Letzter Ausweg Mord / Aus lauter Angst
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1970
- 1
- New York: Dodd, Mead & Company, 1967, Titel: 'Act of Fear', Seiten: 218, Originalsprache
- Frankfurt am Main: Ullstein, 1970, Seiten: 155, Übersetzt: Hansheinz Werner
- Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 1997, Seiten: 249, Übersetzt: Hansheinz Werner
Kleine, kriminelle Welt mit engen Grenzen
Der ehemalige Weltenbummler Dan Fortune ist vor Jahren an seine Geburtsstätte Chelsea - ein Viertel von New York City - zurückgekehrt. Er schlägt sich als Privatdetektiv durch, wobei ihm sein ausgeprägtes Ehrgefühl oft größere Schwierigkeiten bereitet als das Fehlen seines linken Armes, den er in seiner Jugend nach einem Unfall verlor.
In diesen heißen Sommerwochen läuft das Geschäft mau. Fortune lässt sich deshalb auf einen sogar für ihn ungewöhnlichen Klienten ein: Der Schüler Pete Vitanza heuert ihn an, seinen Freund Joseph „Jo-Jo" Olsen zu suchen, der seit einigen Tagen spurlos verschwunden ist. Während die Polizei glaubt, dass Jo-Jo sich irgendwo heimlich amüsieren will, macht Pete sich Sorgen.
Fortune hegt zunächst ebenfalls diesen Verdacht, wird jedoch misstrauisch, als ihn Jo-Jos Vater Lars Olsen überfällt, schlägt und auffordert, die Suche umgehend aufzugeben - keine Reaktion, die der Detektiv von einem sorgenden Vater erwartet hätte. Nun fragt er sich, ob Jo-Jo am Tag seines Verschwindens womöglich etwas gesehen hat, das ihn in Gefahr bringt. Diese Theorie verdichtet sich zur Gewissheit, als Fortune von Captain Gazzo ins Vertrauen gezogen wird. Genau in dem Viertel, das auch die Familie Olsen bewohnt, wurde eine junge Frau umgebracht. Jo-Jo gilt der Mordkommission als Zeuge oder Tatverdächtiger. Auf jeden Fall will Gazzo ihn finden: Die Frau war Geliebte des Gangsters Andy Pappas, der nicht fackelt, wenn er Rache will.
Fortune bleibt auf Jo-Jos Fährte. Dass diese wärmer wird, erkennt er u. a. daran, dass man ihn neuerlich attackiert und weitere Morde begangen werden. Offenbar gibt neben der Polizei, Pappas und den Olsens eine weitere Partei in diesem Spiel. Fortune muss das Puzzle vollenden, bevor sein Gegner ihn endgültig ins Visier bekommt ...
Die Moral von der (Krimi-) Geschicht'
1965 gab Dennis Lynds seinen Job als Herausgeber eines Magazins auf, um sich als Schriftsteller selbstständig zu machen. Er plante den Start in diese unsichere Karriere sorgfältig. Nicht hehre Literatur, sondern Unterhaltung mit einem gewissen Anspruch stand auf seiner Agenda. Das erfolgreiche Ergebnis entsprechender Überlegungen präsentierte Lynds bereits 1967: Daniel Tadeusz Fortunowski alias Dan Fortune erblickte das Licht der Krimi-Welt. Seine Schriftstellerkollegen von den "Mystery Writers of America" würdigten es, indem sie "Act of Fear" (dt. Letzter Ausweg Mord) 1968 mit einem "Edgar Allan Poe Award" für den besten Kriminalroman des Jahres auszeichneten.
Dabei erfand Lynds - der diesen sowie die noch folgenden 18 Dan-Fortune-Romane unter dem Pseudonym "Michael Collins" veröffentlichte - das Pulver keineswegs neu. Fortune ist sichtlich ein Nachfahre jener lakonischen, moralischen, ehrlichen, deshalb schlecht verdienenden, nie aufgebenden und oft verprügelten Detektive, die Autoren wie Raymond Chandler und Dashiell Hammett in den 1920er und 30er Jahren etablierten.
An diesen Vorbildern orientierte sich Collins auch stilistisch. Letzter Ausweg Mord ist in der Ich-Form aus Fortune-Sicht geschrieben. Der Detektiv beschreibt einerseits knapp und nüchtern, was er erlebt. Gleichzeitig lässt ihn Collins genau dies reflektieren und kommentieren. Daraus resultiert eine Weltsicht, die nicht annähernd so gefühlsarm ist, wie Fortune es vorgibt: Er ist zwar vom Leben gebeutelt aber darüber nicht abgebrüht oder gar abgestumpft. Fortune hat bereits in jungen Jahren seine Lektion gelernt. Da er dabei einen Arm verlor, prägte sie sich tief ein und bestimmt seither sein gesamtes Leben.
Die Last der Heimat
Bereits in diesem ersten Fortune-Roman setzt Collins Maßstäbe. Wo heute gern über viele hundert Seiten Seelenstroh gedroschen wird, begnügt er sich mit deutlichen Akzenten. Collins lässt die Handlung unmittelbar einsetzen und Informationen über die Person Dan Fortune nach und nach einfließen. Was der Detektiv fühlt und denkt, was Fortune ausmacht, spiegelt sich im Geschehen wider. Die Handlung nimmt ihren Verlauf nicht nur, weil Fortune seinen Job beherrscht. Mindestens ebenso wichtig ist, dass er gefühlsmäßig involviert ist, gerade deshalb nicht lockerlässt und damit unfreiwillig zu einer Eskalation der Gewalt beiträgt. Im Finale bleibt Fortune nur die bittere Erkenntnis, einen Fall gelöst zu haben, in dem er keine rühmliche Rolle gespielt hat.
Selbstvorwürfe sind Fortune generell nicht fremd, obwohl er in einem langen Vortrag behauptet, sich von den Fesseln seiner Herkunft freigemacht zu haben. Tradition und Familie können sich in Mühlsteine verwandeln: Jo-Jos Unglück wird erheblich durch die Tatsache verschärft, dass er seine Leiden für eine Familie auf sich nimmt, die ihn problemlos für Geld opfern will: Die Olsens haben noch andere Söhne, die sich bereitwilliger in den Mikrokosmos Chelsea einfügen und keine juristischen oder moralischen Bedenken hegen.
Chelsea, gelegen an der Westseite der Insel Manhattan, ist zur Handlungszeit noch ein Stadtviertel, das vor allem von Hafenarbeitern und ihren Familien bewohnt wird. Das organisierte Verbrechen hat diese Strukturen durchsetzt. Andy Pappas ist ein exemplarischer Vertreter der entstandenen Parallelwelt: So lange Diebstähle und Morde nicht überhandnehmen, dulden Polizei und Gesetz diese „Rackets", die nicht nur den Rahm abschöpfen, sondern in den von ihnen beherrschten Straßen für eine gewisse Ordnung sorgen.
Ein Mann, ein Wort, ein Arm
Dan Fortune hätte selbst ein Andy Pappas werden können. Die beiden kennen sich aus Kindertagen. Als Fortune seinen Arm verlor, war er gerade auf einer von Pappas organisierten Diebestour. Fortune hat einen rigorosen Schnitt gesetzt, Chelsea verlassen und die Welt bereist. Pappas ist geblieben. Anders als Fortune hat er es zu Geld und Macht gebracht, seine Freiheit jedoch verloren: Seine Geliebte wurde auch deshalb ermordet, weil Pappas gerade außerhalb der Stadt einer Kommission zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen Rede und Antwort stehen musste.
Fortune geht seine Unabhängigkeit über alles. Die Nachteile nimmt er in Kauf. Er hat nur wenige Freunde aber eine Lebensgefährtin, die deutlich jüngere "Tänzerin" Marty, die er zwar liebt, mit der er aber nicht zusammenlebt. Beruflich profitiert Fortune von seiner Freiheit, die ihn vor Verpflichtungen bewahrt: Zwar ist er ein Außenseiter, weil er sich nicht kaufen oder locken lässt, aber genau deshalb kann Fortune seine Ermittlungen objektiv führen. Er schont niemanden, sondern sucht und bohrt, bis er zur Wahrheit durchdringt.
Das ist in mehrfacher Hinsicht ein schmerzhafter Prozess. Gleich mehrfach wird Fortune auf raue Weise "gewarnt", indem man ihn verprügelt, was den einarmigen Mann in besondere Angst versetzt. Dennoch geht Fortune bemerkenswert gewaltarm vor. Nimmt er einmal eine Waffe mit, muss er sie sich leihen; er besitzt keine Pistole. Brenzlige Situationen versucht Fortune durch Argumente zu entschärfen. Jenseits einer gewissen Grenze setzt er sich freilich zur Wehr: Fortune ist kein Weichei, sondern durch Erfahrung klug geworden.
Die Wahrheit ist bitter
Collins bietet dem Leser einen ausgeklügelten Plot, der das Alter dieses Romans Lügen straft. Die Welt der späten 1960er Jahre ist keine Hippie-Domäne. Auch die erstarkende Schwulen- und Lesben-Szene des Stadtteils Chelsea bleibt ausgespart. In Fortunes Welt hat sich die nüchterne Realität durchgesetzt. Altmodisch wirkt „Letzter Ausweg Mord" höchstens durch eine Übersetzung; sie verwendet Wörter und Begriffe, die längst ausgedient haben.
Die Essenz der Story bleibt davon unberührt. Das Ende ist den oft deprimierenden Zwischenergebnissen dieser Ermittlung angemessen. Die meisten Schuldigen trifft ihre Strafe. Von einem Triumph der Gerechtigkeit kann aber keineswegs gesprochen werden; im Umfeld der Ereignisse haben sich Menschen die Finger schmutzig gemacht, für die Fortune sich eingesetzt hatte.
So bleibt er ohne Dank oder gar anständige Entlohnung zurück. Allerdings kann ihn dies nicht wirklich erschüttern, da er seine Welt längst auf Konstanten heruntergebrochen hat, die ihm auf jeden Fall erhalten bleiben. Insofern ist Fortune in gewisser Weise zufrieden. Er wird weitermachen - zur großen Freude der Leser, die ihn schnell zu schätzen wissen und davon profitieren, dass die übersetzten Fortune-Romane antiquarisch erhältlich sind.
Dennis Lynds, Ullstein
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