Broken House - Düstere Ahnung
- Argon
- Erschienen: Januar 2016
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- New York: Crown, 2014, Titel: 'The Grownup', Originalsprache
- Berlin: Argon, 2016, Übersetzt: Vera Teltz , Bemerkung: ungekürzte Lesung
Multiple Schraubendrehungen
George R. R. Martin und Gardner Dozois haben 2014 "Rogues" herausgegeben, eine Anthologie mit 21 Short Stories (Fantasy, Krimis, Mystery, Histo etc, für jeden etwas, so ein Werbehinweis) von u.a. Neil Gaiman, Patrick Rothfuss, Joe Abercrombie, Martin selbst und "What Do You Do?" von Gillian Flynn. Im gleichen Jahr kam David Finchers Verfilmung des Flynn-Romans Gone Girl in die Kinos. Im Jahr 2015 wurde dann Flynns Short Story aus der Anthologie ausgekoppelt und als Einzelveröffentlichung unter dem Titel "The Grownup" herausgebracht, in Deutschland als Broken House.
Ich-Erzählerin ist eine Frau von dreißig Jahren, die eine sehr gute Schülerin war, aber aus einem schlechten Elternhaus kommt. Aufgrund ihrer Vorstrafen bekommt sie keinen herkömmlichen Job. Bereits als Kind wurde sie von ihrer Soaps schauenden Mutter als sehr erfolgreiche - Bettlerin eingesetzt. In der Gegenwart bestreitet sie ihren Lebensunterhalt bei Spiritual Palms, einem angeblichen New Age Unternehmen, das im Hinterzimmer Männern Handjobs anbietet und im vorderen Bereich Frauen spirituelle Führung vermittelt. Nach drei Jahren und 23546 Handjobs wechselt die Erzählerin in die Frauenabteilung. Eine Kundin, Susan Blake, glaubt, in ihrem viktorianischen Haus Carterhook Manor spuke es. Die Erzählerin schaut sich die Sache einmal genauer an, will eine zeit- und kostenintensive Aura-Reinigung durchführen und lernt Susans Sohn Miles kennen, einen eigenartigen Teenager.
Erzählerin in unsicherem Soziotop
Gillian Flynns dritter Roman, Gone Girl, war ein herausragender ökonomischer Erfolg, wurde verfilmt und dürfte einer der meistdiskutierten Romane der letzten Jahre sein. Broken House wird aufgrund seines Umfangs rezipiert als eine Übergangslösung zum nächsten umfangreichen Buch der Autorin.
Die Geschichte beginnt mit der Einführung der namentlich nicht genannten Protagonistin, die als erfolgreich im Manipulieren von Menschen vorgestellt wird. Sie ist ungebildet, hat eine kriminelle Vergangenheit, verfügt über eine gewisse Bauernschläue, hat Ambitionen und ein lockeres Verhältnis zum Gelderwerb durch sexuelle Handlungen sowie zur Wahrheit. Kurze Zeit ist man nach den ersten Seiten zu glauben geneigt, es handle sich bei Broken House um eine Geschichte über eine sexuelle Handarbeiterin und das Karpaltunnelsyndrom.
Aber dann kommen die ersten Hinweise darauf, dass es in eine andere Richtung geht. Flynn orientiert sich an verschiedenen Texten, die sie in der Erzählung auch nennt: Die Frau in Weiß von Wilkie Collins, Daphne du Mauriers Rebecca, Shirley Jacksons Spuk in Hill House und Die Drehung der Schraube von Henry James. Hinzu kommt eine fiktive Website mit dem Titel "Kriminalfälle der viktorianischen Zeit". Dominant ist die Bezugnahme auf Henry James. Flynn entnimmt James' Die Drehung der Schraube Motive, darunter das der Babysitterin, und den Namen des Jungen Miles, strickt eine Geschichte, die auf ein nebliges Zwischenhoch geführt wird, um von dort aus mit zwei Schraubendrehungen eine böse Kriminalstory zu konstruieren.
Im Mittelteil, in dem die Protagonistin das Haus spirituell reinigt und dabei eine interessante Erfahrung macht, wissen die Leser einmal mehr nicht, was sie erwartet, und nach dem Einstieg ist die Entwicklung auch nicht antizipierbar. Flynn erzeugt Eskalationen, die aufgelöst werden mit einem Sprung auf die jeweils nächste Ebene. Und glaubt man, die anfänglichen Ausführungen der Hauptfigur zu Handjobs und Männern wären ein kerniger Auftakt und dienten darüber hinaus lediglich der Charakterisierung der Protagonistin ("Mit den handjobs hörte ich nicht deshalb auf, weil ich dafür kein Talent hatte, sondern weil ich die Beste war."), dann schätzt man dies falsch ein.
Aus Sicht mancher Leser überdreht Flynn die Schraube ein wenig, aus Sicht anderer steigert sie die Spannung mit Überraschungsmomenten. Diese sind jedoch für aufmerksame Leser nicht immer überraschend. Szenen werden aus Sicht der Protagonistin präsentiert, Zusammenhänge werden erzählt, aus Indizien wird eine Kausalkette gefertigt, die intuitiv einleuchtet, um kurz darauf in einer neuen Erklärung aufgelöst zu werden. Das Muster der Erzählung könnte so beschrieben werden:
(1) Ich erzähle Euch, wie es gewesen sein könnte;
(2) ich erzähle Euch, was tatsächlich geschieht;
(3) ich erzähle Euch, was tatsächlich tatsächlich geschieht.
Im dritten Teil wird hinausgezögert, neu justiert und wieder hinausgezögert, dass es manchen Lesern eine Freude sein dürfte, anderen jedoch zuviel des Guten. Die namentlich nicht genannte Protagonistin der Kurzgeschichte, die im kleinformatigen Hardcover auf 58 Druckseiten Platz hat, ähnelt der aus Gone Girl. Ihr Erzählton ist leicht verbittert und passt zur Short Story über die Faszination des Bösen, wie dieses Bestandteil des menschlichen Alltags ist und das Leben der Protagonistin verändert.
Gillian Flynn erzählt in Broken House eine bizarre Geschichte über eine Frau mit krimineller Vergangenheit, die eine andere Frau finanziell ausnehmen will und dabei in ein Netzwerk aus Intrige und Täuschung gerät.
Gillian Flynn, Argon
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