Soro
- litradukt
- Erschienen: Januar 2015
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- Trier: litradukt, 2015, Seiten: 144, Übersetzt: Peter Trier
- Québec: Mémoire d'encrier, 2011, Titel: 'Soro', Originalsprache
Düstere Abgründe im Chaos auf Haiti
Ein Erdbeben erwischt Port-au-Prince mit voller Wucht. Zahlreiche Häuser stürzen ein, weitere sind einsturzgefährdet. Wer kann, flieht in die Provinz oder in die Dominikanische Republik. Mittendrin im größten Chaos erfährt Kommissar Solon vom Tod seiner Frau, deren nackter Leichnam in den Trümmern eines eingestürzten Hotels gefunden wurde. Spermaspuren verdeutlichen, dass sie ihrem Ehemann Hörner aufgesetzt hat und so bittet Solon seinen Freund und besten Ermittler, Inspektor Dieuswalwe Azémar, ihm den Mörder seiner Frau zu liefern, damit er diesem eine Kugel in den Kopf schießen kann. Ein Mitarbeiter am Hotelempfang könnte wertvolle Hinweise geben, doch liegt dieser zurzeit im Koma. Azémar hat ein Riesenproblem, denn er will seinen Chef natürlich nicht enttäuschen. Nur stellt ihn dies vor eine nahezu unlösbare Aufgabe, denn er selbst ist der gesuchte Liebhaber.
Als wäre die Lage noch nicht aussichtslos genug gibt es ein Wiedersehen mit Marie-Marthe, seiner Ex-Geliebten, die Azémar von einem schrecklichen Ereignis berichtet. Ihr neuer Freund, der bekannte Maler Philostène, kam bei dem Erdbeben am Nachmittag ums Leben, liegt noch immer verschüttet unter einer Mauer. Doch in der folgenden Nacht kam Philostène zu Marie-Marthe und beide liebten sich. Sollte sie der Geist des Künstlers heimgesucht haben?
"Ist das normal, dass ein Toter kleren trinkt, versucht, sich ein Motorrad auszuleihen und obendrein mit seiner Geliebten schläft?"
Soro ist ein kurzweiliges und sehr unterhaltsames Krimiwerk, welches auf seinen knapp 140 Seiten nicht nur die oben genannten Fälle "löst", sondern vor allem das Leben auf und das Land Haiti selber vorstellt. So chaotisch die Schäden sind, die das Erdbeben hinterlassen hat, so schlimm sah es in dem armen Land schon vorher aus. Eine Regierung, die kaum in Erscheinung tritt, was nicht verwundert, wenn deren Präsident ein landesweit bekannter Alkoholiker ist. Da kann der eigenwillige Titelheld Azémar ordentlich mitreden, der sich ständig ausweisen muss, da er nach Alkohol stinkt und wie ein Stadtpenner wirkt. Dass sein Vorname Dieuswalwe, geschrieben mit zwei "W", ausgerechnet "Gott sei gelobt" heißt erscheint wie blanke Blasphemie.
"Man wusste ja, dass die Polizei die zweifelhaftesten Individuen einstellte. Das nahm man hin, solange die Individuen die Spielregeln einhielten und sich einigermaßen korrekt benahmen. Aber sich so im Dienst mit Alkohol volllaufen zu lassen, obendrein mit tranpe, einem sozial verpönten weil dem Volk vorbehaltenen Getränk, war zutiefst schockierend."
Gary Victor zeigt ein niederliegendes Land, in dem keine Regeln zu gelten scheinen. Daher wird schnell klar, dass der Protagonist sein Problem mit dem Tod von Solons Frau auf höchst unkonventionelle Weise lösen muss. Es gibt einen sicheren Zeugen und der muss weg. So einfach ist das, doch zunächst muss der titelgebende soro her, ein billiger Zuckerrohrschnaps, ohne den bei Azémar gar nichts mehr geht. Da der Schnaps seit einiger Zeit jedoch gepanscht wird, leidet der Ermittler unter bedenklichen Gedächtnislücken, die vor allem die letzten Stunden vor dem Erdbeben betreffen. Wie kam er in das Hotel? Was hat Solons Frau ihm erzählt, außer dass ihr Mann Hilfe braucht, da er von mächtigen Gegnern bedroht wird?
"Hierzulande ist man nicht darauf gefasst, dass jemand die Existenz von Zombies anzweifelt."
"Sie wollen also nicht aufgeben."
"Nein", antwortete der Inspektor seufzend. "Wenn es noch einen Haitianer gibt, der es nicht leiden kann, dass man ihn für schwachsinnig hält, dann bin ich das."
Ein tiefdüsterer Noir, der Haiti als chaotisch geführtes Land darstellt, in dem bittere Armut herrscht. Die Menschen sind leichtgläubig, vertrauen auf die Mächte der Geisterwelt, leiden an Aberglaube und Mystizismus. Viel Hokuspokus also und am Ende siegt die pure Gewalt, an der Azémar keineswegs unschuldig ist. Eines wird schnell klar: Viele Personen werden den Roman nicht überleben.
Gary Victor, litradukt
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