Hanoi Hospital

  • Conbook
  • Erschienen: Januar 2015
  • 4
  • Meerbusch: Conbook, 2015, Seiten: 352, Originalsprache
Hanoi Hospital
Hanoi Hospital
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2015

Krimi mit viel Lokalkolorit

Eigentlich wollte Anne in ihrem Geburtsland Vietnam ein Praktikum machen und ihre Großmutter besuchen, doch diese stirbt im Krankenhaus vor ihren Augen. Ihre Cousine Linh arbeitet für die Auslandsredaktion eines Radiosenders, wo sie bei Kollegen zufällig ein Videoclip eines sterbenden Jungen sieht. Als sich Anne und Linh später treffen ergibt ihr Gespräch, dass sowohl die Großmutter wie der Junge vor ihrem Tod die gleichen, ungewöhnlichen Symptome aufzeigten. Ein Zufall?

 

Das große Vorbild von Vietnam. Onkel Ho hatte das Land in die Unabhängigkeit und auf den rechten Pfad des Sozialismus geführt. Und auf alle Geldscheine war ein Abbild von ihm gedruckt. "Folge Onkel Ho" meinte also nichts anderes als "Folge dem Geld."

 

Als wenig später eine Onlineredaktion über zwölf weitere ähnliche Todesfälle berichtet und die offizielle Version eine Lebensmittelallergie unterstellt, beginnen sich Anne und Linh mehr für das Thema zu interessieren und stoßen dabei immer wieder auf eine Arznei namens Vitazam, die eigentlich ein völlig harmloses Vitamin-C-Produkt ist. Während die staatlichen Instanzen das Problem bagatellisieren, finden die beiden Freundinnen immer brisantere Details heraus. Die Spuren führen zu skrupellosen Ärzten, die das große Geld machen wollen und vor allem wissen, wie man Menschen verschwinden lassen kann...

 

"Glauben Sie, die Amerikaner würden eine junge Viet kieu schicken? Das ist doch viel zu subtil. Auf so etwas kommt die CIA gar nicht. Die Amerikaner schicken Bomber, U-Boote und Atomraketen. Unterhalb des Versuchs, den anderen in die Steinzeit zu bomben, machen sie es doch nicht. Die Amerikaner interessieren sich nicht für uns. Auch nicht für Sie, obwohl Sie den amerikanischen Traum leben: Geld, Geld, Geld..."

 

David Frogier de Ponlevoy lebte von 2006 bis 2014 in Vietnam und hat bereits zwei Bücher über das Land geschrieben. Ähnlich beginnt er in seinem ersten Roman Hanoi Hospital, in dem er zunächst seine beiden Hauptfiguren vorstellt und dabei - nicht zu knapp - umfangreich in die kulturellen Unterschiede zwischen Vietnam und Deutschland schildert. Anne hat eine deutsche Mutter, einen vietnamesischen Vater und heißt eigentlich Van Anh Nguyen, wuchs jedoch in Deutschland auf und gab sich daher einen neuen Namen. Tatsächlich ist sie eine Getriebene, die sich zwischen den unterschiedlichen Welten nicht zu entscheiden vermag. In Deutschland wird sie von früh an als "Asiatin" gesehen, in Vietnam ist es umgekehrt. Wo liegt ihre Heimat? Und was ist Heimat überhaupt? Ein spannendes und derzeit wieder höchst aktuelles Thema über das der Autor mit hohem Feingefühl erzählt. Darüber hinaus lässt sich de Ponlevoy umfangreich über Vietnam aus. Ein faszinierendes Land mit scharfen Kontrasten zwischen Land- und Stadtleben, zwischen Reisfeldern und ohrenbetäubenden Motorroller- und Automassen in der sechs Millionen Einwohner zählenden Stadt Hanoi.

 

"Die Stadt verdirbt den Menschen."
"Die Menschen verderben die Menschen."
"Mag sein, aber in der Stadt leben nun einmal besonders viele von ihnen."

 

Der Krimiplot ist derweil nicht weniger ansprechend .Die korrupten Machenschaften in Vietnams Krankenhäusern, die illegalen Testversuche an Menschen, um ein neues Medikament auf dem Markt zu entwickeln, sind nur zwei der Bereiche, die hier näher beleuchtet werden. Überhaupt ist Korruption ein durchgängiges Problem, denn wer auf den überfüllten Fluren eines Krankenhauses auf einen Arzttermin hofft, der muss der Schwester schon ein bisschen Geld zustecken, um voran zu kommen. Hilft nur leider nicht, da alle anderen Patienten genau so vorgehen.

 

"...mein Bekannter ist beim Dezernat für Korruption. Die haben nicht viel zu tun."
"Ich dachte, die hätten hier besonders viel zu tun."
"Nein. Die können ja nicht einfach rumgehen und selbst Fälle aufdecken. Die müssen warten, bis von oben die Order kommt, da oder dort aktiv zu werden. Also sitzen sie die meiste Zeit herum. Und da sie weniger arbeiten, verdienen sie auch weniger Geld."
"Wieso denn das? Polizisten werden doch hier nicht nach Stunden bezahlt, oder?"
"Nein, aber je mehr Arbeit du hast, desto mehr Schmiergelder kannst du einstreichen."

 

Die Geschichte besteht aus vier Erzählsträngen, die sich an den wichtigsten Figuren orientieren. Neben Anne und Linh sind dies Tuan, dessen Freundin gesundheitliche Probleme hat und auf der Suche nach der rettenden Medizin ist, sowie "der Doktor". Nicht weiter überraschend werden die Erzählstränge gegen Ende des Romans zusammengeführt. Die finale Auflösung ist leider ebenfalls nicht allzu überraschend, sondern eher vorhersehbar, da zu wenige Figuren mitspielen. Dennoch, der Mix aus Spannung, Kultur und "Reiseroman" (was keineswegs abwertend gemeint ist), gibt neben einem unterhaltsamen Krimiplot interessante Einblicke in das sozialistische Land und dessen unzählige Garküchen. Eine gute Ergänzung zu den Vietnam-Krimis von Nora Luttmer.

Hanoi Hospital

David Frogier de Ponlevoy, Conbook

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