Schweinezeiten
- litradukt
- Erschienen: Januar 2013
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- Trier: litradukt, 2013, Seiten: 130, Übersetzt: Peter Trier
- Québec: Mémoire d'encrier, 2009, Titel: 'Saison de porcs', Originalsprache
Das meint Krimi-Couch.de: Fulminanter Auftakt der Inspektor-Azémar-Reihe
Eine Freundin bittet Inspektor Azémar um Hilfe. Ihre Tochter wird von einem bòkò, einem Magier, festgehalten und soll gegen ein Handgeld der Mutter zurück gegeben werden. Azémar verlässt sich da lieber auf seine Baretta; das Mädchen wird gerettet, drei Menschen sterben, wenig später versucht Kommissar Dorilus dem verhassten Azémar die Morde anzuhängen. Azémar erhält derweil einen Anruf seines ehemaligen Mitarbeiters, Wachtmeister Colin, der ihn vor zwei Jahren verlassen hat. Seitdem herrschte Funkstille, zu groß war Azémars Enttäuschung über Colin, der der Verlockung des Geldes, sprich der allgegenwärtigen Korruption im Lande, folgen wollte.
"Auf einem Müllhaufen erblickte er zwei Schweine. Wie lange schon wunderte es niemanden mehr, dass mitten in der Hauptstadt Schweine herumliefen?, fragte er sich. Das war das Tragische heutzutage: Man wunderte sich über gar nichts mehr. Geschah eine Katastrophe, die die Menschen eigentlich an ihre erbärmliche Dummheit erinnern sollte, dann machten sie einen Jahrmarkt daraus und bevölkerten ihn mit allen Schrullen ihrer verlumpten Vorstellungskraft."
Jetzt ist Colin in Gefahr, sein Partner wurde bereits hingerichtet. Dessen Leichnam, mit Schüssen durchsiebt, wurde nackt in einem Müllhaufen am Rand eines Slums gefunden. Zudem macht sich Azémar Sorgen um seine Tochter Mireya, die in wenigen Tagen an eine Adoptivfamilie im Ausland vermittelt werden soll. Aber warum verwandelte sich in Mireyas Traum der einstige Wachtmeister Colin in ein Schwein?
Temporeich, gewaltig und surreal.
Gary Victor startet mit Schweinzeiten, der nicht zu Unrecht als Voodoo-Krimi im kleinen Litradukt-Verlag erschienen ist, seine ausgezeichnete Inspektor-Azémar-Reihe. In einem Land, das an sich selbst zu scheitern droht oder wie Azémar sagen würde "nie aus der Scheiße rauskommen wird" ist er der einzige Aufrechte unter ansonsten durchweg korrupten Polizisten. So lebt Azémar dann auch in äußerst bescheidenen Verhältnissen, wobei ein Großteil seines ohnehin dürftigen Einkommens für den geliebten Tranpe, einen Zuckerrohrschnaps, draufgeht.
"Ihre Tochter zurückkaufen. Was soll das heißen?"
"Ihre Tochter litt an kräftigem Fieber. Auf den Rat von Verwandten und Nachbarn hat sie sie zu dem Magier gebracht, der unter dem Namen Marasa bekannt war. Er hat einen Verkauf diagnostiziert."
"Einen Verkauf?"
"Ja. Die Seele des Kindes soll an eine sosyete verkauft worden sein. Marasa hat großzügig einen der Leiter der sosyete holen lassen, der bereit war, den Kauf für 15000 Gourde rückgängig zu machen."
"Machen Sie sich über mich lustig, Inspektor?"
"Sie waren zu lange in den USA, Herr Kommissar. Sie verlieren die Realitäten unseres Landes aus den Augen. Ich erzähle Ihnen die reine Wahrheit."
In seinem Debütroman überschlagen sich bald die Ereignisse und der ehemalige Eliteschütze, der längst zu einem menschlichen Wrack geworden ist, muss über sich hinauswachsen. Seine ungepflegte Erscheinung, sein drastischer Alkoholkonsum und die damit verbundenen Ausdünstungen, erleichtern dem Inspektor seine Arbeit nicht immer. Allerdings weiß er genau, auf wen er sich verlassen kann; seine geliebte Beretta.
"Die Aufrichtigen und Ehrlichen krepieren in diesem Land. Sie fressen Scheiße. Ich bin nicht aus New York weggegangen, um in Haiti Scheiße zu fressen. Bis zu meiner vorzeitigen Pensionierung will ich mein Haus fertig bauen."
In einem Land, in dem die herrschenden und kriminellen Gruppen (dies müssen nicht verschiedene sein), unbestraft ihr Unwesen treiben dürfen, geht es eben nur mit roher Gewalt. Teils sind die Szenen so übertrieben surreal, dass sie fast schon wieder realistisch wirken. Allein die Mutation von Wachtmeister Colin zum Schwein erscheint dann doch übertrieben, aber halt, es war ja von einem Voodoo-Krimi die Rede und da sollen Flüche gelegentlich wirken.
"Ich muss eine Halluzination gehabt haben. Nicht durch den Alkohol. Ich bin nie klarer im Kopf, als wenn der Alkohol Besitz von mir ergriffen hat, wenn er mir in seinem sämtlichen Gewebe, in jede meiner Zellen einsickert, mein Gehirn durchtränkt."
Gary Victor ist ein sprachgewaltiger Autor, der die Gegenwart Haitis mit wenigen Worten herausragend seziert. Keine 130 Seiten hat das Buch und ist dennoch jeden Cent wert. Beste Unterhaltung wird in der Hitze von Port-au-Prince geboten. Wer den Autor noch nicht kennt, sollte ihn entdecken. Es wartet ein kurzes, aber intensives Leseerlebnis.
Gary Victor, litradukt
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