Die verlorenen Schwestern

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2015
  • 8
  • London: Serpent's Tail, 2014, Titel: 'In the morning I'll be gone', Originalsprache
  • Berlin: Suhrkamp, 2015, Seiten: 378, Übersetzt: Peter Torberg
Die verlorenen Schwestern
Die verlorenen Schwestern
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Jörg Kijanski
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2015

IRA, INLA, RUC – Aye!

Nach seiner Degradierung arbeitet Sean Duffy als einfacher Sergeant auf einem Grenzrevier in dem kleinen Ort Bellanghray. Als jedoch im September 1983 aus dem berüchtigten Maze-Gefängnis 38 IRA-Terroristen ausbrechen nimmt der MI5 einige Monate später Kontakt zu Duffy auf. Er würde seinen alten Rang bei der Carrickfergus RUC zurückerhalten und dem Special Branch zugewiesen, wenn er den vermeintlichen Anführer der Terroristen, den IRA-Kommandanten Dermot McCann, aufspürt.

 

"Mord, Selbstmord oder Leberzirrhose – das waren die drei beliebtesten Aussteiger-Methoden aus der RUC."

 

Die beiden kennen sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit und so kennt Duffy auch Dermots Familie, doch selbstverständlich wird diese nie mit der Polizei reden. McCann hatte sich mit seinen IRA-Kumpanen nach der Flucht einige Zeit in Lybien aufgehalten und nun fürchtet man, dass sie zurück sind und unter seiner Führung verheerende Bombenanschläge planen.

 

"Welchen Grund könnte ich denn nur haben, Ihnen zu helfen, den Handlangern der Besatzungsmacht? Warum um alles in der Welt sollte ich meinen ehemaligen Schwiegersohn an Ihresgleichen ausliefern?"
"Dermot plant einen Bombenanschlag. Er wird eine große Anzahl an Unschuldigen töten."
"In einem Krieg wird es immer Opfer geben. Bedauerlich, aber so ist es nun mal."

 

Duffy hat kaum eine Chance, da bietet sich ihm eine unverhoffte Gelegenheit. McCanns Ex-Schwiegermutter, Mary Fitzpatrick, kann angeblich einen entscheidenden Hinweis auf den Aufenthaltsort geben. Allerdings verlangt sie eine Gegenleistung. Duffy soll den rätselhaften Tod ihrer Tochter Lizzie vor rund vier Jahren aufklären. Am 27. Dezember 1983 arbeitete Lizzie allein im Pub ihres Vaters, verabschiedete die letzten Gäste zur Sperrstunde und wurde wenig später tot aufgefunden. Laut Polizei ein tragischer Unfall, sie sei beim Wechseln einer Glühbirne vom Tresen gestürzt und habe sich dabei den Hals gebrochen.

"Ich muss wissen, wer es gewesen ist, und ich brauche Beweise. Ich muss es wissen. Das wird Lizzie nicht zurückbringen. Nichts wird sie zurückbringen, aber das Recht, das alte Recht, das Brehon Law, überlässt mir die Wahl der Strafe, erlaubt mir, die Rechnung für sie zu begleichen."

Der Pathologe Dr. Kent zweifelt an einem Sturz und geht davon aus, dass Lizzie mit einem Gegenstand erschlagen wurde. Doch wie sollte der Mörder die Kneipe verlassen haben, die beim Eintreffen der Polizei an allen Türen von innen verriegelt war?

Der "katholische Bulle" zum Dritten.

Nach Der katholische Bulle und Die Sirenen von Belfast ermittelt Detective Inspector Sean Duffy von der Carrickfergus RUC in seinem dritten Fall. Allerdings wurde er inzwischen degradiert und wird sogar in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, da er einigen Vorgesetzten ein Dorn im Auge ist. Doch der britische Geheimdienst ist verzweifelt, denn Dermot McCann ist ein berüchtigter Bombenbastler der IRA und zu allem fähig. So ermittelt Duffy erneut und hat es mit einem der großen Klassiker der Kriminalliteratur zu tun, nämlich dem "Verschlossene-Räume-Problem". Wie kann ein Mord geschehen, wenn alle Ausgänge von innen (!) verriegelt sind?

 

"Wenn der Mörder allerdings von dort unter gar keinen Umständen verschwinden konnte, dann haben wir freilich kein Rätsel."
"Weil?"
"Weil es keinen Mörder gibt."
"Und meine beiden Ärzte?"
"Weißt du, warum man sich immer eine zweite Meinung einholt? Weil Ärzte häufig völlig falsch liegen."

 

Es folgt ein klassisch angelegter Krimiplot, bei dem es zunächst darum geht, die alten Zeugen erneut zu befragen. Ganz allmählich kommt Duffy der Lösung des Rätsels auf die Spur, doch bis dahin verfolgen die Leser einmal mehr die mindestens genau so spannenden Zustände in Irland. Niemand zweifelt daran, dass es wieder Bombenanschläge geben wird, die Frage ist nur, wann diese erfolgen? Der Bergarbeiterstreik ist derweil auf seinem Höhepunkt und außerdem begegnet Ich-Erzähler Duffy so schillernden Figuren wie Reverend Ian Paisley, Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams, Joe Kennedy (Neffe des US-Präsidenten) und Margaret Thatcher.

 

"Ich hab mich noch nie für Politik interessiert. Und heute auch nicht. Schon gar nicht die verfluchte irische Politik. Nein, deine Schwester hat da schon die richtigen Konsequenzen gezogen. Hast du jemals einen von Dermots Brüdern getroffen? Die sind alle in Australien oder Amerika oder sonst wo. So macht man das. Man geht nach Amerika, singt ab und an mal ein paar Liedchen über die alte Heimat, spendet hin und wieder mal ein paar Pennys für die gute Sache, aber man kehrt nie wieder zurück."

 

Erneut gibt Adrian McKinty bedrückende Einblicke in den Irland-Konflikt und setzt seine Duffy-Reihe kongenial fort. Die Stimmung bei Polizei und Bevölkerung wird glänzend eingefangen, der zeithistorische Hintergrund ausreichend dargestellt und mit einer packenden Erzählweise garniert. Getragen wird die Geschichte von ihrem Protagonisten. Einerseits das Herz am richtigen Fleck, andererseits nicht vor Gewalt zurückschreckend. Dabei versinkt Duffy immer wieder in einer Welt aus Musik, Joints und Alkohol. Für Irland-Liebhaber ist Adrian McKinty absolute Pflichtlektüre.

Die verlorenen Schwestern

Adrian McKinty , Suhrkamp

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