Ein Grab mit deinem Namen
- Rowohlt
- Erschienen: Januar 2015
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- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2015, Seiten: 480, Originalsprache
Der weiße Nebel sonderbar
Sicher mag es im Berufsleben von Archäologen üblich sein, dass sie im Laufe ihrer Tätigkeit die eine oder andere Leiche zu Tage fördern, sei sie auch vor ziemlich langer Zeit verstorben. Unüblich ist dagegen, dass erst kürzlich dahingeschiedene Personen auf Grabungsstellen aufgefunden werden, noch unüblicher ist sicherlich, dass es sich bei dieser Person um die leitende Archäologin selbst handelt. Dennoch wird auch hier eine unmittelbare Verbindung zur weiter entfernten Geschichte der Menschheit dargestellt, wurde doch der Körper der Ermordeten mit rätselhaften Runen versehen und so scheint eine Verstrickung mit einer mysteriösen Sekte oder mit einem unmenschlichen Kult mehr als wahrscheinlich und erfüllt den Leser schon im Vorfeld mit einem leichten Gruseln.
Stephan M. Rother schickt hier sein in zwei Bänden bewährtes Ermittlerduo Jörg Albrecht und Hannah Friedrichs in einen neuen Fall, der offensichtlich die Grenzen des Diesseits überschreitet. Die Luft ist erfüllt von mysteriösen Geräuschen und weiß wabert der Nebel und hier könnte sich schon die Frage stellen, warum diese Umstände in einem Krimi derart überbetont werden. Denn in Kriminalromanen haben erfahrungsgemäß Menschen die Hand im Spiel und nicht rächende Geister aus welcher Welt auch immer. Dennoch scheint dieser Fakt insbesondere den Ermittlern nicht so recht geläufig zu sein. Anders lässt sich nämlich nicht erklären, warum sich die Untersuchungen nicht wie in Polizeikreisen oft und gerne praktiziert auf die Familie oder auf das berufliche Umfeld der Verstorbenen konzentrieren, sondern sich insbesondere auf das Entwirren von Mysterien stürzen.
Überhaupt – im Kreise der Ermittler scheint ja mittlerweile der Zahn der Zeit ziemlich zugeschlagen zu haben, denn wie lässt es sich sonst erklären, dass bei der Durchführung der Autopsie gnadenlos geschlampt wird, der jüngste Spross der Truppe in erster Linie mit seinem iPhone herumdaddelt und die ermittelnde Kommissarin den gesetzlichen Mutterschutz eher als freundliche Empfehlung betrachtet? Immerhin wird hier aber einmal klar der Sinn und Zweck des Mutterschutzes aufgezeigt – denn wenn eine gestandene Ermittlerin sich ständig mit dem Mordopfer auf einer geistigen Ebene verbunden sieht, dann kann das nur einem veränderten Hormonhaushalt erklärt werden und hier wäre es dann wirklich angezeigt, einmal beruflich zu pausieren. Fragen werfen auch die Teilnahme des ermittelnden Kommissars an einer mehr als halbseidenen Party auf, bei der sich in dunklen Kellerräumen eigenartige Vorgänge abspielen, die eigentlich einen Polizeieinsatz nach sich ziehen müssten. Nein, das Team der Hamburger Polizei macht hier keinen sonderlich guten Eindruck.
Erstaunlich ist immerhin, warum diese "Gurkentruppe" letztendlich doch noch einen Täter präsentiert, andererseits beruht der Erfolg nicht zuletzt auf dem Hinweis eines grundsätzlich Unbeteiligten, der nur zur Klärung der "Mysterien" am eigentlichen Fall beteiligt wurde. Streng genommen, könnte die Aufklärung damit auch "Kommissar Zufall" angerechnet werden. Wirklich ärgerlich ist aber, dass mit der Aufklärung des Falles nicht alle offenen Fragen abgedeckt sind, geht doch ein zweiter Todesfall sang und klanglos im ganzen Mysterienspiel unter. Immerhin – mit der Auflösung erfährt der Leser wer sich als zweiter Erzähler und wichtiger Zeuge zwischenzeitlich in den Textfluss einschaltete und den Eindruck einer gestörten Persönlichkeit hinterließ. Hier muss man Stephan M. Rother doch einen gewissen Respekt zollen – die Idee, diesem Zeugen eine Stimme zu verleihen überrascht und zeugt von einer kreativen Frechheit. Aber leider kann auch diese Konstruktion nicht vom ganzen unnötigen Hokus-Pokus, der hier das Leitthema ausmacht, ablenken. Wer sich jetzt fragt, warum nach diesem ganzen Gemecker doch noch eine Gradzahl von 70° vergeben wurde – ein gewisser Unterhaltungsfaktor kann dem Buch nicht abgesprochen werden. Wer hier seine Erwartungen nicht allzu hoch schraubt, kann auf dem Balkon ein paar angenehme Stunden schmökern. Ob das allerdings der Maßstab der Dinge ist, sei sicherlich auch dahingestellt.
Stephan M. Rother, Rowohlt
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