Tu es. Tu es nicht.

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2015
  • 9
  • Berlin: Argon, 2015, Seiten: 6, Übersetzt: Andrea Sawatzki, Bemerkung: autorisierte Lesefassung
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Sabine Bongenberg
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2015

Der Fluch der bösen Tat

In einschlägigen Frauenforen wird sie oft aufgeworfen: Die Frage nach dem Sinn und Zweck einer Beziehung. Ein Paar ist lange verheiratet, alles läuft in ruhigen Bahnen und dann kommt "er". Manchmal in Form einer aufregenden Internetbekanntschaft, gerne auch in Gestalt der ersten Liebe, die seinerzeit auseinanderging. Häufig wird dieses Phänomen gelangweilten Ehepartnern zugesprochen, die noch einmal den besonderen Kick der ersten Liebe erleben möchten, die noch einmal die Schmetterlinge flattern lassen wollen.

Grundsätzlich ist das im Falle von S.J. Watsons Heldin Julia nicht viel anders, ihre Ehe mit ihrem Mann Hugh ist vertraut aber ohne große Romantik, der adoptierte Sohn Connor macht sich im großen und ganzen gut und das Thema "Selbstverwirklichung" scheint irgendwie ins Abseits geraten zu sein. Dennoch würde sich Julia mit diesem Schicksal vermutlich ganz gut arrangieren, käme nicht ihre jüngere Schwester Kate unter mysteriösen Umständen ums Leben und würden sich damit neue – und spannende – Wege zu Dating-Lines eröffnet. Kate war hier nämlich regelmäßige Kundin und offensichtlich dem schnellen, gesichtslosen Sex nicht abgeneigt. Wider alle Warnungen steigt auch die Ältere in die Dating-Szene ein und erfährt alsbald, dass das Spiel mit dem Feuer zwar aufregend sein mag, aber auch erhebliche Gefahren nach sich ziehen kann. Der charmante Lukas, der sie anfangs als raffinierter Liebhaber elegant zu umgarnen wusste, zeigt daher alsbald auch seine unschönen und vereinnahmenden Züge und als ob das nicht genug wäre, interessiert er sich offensichtlich sehr für Julias Sohn Connor und da wäre auch noch das "kleine" Problem, dass der Mord an Kate noch immer nicht aufgeklärt werden konnte...

In seinem zweiten Thriller bleibt der britische Autor S.J. Watson dem Metier der "problematischen" Ehen treu. War die Heldin in seinem ersten Buch aufgrund einer Erkrankung dringend auf die Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen und unterwarf sich gerne seiner Dominanz, lernt der Leser hier die ehemals drogen- und alkoholabhängige Julia kennen. Anders als die Christine aus Ich.darf.nicht.schlafen. blickt sie auf ein Leben zurück, das sie aus eigenem Antrieb an den Rand des Abgrundes führte, aus dem sie aber ihr Mann Hugh – als Fels in der Brandung – rettete. Diese Rettung – einst als elementarer Rettungsanker empfunden – zeigt jetzt seine Schattenseiten. Julia, die einst als talentierte Fotografin Erfolge feierte, beschränkt sich darauf Kindergeburtstage und Hochzeiten zu fotografieren und gefällt sich ansonsten in der Rolle der reinen Ehefrau und teilweise überbesorgten Mutter.

Watsons Heldin, die in Ich-Form erzählt, ist dabei nicht unbedingt eine besonders sympathische Frau. Oft muss der Eindruck entstehen, dass Julia ihr eigenes Empfinden in den Vordergrund stellt und damit dem eigenen Egoismus viel Raum lässt. Ihre Aussage, dass dieses oder jenes "kompliziert" ist, ohne dass auf das Thema weiter eingegangen wird, ist daher eine ihrer regelmäßigen Feststellungen. Die Tatsachen sind zu kompliziert, eine Erklärung ist jetzt zu raumgreifend, das Gegenüber versteht jetzt ohnehin nicht, worum es geht. Dieses fehlende Vertrauen in die Empathie anderer, ist es aber, das das Leben der Heldin in die Katastrophe führt. Sie, der es bisher gelungen ist, Menschen zu finden, die ihr aus dem Schlamassel heraushalfen, ist überfordert, wenn sie nicht auf die Wohlmeinenden trifft. Im Zuge der langsam eskalierenden Entwicklung fragt sich der Leser daher regelmäßig, warum sich eine gestandene Frau zum Spielball der Ereignisse machen lässt, warum nicht einer gefährlichen Entwicklung schon früh die Grenzen aufgezeigt werden. Hier ist es Watsons Stärke, dass Erklärungen und Ursachen für Julias Verhalten angeboten werden, die ihr Verhalten erklärbar machen. Wenn der Volksmund spöttisch beschreibt, dass "Alte Scheunen" zuweilen doch "hervorragend brennen", so mag diese Aussage zwar einen abwertenden Klang haben, aber dennoch nicht ganz aus der Luft gegriffen sein.

Watson zeigt auch anhand der in Rückblicken erzählten Historie aus Julias Leben nachvollziehbar auf, warum die Heldin schließlich an der Rolle derjenigen, die alles wieder ins Lot bringen kann, scheitern muss. Julia versagte als Leitfigur gegenüber der kleinen Schwester, angesichts einer drogenbedingten Tragödie zog sie sich aus der Affaire. Die Gründe für dieses Versagen lagen wohl kaum im eigentlichen Unvermögen Julias, sondern basierten auf den äußeren Umständen. Dennoch mögen sie wohl erklären, aus welchem Grund sie sich als diejenige sieht, die die Fäden in der Hand hält und alleine ihr Schicksal und das der anderen regeln kann. Eine Rolle, mit der sie ohne die Unterstützung ihres Umfeldes tatsächlich gnadenlos überfordert ist.

Der Leser muss daher miterleben, wie sich Julias Leben und das ihrer Familie immer weiter in Verstrickungen verheddert und sich die Abgründe immer weiter vergrößern. Dennoch erscheint die eigentliche Auflösung der Geschichte als eine Drehung zu viel, wird die Person, die eigentlich die Strippen zieht in ihrer persönlichen Kälte und Zielsetzung überzeichnet. Zu diesem aber insgesamt relativ kleinen Manko führt ein spannender und teilweise regelrecht quälender Weg, der auch dieses Buch zu einer äußerst spannenden Lektüre macht.

Tu es. Tu es nicht.

S. J. Watson, Argon

Tu es. Tu es nicht.

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