auf eine noch höhere Stufe.
Ermittler und Leser müssen Puzzle-Stücke zusammensetzen
Den Spannungsbogen hat der Autor langsam aufgebaut, aber dann geht es richtig zur Sache. Als klar wird, wie die beiden interessanten Handlungsebenen zusammen gehören, werden die Fragen allerdings keineswegs weniger. Durch die häufigen Rückblicke in die Wandlitzer Waldsiedlung ist zudem klar, dass einige Antworten in der Zeit der DDR oder kurz nach deren Untergang liegen. Aber wie schon erwähnt, der Plot ist gut ausgearbeitet und sehr komplex. Ermittler und Leser müssen die zahlreichen Puzzle-Stücke akribisch zusammen setzen.
Nommensen hat, dank seiner Ortskenntnis, interessante Schauplätze für seine Protagonisten ausgewählt. Da lässt sich eine herrlich düstere Atmosphäre aufbauen, was natürlich auch der Jahreszeit geschuldet ist. Der Roman punktet - neben der Spannung - mit viel Emotionalität und gut recherchierten Hintergrund-Fakten. Spannend und gut lesbar erzählt, authentische Dialoge und interessante Protagonisten - einfach lesenswert.
Thomas Nommensen, Rowohlt
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