Totengebet

  • Goldmann
  • Erschienen: Februar 2016
  • 4

ORIGINALAUSGABE Taschenbuch, Klappenbroschur, 448 Seiten, 12,5 x 18,7 cm

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Sabine Bongenberg
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2016

Verworrene Wege

Viele Menschen schwelgen oft und gerne in Jugenderinnerungen und nicht selten nimmt eine besondere Person - die Jugendliebe - eine verklärte Rolle in diesen Erinnerungen ein. Der Berliner Rechtsanwalt Joachim Vernau sieht sich plötzlich in diese "goldenen" Zeiten zurückversetzt, als sich bei ihm eine junge Frau meldet, die seiner Jugendliebe Rebecca wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Nichts ist aber so golden wie die Erinnerung und so muss auch Vernau erfahren, dass das Auftauchen der unbekannten Schönen in erster Linie einen Haufen Ärger beinhaltet. So schnell wie sie auftauchte, ist sie auch wieder verschwunden und keine Spur verweist auf ihre Existenz. Dafür aber sieht sich Vernau plötzlich mit Mordvorwürfen konfrontiert und zweifelt sogar an seinem Gesundheitszustand, denn außer ihm scheint niemand von dem seltsamen Phantom heimgesucht worden zu sein.

In ihrem fünften Buch um die Ermittlungen des Rechtsanwalts Joachim Vernau steigt Elisabeth Herrmann unvermittelt in die Folgen eines Verbrechens ein. Ein Versprechen kann nicht eingelöst werden, eine junge unverheiratete Frau sieht sich schwanger von ihrem Geliebten in Stich gelassen und droht zu verzweifeln. Nach diesem furiosen Auftakt folgt ein Zeitsprung von 29 Jahren und die neuen Untersuchungen um die damaligen Ereignisse setzen eine Kette von Ereignissen frei. Herrmann zieht hier verschiedene Strippen, die den Auftakt dieses Krimis zunächst verworren und unentschlossen darstellen. Hier beschleicht den Leser gelegentlich das Gefühl, dass sich die Autorin zunächst auch nicht schlüssig war, wohin ihre Reise führen sollte. Da sind einerseits Verwicklungen über Verbrechen mit einem möglichen rechtsradikalen Hintergrund, da sind Hinweise, die darauf deuten, dass offensichtlich jemand von "recht weit oben" bestrebt ist, Hintergründe zu verschleiern und da ist andererseits auch die Suche einer oft halsstarrig auftretenden, häufig aber auch eiskalt wirkenden Tochter nach ihrem Vater. Diese Mehrschichtigkeit führt nicht dazu, dass der Leser gespannt den verschieden Fährten folgt, sondern die oft lieblos fallen gelassenen gelegten Spuren verlangsamen das Tempo.

Spannung kommt mit der endgültigen Festlegung der Marschrichtung auf. Hier geht es um ein ungeklärtes Verschwinden mitsamt der Verwirrung und der Tragik, die ein solcher Vorgang nach sich zieht. Herrmann beschreibt hier gelungen die Suche nach dem de facto "verlorenen Sohn" und die Fragen, die ein Verlust nach sich zieht. Nicht ganz zweifelsfrei geklärt ist nach Auffassung dieser Autorin die Beweisführung, die in einem Handlungsstrang eine Großmutter und eine bis dahin nicht bekannte Enkelin zusammenführt. Mag es möglicherweise Institute geben, die nach kürzester Zeit Abstammungs-Untersuchungen nur nach einer Frage des Preises liefern können, so erscheint es hier doch fraglich anhand welcher Körperproben, ein Abstammungstext geführt wurde. Ein Test zwischen Großmutter und Enkelin dürfte daher kaum eine Vaterschaft belegen - wohl aber eine nahe Verwandtschaft. Dennoch wäre mit diesem Ergebnis kaum die deklarierte fast hundertprozentige Gewissheit erreicht.

Gut erzählt sind die Momente, in denen Elisabeth Herrmann sich an die Erzählmethoden Agatha Christies anlehnt. Personen, die zur Aufklärung rätselhafter Fälle beitragen könnten, können vor ihrem Ableben nur noch ein kurzes , kryptisches "Statement" von sich geben, Zeugen, denen plötzlich bedeutsame Umstände bewusst werden, haben auch nicht mehr viel Zeit, um diese Gewissheit zu genießen. Diese Stilmittel gehören sicherlich zum althergebrachten Handwerkszeug eines guten Krimis, dennoch tragen sie auch hier zur Spannung bei. Generell spielen die Zeugen der vergangenen Zeiten eine wichtige Rolle in diesem Buch. Anhand ihrer Person wird gezeigt, wie Lebenspläne, die auf Idealismus und großen Träumen basierten, an der Wirklichkeit scheiterten. Auch bei diesen Handlungssträngen sind Herrmann interessante Einblicke gelungen, auch wenn sich diese Einblicke teilweise desillusionierend auswirken. So mancher mag sich noch daran erinnern, dass er selbst oder Freunde als "Volunteer" in einem israelischen Kibbuz Dienst leisteten und hat diesen Einsatz sicherlich bewundert. Ernüchternd ist dann die Einschätzung der damaligen Kibbuzniks, die die "Volunteers" doch offensichtlich häufig als reine "Spaß-Touristen" bewerten.

Neben diesen gut erzählten Strängen werfen die Charaktere und nicht zuletzt das Hauptmotiv des Buches aber auch einige Fragen auf: Unglaubwürdig stellt sich beispielsweise die besondere Rolle des Helden Joachim Vernau dar, der - obwohl er bei einer Schlägerei krankenhausreif geprügelt und auch noch in einen schweren Autounfall involviert war - sich von solchen "Kinkerlitzchen" nicht beeindrucken lässt und fröhlich durch die Gegen stromert. Die weibliche Heldin Rachel ist zwar nicht so unzerstörbar, reagiert aber abschnittsweise abwechselnd mehr als unbeherrscht und im nächsten Moment so berechnend eiskalt, dass es auch schwer fällt, ihr diese Attitüden abzunehmen. Andere Fragen werfen die Entwicklungen auf, die in der Neuzeit eintraten. Ob die Verstrickungen der Vergangenheit, die möglicherweise juristisch gesehen verjährt waren, tatsächlich eine neue Spirale der Gewalt nach sich ziehen können oder - wie hier sogar - müssen, das wäre tatsächlich einmal eine Überlegung wert.

Doch auch wenn diese Aspekte sicherlich die eine oder andere Augenbraue nach oben bewegen, ist Herrmann doch insgesamt ein lesenswertes Buch gelungen. Die besonderen Stärken liegen hier aber neben einigen - sicherlich gelungenen - Krimisträngen in der Vermittlung der Melancholie, die einerseits auf einer verlorenen Liebe oder aber auch dem Fehlen der Liebe an sich geschuldet ist. Die Autorin vermittelt hier die Schwermut der leeren Zimmer mit einfühlenden Bildern, die sicherlich einige kleine Mankos entschuldigen und den Leser bis zur Auflösung des Krimis begleiten.

Totengebet

Elisabeth Herrmann, Goldmann

Totengebet

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