Mississippi Jam

  • Pendragon
  • Erschienen: Januar 2016
  • 3
  • New York: Hyperion, 1994, Titel: 'Dixie City Jam', Seiten: 367, Originalsprache
  • Bielefeld: Pendragon, 2016, Seiten: 576, Übersetzt: Jürgen Bürger
  • München: Heyne, 2017, Seiten: 588
Mississippi Jam
Mississippi Jam
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Jürgen Priester
96°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2016

Schlafende Vulkane

Mit Mississippi Jam schließt sich die Lücke in der deutschen Ausgabe der Dave-Robicheaux-Romane. Theoretisch kann man jetzt die beliebte Serie chronologisch von Band 1 bis 12 verfolgen. Doch die Verfügbarkeit der einzelnen Bände ist nach wie vor beschränkt, da die älteren Ausgaben nur noch antiquarisch und oft zu überhöhten Preisen zu erwerben sind. Das könnte sich für die Zukunft ändern. Seit dem letzten Jahr kümmert sich der Pendragon-Verlag um die Robicheaux-Reihe. Wie vom Verleger zu hören ist, brachte die Veröffentlichung von Band 16 Sturm über New Orleans, der als Teaser gedacht war, nicht nur die erwartete gute Resonanz, sondern auch die erhofften Verkaufszahlen, so dass man sich auf Neu- und Wiederveröffentlichungen freuen kann.

Was Mitte der 1990er Jahre eine Übersetzung von "Dixie City Jam" verhindert hat, lässt sich im Nachhinein nicht mehr klären. Eine Antwort hätte wohl Georg Schmidt, der die Reihe damals übersetzte und betreute, geben können, doch der herausragende Übersetzer ist 2011 im Alter von nur 59 Jahren verstorben. Eins dürfte aber sicher sein, an mangelnder Qualität des Romans kann es nicht gelegen haben. Nach Einschätzung des Rezensenten gehört Mississippi Jam mit zu den besten und spannendsten Romanen der Reihe, obwohl die als Aufhänger gedachte "Nazi-U-Boot-Geschichte" den Realisten irritiert, weil sie im wesentlichen ein Produkt Burkes überbordender Fantasie ist.

Dave Robicheaux steckt in akuter Geldnot. Batist, der langjährige Mitarbeiter seines Bootsverleihs und Angelshops, ist des Mordes angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft. Obwohl er nachweislich unschuldig ist, müssen vorab eine Kaution hinterlegt und Anwaltskosten bezahlt werden. Das übersteigt das Budget eines Deputys und nebenberuflichen Ladenbesitzers. Unwillig, weil er es für eine verrückte Idee hält, übernimmt Dave den gutdotierten Auftrag eines jüdischen Geschäftsmannes. Hippo Bimstine will ein vor der Küste Louisianas gesunkenes deutsches U-Boot bergen lassen und zu einer Touristenattraktion für New Orleans umwandeln. Dave hatte ihm einmal erzählt, dass er während seiner College-Zeit bei einem Tauchausflug zufällig auf das Wrack des U-Bootes gestoßen sei und dessen ungefähre Lage bestimmen könne. Bevor Dave in dieser Sache tätig werden kann, taucht ein Fremder auf, der seinerseits ein großes Interesse an dem "Nazi-U-Boot" zeigt und von Dave die Koordinaten des Wracks erpressen will.

Ein hervorzuhebendes Merkmal aller Dave-Robicheaux-Romane ist ihre Realitätsnähe. Das zuletzt bei uns erschienene Sturm über New Orleans lässt sich als gutes Beispiel heranziehen. Der Roman spielt 2005 in der Zeit, als der Wirbelsturm "Katrina" New Orleans und die angrenzende Küstenregion verwüstete. Überzeugend verbindet Burke hier seine fiktiven Geschichten mit tatsächlich stattgefundenen Ereignissen. In dieser Form ist Kriminalroman oder Thriller am spannendsten. In Mississippi Jam kommt uns der Autor jetzt mit einer abstrusen Geschichte über das Wrack eines deutschen U-Boots, das auf dem Festlandsockel vor der Mississippi-Mündung liegen soll. Das scheint zu Burke nicht zu passen.

Historisch belegbar ist die Anwesenheit deutscher U-Boote vor der Küste Louisianas. Nach der Kriegserklärung Deutschlands an die USA im Dezember 1941 weitete die deutsche Kriegsmarine ihre U-Boot-Einsätze bis an die amerikanische Ostküste und in den Golf von Mexiko aus. In der Golfregion operierte u.a. "U 166", das für die Torpedierung von drei Handelsschiffen und einem Passagierschiff verantwortlich war. "U 166" wurde Ende Juli 1942 durch Unterwasserbomben versenkt. Es gab keine Überlebenden. Erst 2001 wurde das Wrack in einer Tiefe von 1500 Metern im vermuteten Seegebiet entdeckt.

Als James Lee Burke diesen Roman Anfang/Mitte der 1990er Jahre schrieb, konnte er nur auf Gerüchte und Spekulationen über den Verbleib von "U 166" zurückgreifen. Aufgrund dieser Mutmaßungen und auch eigener Kindheitserinnerungen entwickelte er recht großzügig die spektakuläre Rahmenhandlung für Dave Robicheaux' immerwährenden Kampf mit seinen inneren und äußeren Dämonen.

Dave Robicheaux ist liebender und fürsorglicher Ehemann und Vater, engagierter Polizist und zufriedener Kleinunternehmer. Rein äußerlich betrachtet hat er immer alles im Griff. Aber innerlich hat er mit Dämonen zu kämpfen. Eine Gewaltbereitschaft brodelt in ihm wie glühende Lava in einem schlafenden Vulkan. Kommt jemand ihm oder seiner Familie zu nahe, läuft er Gefahr, die Selbstkontrolle zu verlieren. Als der Fremde, der vermeintlich nur die Koordinaten des U-Bootes erfahren will, zuerst in New Orleans, später auch in New Iberia auftaucht, spürt Dave instinktiv, dass dieser ganz etwas anderes von ihm will, nämlich ihn auf die Seite des Bösen zu ziehen. Der Mann, der später Will Buchalter genannt wird, entpuppt sich als Neo-Nazi, Rassist und Psychopath kurz als Inkarnation des Bösen. Er dringt nicht nur in Daves Privatsphäre ein, sondern verletzt auch Daves Intimsphäre. Dave fühlt sich beschmutzt und hat nur noch eines im Sinn, Buchalter zu stellen und zu vernichten.

Eigentlich wie immer in dieser Reihe, ist auch hier der Haupthandlungsstrang, Robicheaux' Auseinandersetzung mit seinem Widersacher Buchalter, eingebettet in eine Vielzahl von Nebenhandlungen, die, so unterschiedlich sie auch erscheinen, eines gemeinsam haben, dass sie sich mit der strukturellen und individuellen Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft beschäftigen. In den USA klaffte die Schere zwischen Arm und Reich schon immer weit auseinander. Das Erstaunliche an dieser manifest erscheinenden sozialen Schieflage ist, dass die Unterprivilegierten ihre Frustration und Aggression nicht gegen ihre Unterdrücker wenden, sondern gegenseitig aufeinander einschlagen. Verteilungskämpfe finden statt zwischen jenen, die nichts haben, und jenen, die noch weniger haben. Armut erzeugt leider nicht Solidarität, sondern Gewalt. Das ist das Umfeld, mit dem Dave Robicheaux täglich konfrontiert wird. Auch wenn er sich in eine Kleinstadt wie New Iberia abgesetzt hat, holt ihn die Gewalt immer wieder ein. Oder stimmt das Gegenteil? Wird er von ihr angezogen?

Mit Mississippi Jam unterstreicht James Lee Burke einmal mehr seine Verbundenheit mit Chandler, Hammett & Co, den Autoren, die in 1930er Jahren angetreten waren, ein amerikanisches Gegengewicht zu den feinsinnigen englischen Landhaus- und Rätselkrimis schaffen, die damals en vogue waren. Sie wollten den Krimi wieder dahin bringen, wohin er ihrer Ansicht nach auch gehört, unters Volk. Das äußerte sich nicht nur in der Themenauswahl, im Setting oder in der Wahl der Figuren, sondern auch in der Sprache. Es sollte die Sprache des Volkes sein. Schon damals waren die Unterschiede zwischen amerikanischem Englisch und britischem signifikant. Ein H.L. Mencken hat schon 1921 darüber ein dickes Buch verfasst. Eine kleine Randnotiz: Mencken war auch Mitbegründer des Pulp-Magazins "Black Mask", für das Chandler, Hammett, Cain oder Gardner geschrieben haben.

Nun sind die Übersetzungen der bisherigen Robicheaux-Romane sprachlich nicht auffällig gewesen. Das liegt daran, dass alle Übersetzer bis einschließlich Georg Schmidt sich eines gepflegten Hochdeutsch bedienten, was man ja auch erwarten kann. Mit Jürgen Bürger, dem neuen Übersetzer, fegt jetzt ein frischer Wind durch die Dialoge. Ein Krimi-Couch-Leser hat das in seinem Kommentar ziemlich treffend ausgedrückt: "Vielleicht am ehesten vergleichbar damit, wenn ein (fremdsprachiger) Lieblingsschauspieler plötzlich einen neuen Synchronsprecher bekommt." Die Dialogsprache ist härter, vulgärer, mit beißendem Spott gespickt, es wird geflucht auf Teufel komm heraus. Das muss man nicht mögen, aber die Figuren wirken so eindeutig authentisch.

Nach dem ersten Kulturschock hat die neue Sprache dem Rezensenten viel Spaß gemacht. Sie ist das i-Tüpfelchen auf den bravourösen Gesamteindruck. Robicheaux ist halt nix für Schöngeister.

Mississippi Jam

James Lee Burke, Pendragon

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