Das Büro der einsamen Toten
- Mulholland Books
- Erschienen: Januar 2014
- 8
- Amsterdam: De Arbeiderspers, 2012, Titel: 'Heldhaftig', Originalsprache
- London: Mulholland Books, 2014, Titel: 'Lonely Graves', Seiten: 272
- Hamburg: Hoffmann und Campe, 2015, Übersetzt: Johannes Steck
Großartiges Debüt mit Pieter Posthumus
In der Prinsengracht wird die Leiche eines jungen Mannes gefunden, der offenbar in eine Schiffsschraube geraten war. Die Polizei vermutet einen Unfall, ab und an fällt halt schon mal jemand besoffen in den Kanal. Pieter Posthumus, der im Bestattungsteam des Amtes für Katastrophen und Bestattungen, im Volksmund "Büro der einsamen Toten" genannt, arbeitet, glaubt nicht an einen Unfall. Doch Pieter ist ein Sonderling, der vor neun Monaten in das eher unbedeutende Team strafversetzt wurde, da er als unkooperativ und nicht teamfähig gilt. Jetzt gehört zu seinen Aufgaben, sich um unbekannte Tote zu kümmern, deren womöglich noch existierende Verwandte zu ermitteln und für ein würdiges Begräbnis zu sorgen. Dabei hat er schon mehr als genug zu tun, denn vor allem der Selbstmord von Bart Hooft macht ihm zu schaffen. Hooft schrieb zahlreiche Gedichte und war stark tätowiert; so ergibt sich eine Spur, die in die BDSM-Szene führt.
Unverhofft gibt es für Pieter ein Wiedersehen mit seiner Nichte Merel. Nach dem tragischen Tod seines Bruders Willem vor rund zwanzig Jahren brach der Kontakt zum Rest der Familie jäh ab. Nun arbeitet Merel als Journalistin an einer Geschichte über die Situation muslimischer Frauen in Amsterdam und kommt dabei mit der jungen Marokkanerin Aissa Tahiri ins Gespräch. Einige Zeit später findet Pieter heraus, dass der Tote aus der Prinsengracht mit Aissas Familie entfernt verwandt war. So arbeiten Pieter und Merel fortan zusammen, nichts ahnend, dass auch der niederländische Staatsschutz seine Finger im Spiel hat. Dort beobachtet man mit Argusaugen eine Gruppe junger Marokkaner, die als "Amsterdamer Zelle" terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden. Seit einiger Zeit hat auch Najib, Aissas Bruder, Kontakt zu dieser Gruppe ...
Packend geschrieben, interessanter Protagonist.
Das Autorenduo Britta Böhler und Rodney Bolt legen einen mehr als gelungenen Debütroman vor. Dieser spielt überwiegend in drei Handlungssträngen, nämlich der Arbeit von Pieter, der Beobachtung des Staatsschutzes und der Familie Tahiri. Pieter ist ein Eigenbrötler, der aber vor allem durch seine Beharrlichkeit sympathisch wirkt. Während seine Kollegen nur allzu gerne die Akten schnell wieder schließen fühlt er sich berufen, die Geheimnisse der Verstorbenen zu ergründen, Familienangehörige (notfalls weltweit) aufzuspüren und – wie im Fall des jungen Mannes in der Gracht – auch Privatdetektiv zu spielen.
Derweil versucht ein übermotivierter Abteilungsleiter beim Staatsschutz die Karriereleiter nach oben zu klettern und bedient sich dabei höchst unlauterer Methoden. So will er die vermeintliche "Amsterdamer Zelle" endlich zu konkreten Handlungen verleiten, um diese verhaften zu können. Helfen soll vor allem der Einsatz eines Kontaktmannes in der Gruppe, um die Entwicklungen in die gewünschte Richtung zu manipulieren. Hier ist vielleicht ein bisschen zu viel Schwarz-Weiß-Effekthascherei entstanden, aber dies wäre dann auch schon der einzige (große) Kritikpunkt an diesem Debüt.
Wie gleiten junge Muslime in den gewalttätigen Islam ab?
Am Beispiel der Familie Tahiri zeigt sich währenddessen exemplarisch das Dilemma der "islamischen Welt" in Europa. Die Eltern sind angesehene und gut integrierte Geschäftsleute, doch Familienoberhaupt Mohammed verliert zunehmend den Einfluss auf seine Kinder. Vor allem Najib konnte in Amsterdam nie richtig heimisch werden, pendelt somit zwischen den Welten und radikalisiert sich zunehmend; stark begünstigt durch den Umgang mit seinen neuen "Freunden". Realistisch und beängstigend zugleich ist zu lesen, wie junge Menschen außer Kontrolle zu geraten drohen.
Der Schreibstil des Autorenduos ist packend, informativ und peitscht den Leser stets voran, wobei die unterschiedlichen Erzählstränge geschickt miteinander verwoben werden. Zudem gelingt es einfühlsam die Familie Tahiri und deren unterschiedliche Wahrnehmungen ihrer neuen Heimat und der damit einhergehenden Probleme aufzuzeigen. Das ramponierte Familienleben des Protagonisten erhält derweil durch die Annäherung an seine Nichte erste positive Korrekturen und zu guter Letzt entwickelt sich die Stadt Amsterdam selbst zu einer heimlichen Hauptdarstellerin des Romans, welcher bei Hoffman und Campe erschienen ist. Auf weitere Fälle mit Pieter "PP" Posthumus darf man sich freuen.
Britta Bolt, Mulholland Books
Deine Meinung zu »Das Büro der einsamen Toten«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!