Der Puppendoktor

  • btb
  • Erschienen: Januar 2002
  • 10
  • Paris: Éd. du Seuil, 2000, Titel: 'Le Couturier de la mort', Seiten: 225, Originalsprache
  • München: btb, 2002, Seiten: 220, Übersetzt: Eliane Hagedorn & Barbara Reitz
Der Puppendoktor
Der Puppendoktor
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Michael Matzer
1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Ein kurzer knackiger Horrorthriller

Dies ist die Geschichte eines kleinen Mannes. Seine Mitbürger und Vorgesetzten beachten ihn ob seiner Größe kaum, doch dafür versetzen seine Untaten die Bürger der südfranzösischen Küstenstadt in Aufregung und Schrecken...

Der Streifenpolizist Marcel Blanc soll eigentlich die Straßen sicher machen. Doch mit den Gedanken ist er meist bei seiner bevorstehenden Scheidung von seinem keifenden Eheweib Madeleine. Auch die Hitze des Hochsommers trägt nicht gerade zu seiner Konzentration bei, der Anblick der hübschen Nadja noch viel weniger.

Marcels Träumerei wird jäh unterbrochen, als man in einer Mülltonne eine bizarre Leiche entdeckt. Der Körper ist aus den Teilen mehrerer Menschen zusammengesetzt und an den Verbindungsstellen zusammengenäht worden. Bei diesem Anblick bekotzt so mancher Bulle seine blankgeputzten Dienstschuhe.

Mit jeder Kunstleiche, die man findet, steigert sich die Nervosität unter der Bevölkerung. Marcel nennt den unbekannten Täter den "Puppendoktor". Die Polizei tappt im Dunkeln, denn Le Capitaine Jean-Jean ist eher hinter Röcken her als hinter Verbrechern. Einmal kombiniert der "Künstler" sogar den Kopf eines kleinen Mädchens mit dem Torso eines Fettkloßes, die Arme sind von einem Hund "ausgeliehen".

Der Hund ist die erste konkrete Spur, der die Polizei folgen kann. Nach zäher Kleinarbeit stößt man auf illegale Machenschaften von Tierheimen und Labors. Auffällige Mitarbeiter? Ja, da war mal ein kleiner Irrer, der im Schlachthof mit den "Teilen" spielte.

Da wird eines Abends Momo, der kleine Sohn der hübschen Nadja, vermisst. Marcel und Nadja finden ihn in einer Stahlröhre, die von beiden beiden Enden mit Zementsäcken blockiert ist. Wie kam der Junge hinein, und wer blockierte die Enden? Momo weist Marcel auf den Täter hin: Der fuhr einen Renault-Lieferwagen - wie ihn fast jeder hat. Doch Marcels Freund, der Polizeimechaniker Paulo, fährt auch so eine Karre...

Paulo verrät Madeleine, Marcels Frau, dass ihr Mann ein Verhältnis habe. Und als die energische Familienmutter sieht, dass die beiden Turteltäubchen mit Paulos Wagen unterwegs sind, braucht sie nur zwei und zwei zusammenzuzählen, um sich auszurechnen, dass auch deren Schäferstündchen bei Paulo stattfinden könnten.

Doch was sie in der Wohnung von Paulo, dem gehässigen kleinen Mann, vorfindet, übersteigt ihre Vorstellungskraft. Leider soll sie keine Gelegenheit mehr erhalten, ihr haarsträubendes Wissen weiterzugeben, denn hier kommt er schon, der Kleine, in der Hand ein Hackbeil...

Brigitte Aubert hat offenbar einen völlig verdrehte Art von Humor. Die bereits in der Handlung angelegte Ironie wird in den Schreckensmomenten, an denen das Buch nicht gerade arm ist, noch weitaus deutlicher. Anscheinend denkt sie, dass den gräßlicheren Aspekten des Verbrechens nur durch abgebrühten Humor beizukommen ist. Da könnte sie recht haben. Die Wirklichkeit kann eben manchmal auch so grausam sein, dass man ohne Sinn für Ironie glatt den Verstand verlieren müsste.

Wie sag ich´s meinem Kinde, mag sie sich gefragt haben, als sie den Mörder entwarf. Der kleine Mann ist einerseits ein Opfer, das unter einem unglaublichen Kindheitstrauma leidet, andererseits auch ein Täter, der seine Opfer nur nach deren physischen Aspekten auswählt, so als wären sie nur Vieh und nichts weiter. (Momo nennt Paulo einen "Wolf".) Dass Paulo seine "Werkstücke" nicht nur auseinandernimmt und neu zusammensetzt, ist für uns nicht so grauenerregend wie der Umstand, dass er auch ihr Fleisch verzehrt (ein Verweis auf jenes Kindheitserlebnis).

Der Tabubruch des Kannibalismus, der uns so schockiert, verbindet Paulo mit Dr. Hannibal "the Cannibal" Lecter, jener faszinierenden Bestie in Menschengestalt, die Thomas Harris erfand.

Aubert beherrscht die Kunst, mit kurzen Sätzen den Leser ins Geschehen hineinzuziehen und nicht mehr loszulassen. Plötzlich ertappt man sich dabei, die Gedanken des Monsters zu lesen - Gedanken, vor denen man sich vielleicht sonst geschützt hätte. Und so kann es passieren, dass wir die Menschen durch Monsteraugen betrachten - ein ganz besonderer Schauder, fürwahr!

Die Szenen sind mit Präzision und Sinn für visuelle Effekte geschildet. Hier zahlt sich Auberts Drehbuchautorkunst aus. Der Roman endet, wie es jedem anständigen Filmkrimi geziemt, mit einer rasanten Verfolgungsjagd und einer Schießerei. Happyend? Bitte selbst herausfinden!

Ein kurzer knackiger Horrorthriller, der für Fans, die an US-Kost gewöhnt sind, recht ungewohnte Ironie entwickelt und durchaus auf den Magen schlagen kann. Für hartgesottene Krimi-Aficionados aber ein gefundenes, ähem, Fressen.

Der Puppendoktor

Brigitte Aubert, btb

Der Puppendoktor

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