Skalpelltanz
- Heyne
- Erschienen: Januar 2015
- 1
- Stockholm: Telegram, 2012, Titel: 'Skalpelldansen', Originalsprache
- München: Heyne, 2015, Seiten: 400, Übersetzt: Maximilian Stadler
Heiße Spannung mit unterkühlter Glaubwürdigkeit
Eigentlich ist es schon erstaunlich: Es gibt sicherlich mindestens genauso viel zauberhafte, charmante und heldenhafte Romanhelden wie es Schurken und Bösewichte. Warum sind es immer nur die Bösen, die sich plötzlich aus dem rein literarischen Dasein erheben und in die reale Welt ihres Schöpfers eingreifen? Warum taucht niemals eine Bridget Jones auf und verführt ihre geistige Mutter zu Schokolade oder stellt ihr einen eigenen Mark Darcy vor? Nein, die "Guten" sind vermutlich einfach zu nett, um ihre Hände aus der Literatur in die Realität auszustrecken.
Ginge es aber allein nach dieser Idee, hätte sich Jonas Lerman, der Protagonist aus Jenny Milewskis Debutroman sicherlich gewünscht, er hätte in seinen Werken einen zumindest gnädigeren Täter erschaffen. Aber leider ist seine Schöpfung Carl Cederfeldt die Inkarnation des Bösen. Gewissenlos lockt er Teenager in die Falle und seziert sie bei lebendigem Leibe und da Cederfeldt nicht nur grausam und skrupellos sondern auch noch ziemlich gerissen ist, füllen seine mörderischen Aktivitäten gleich mehrere Bücher. Grundsätzlich ist zwar an rein fiktiven Taten nichts auszusetzen, kann doch jeder Leser selbst entscheiden, ob er sich diesen Werken aussetzen will oder nicht. Hier gestaltet sich die Sache aber vollkommen anders, wenn offensichtlich nach den Mustern Cederfeldts gemetzelt wird und sich wegen dieser recht genauen Umsetzung der Blick der Polizei auf den bisher unbescholtenen Autor richtet. Der Erfolg seiner blutigen Bücher, die Jonas Lerman bisher nur Wohlstand und ein gewisses Interesse der weiblichen Leserschaft bescherte, verkehrt sich nun ins Gegenteil: Der Autor, der ohnehin schon feststellte, dass ihm allenfalls die Bücher über sein psychopathisches Alterego leicht von der Hand gingen, sieht jetzt, dass Morde jeden ästhetischen oder unterhaltsamen Effekt verlieren, wenn sie Bestandteil seines realen Lebens werden und zudem alle Hinweise auf ihn deuten.
Bis zu diesem Part hätte Jenny Milewskis Thriller sicherlich das Zeug zu einem absoluten Volltreffer gehabt - hätte sie eine nachvollziehbare Auflösung für Lermans Verhalten und die Verwicklung in die Verbrechen in seiner literarischen Realität konstruieren können. Aber leider ist das der Punkt, an dem dieser Thriller mit seiner stetig ansteigenden Spannungskurve krankt. Die Lösungen für die kreative Arbeit Lermans und auch die Urheberschaft der Morde berühren einerseits Bereiche, die zu sehr in das Phantastische hinein führen oder verlangen andererseits von ihren Urhebern Unmögliches. Der Leser, der einen nachvollziehbaren spannenden Thriller wünscht, ist hier definitiv im falschen Film, wogegen der Teil der Leserschaft, der ein gewisses Faible für Stephen Kings Romane hat, vielleicht kurz zusammenzuckt aber dennoch mit fortgesetztem Interesse der Handlung folgt. Die Autorin dieser Zeilen sah sich hier auch zwiegespalten - Skalpelltanz ist zweifellos spannend und fesselnd zu lesen, dennoch entbehren diverse Ursachen für Lermans teilweise eigenartiges Verhalten und auch die Auflösung der Verbrechen zum großen Teil jeder Realität. Nennt man das Kind beim Namen, könnte man sie getrost als "blödsinnig" bezeichnen. Dennoch wäre dieses Urteil als alleinige Bewertung nicht gerecht, denn Skalpelltanz bietet spannende Unterhaltung - leider aber auf eine Ebene, die die eines Kriminalromans überschreitet.
Nachvollziehbar und an der Realität orientiert ist immerhin aber die Entwicklung des Protagonisten. Ging Jonas Lerman zu Anfang des Buches über jeden literarischen Blutfleck achselzuckend hinweg, sieht er sich im Verlaufe der Geschichte immer weiter von seinen Fans irritiert, geifern diese doch nach immer "wilderen" Geschichten. Wer sich einmal gefragt hat, ob er sich in der Gesellschaft des Autoren Bret Easton Ellis, der mit seinem Buch "American Psycho" die Bühne für den vermutlich grausamsten Mörder aller Zeiten eröffnete, wohl fühlen würde, der fragt sich vielleicht auch später, ob Easton Ellis in Anwesenheit seiner Fans nicht auch ein ungutes Gefühl beschleicht. Nicht nur ein vermeintlich "krankes Gemüt" kann Horrorszenarien erschaffen, es gibt auch genauso "kranke" Zuschauer, die sich an diesen Szenarien erfreuen.
Ein Funkeln trat in Karin Schultz' Augen, sie beugte sich über den Tisch "Ja, diese Szene ist wirklich speziell ... Von allen Morden in ihren Büchern ist dies wohl mein absoluter Lieblingsmord." Jonas spürte, wie sehr ihm ihre Begeisterung über Carl Cederfeldts Gräueltaten zuwider waren. Jetzt war es aber genug. Die Frau war ja nicht ganz dicht.
Neben dieser gut beschriebenen und sicherlich auch nachdenklich machenden Entwicklung bleibt aber dennoch die Bewertung des Thrillers. Hier kann nicht die volle Gradzahl vergeben werden, denn ein Roman, der sich offensichtlich in die Bereiche des Phantastischen oder der Horrorvisionen bewegt, ist nicht das, was der Leser von einem Thriller erwartet. Jenny Milewski hat hier regelrecht den Bogen überspannt und konnte ihre durchaus fesselnden Konstrukte nicht mehr mit realen Ursachen oder Hintergründen untermauern. Parapsychologische Effekte haben sicherlich ihre Berechtigung im Horrorgenre oder in der phantastischen Literatur, dennoch fällt es schwer, sie als Beiwerk von real beschriebenen Verbrechen zu akzeptieren und damit erhält die im Buch erschaffene eigene Realität einige deutliche Kratzer.
Jenny Milewski, Heyne
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