Die Melodie der Geister

  • Unionsverlag
  • Erschienen: Januar 2015
  • 2
  • Zürich: Unionsverlag, 2015, Seiten: 350, Übersetzt: Gerhard Meier
  • Paris: Actes Sud, 2011, Titel: 'Le Pays oublié du temps', Originalsprache
Die Melodie der Geister
Die Melodie der Geister
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Jörg Kijanski
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2015

Packende Mischung aus Krimi und Kulturhistorie

Während Polizeikommandant Michel de Palma seinen nächtlichen Bereitschaftsdienst schiebt erhält er einen anonymen Anruf. Dieser gibt sich als Einbrecher zu erkennen, der bei einem fehlgeschlagenen Beutezug auf eine Leiche gestoßen ist. Bei dem Toten handelt es sich um den 96-jährigen Dr. Fernand Delorme, ein weltweit anerkannter Facharzt, der offensichtlich durch einen gezielten Kopfschuss getötet wurde.

 

"Dieser Delorme war angeblich mit der halben Stadt befreundet und mit der anderen Hälfte verfeindet."
"Wir wissen noch gar nicht, ob es überhaupt Delorme ist."
"Meinetwegen, aber das ist nun mal sein Haus, und der Direktor hat ein Auge auf uns. Und dann hat er noch gemeint, dass wir erfolgsmäßig in letzter Zeit eher Scheiße am Arsch haben. Wortwörtlich hat er das gesagt."
"Wie elegant!"

 

Delorme galt als großer Sammler von Totenschädeln primitiver Kulturen, wobei es ihm besonders Neuguinea angetan hatte. Nun fehlt ein solcher Totenkopf und auf Delormes Schreibtisch findet de Palma das Buch "Totem und Tabu" von Sigmund Freud. Die Obduktion bringt eine dicke Überraschung, denn von der vermeintlich tödlichen Kugel, welche den Doktor tötete, fehlt jede Spur ohne dass es ein Ausschussloch gibt. Dafür findet sich ein kleiner Holzsplitter eines offenbar sehr alten Schilfpfeiles.

 

"Soviel ich weiß, ist die primitive Kunst ein ziemliches Eldorado. Man zahlt drei Erdnüsse für eine kleine Figur oder eine Maske und verhökert sie zu Fantasiepreisen an Gutmenschen, die sich über das Elend in der Welt grämen."

 

De Palma entdeckt in der Wohnung des Toten ein altes Logbuch, welches die Forschungsreise der "Marie-Jeanne" in der Mitte der 1930er Jahre beschreibt. Damals reiste der noch sehr junge Delorme zusammen mit einem Freund nach Neuguinea, um dort auf unentdeckte Ur-Völker zu treffen. Von diesen kauften sie Schädel und Totenmasken. Die Spuren führen in die Kunsthändlerszene, in der es schon bald weitere Morde geben wird. Erst als ein guter Bekannter von de Palma ermordet wird, kommen die Ermittlungen langsam voran...

Ein weiterer großartiger Fall aus der preisgekrönten Michel-de-Palma-Reihe.

Xavier-Marie Bonnot liefert mit Die Melodie der Geister einen weiteren vorzüglichen Fall für seinen Serienhelden Michel de Palma, der allerdings womöglich auch sein letzter sein könnte, denn in einem Jahr winkt der wohlverdiente Ruhestand. Den hat sich der Opernliebhaber und "Baron" genannte Topermittler der Marseiller Kripo redlich verdient, doch der vorliegende Fall verlangt ihm noch mal alles ab; schließlich kommen ihm hier sogar Geister in die Quere. Der Roman teilt sich im Wesentlichen in zwei Teile. Zum einen gibt es die aktuellen Mordermittlungen, zum anderen das Tagebuch über die Schiffsreise in den 1930er Jahren. So erfährt man vor allem in diesen (und anderen) Rückblenden sehr viel über das Volk der Papua.

 

"Was für eine Funktion haben die Flöten?"
"Sie spielen bei den Papua eine große Rolle. Sie werden für allerlei Festlichkeiten benützt, aber auch für Initiationsriten. Manche davon sind die Stimme der Geister."
"Die Stimme der Geister?"
"Ja, und von Nichteingeweihten dürfen sie nicht gehört werden, sie sollen nämlich den Ursprung der Geisterstimmen nicht kennen."
"Und wenn sie das doch tun?"
"Müssen sie sterben."

 

Das Volk der Papua wird gerne mit Kopfjagd und Kannibalismus in Verbindung gebracht, zumindest bis zu deren mehr oder weniger erfolgreicher Christianisierung. Gekonnt verbindet Bonnot den Krimiplot mit einem informativen kulturhistorischen Hintergrund, der nicht nur Ethnologen begeistern dürfte. So erfährt man beispielsweise wie damals die Totenmasken in "Kunstwerke" verwandelt wurden, die in der westlichen Welt hohe Preise erzielen. Dabei wohnen in diesen Schädeln bekanntlich die Geister jener Menschen, die sie zu Lebzeiten bewohnt hatten. Ein Phänomen, mit dem auch de Palma konfrontiert wird. Zugleich führt hierdurch eine viel versprechende Spur in die Kunsthändlerszene, da offenbar primitive Kunst in Marseille verschoben wird. Damit wären wir dann auch beim Hafen von Marseille, der ebenso wie die ganze Stadt, eine heimliche Hauptrolle übernehmen darf und zugleich anschaulich und atmosphärisch beschrieben wird.

Neben der Entdeckung einer uns fremden Welt, gibt es auch wiederholt Verweise auf die Werke von Sigmund Freud, Claude Lévi-Strauss sowie der amerikanischen Anthropologin Margaret Mead, die einen (mehr oder weniger) wissenschaftlichen Bezug zur vorliegenden Geschichte haben. Nicht zuletzt gibt es zudem Neuigkeiten aus dem Privatleben des sympathischen Protagonisten. Dieser findet zurück zu seiner alten Jugendliebe und paukt für einen Segelführerschein, denn – wie schon erwähnt – der Ruhestand winkt. Für anspruchsvolle Krimileser wäre dieser ein herber Verlust.

Die Melodie der Geister

Xavier-Marie Bonnot, Unionsverlag

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