Das Mädchen, das verstummte
- Wunderlich
- Erschienen: Januar 2014
- 13
- Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 2014, Seiten: 592, Übersetzt: Ursel Allenstein
Der Mann, der ein besserer Mensch werden wollte
"Dennoch musste er weiter an seiner Veränderung arbeiten. Er konnte sich nicht mehr einfach nehmen, was er wollte, so wie er es gewohnt war. Er musste auch etwas geben. Er musste für jemand anderen als nur sich selbst da sein. Ein besserer Mensch werden."
Sebastian Bergman, der unausstehliche Kriminalpsychologe, ist in seinem vierten Fall kaum wiederzuerkennen. Das Mädchen, das verstummte löst in ihm Gefühle aus, die er bisher mit Zynismus, Arroganz und Sexsucht überdecken konnte. Während Bergman dem Leser in diesem Band zum ersten Mal beinah sympathisch wird, durchläuft eine andere Figur aus dem Team eine entgegengesetzte Entwicklung und lässt das Buch mit einer schockierenden Szene enden.
Auch Das Mädchen, das verstummte spielt wieder in der schwedischen Provinz und politische und soziale Entwicklungen in der schwedischen Gesellschaft werden von dem Autorenduo Hjordth/Rosenfeldt kritisch angesprochen. Gesellschaftskritik steht aber nicht im Vordergrund von Das Mädchen, das verstummte, sondern die zwischenmenschlichen Beziehungen im Ermittlerteam. Das ist beinah ebenso spannend wie der Kriminalfall. Der hat es in sich: Eine ganze Familie wird abgeschlachtet, scheinbar ohne Motiv. Die einzige Zeugin, ein 10-jähriges Mädchen, ist so traumatisiert, dass sie nicht spricht. In Zeichnungen nähert sie sich zeitlich rückwärts langsam dem Verbrechen und damit dem Täter. Inzwischen versucht der Täter alles, um die einzige Zeugin aus dem Weg zu schaffen, und er kommt ihr gefährlich nahe.
Wie bei den vorherigen Krimis aus der Reihe nehmen auch im vierten Band die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander großen Raum ein. Das Beziehungsgeflecht ist für Neueinsteiger einigermaßen nahvollziehbar, aber für Stammleser sicher interessanter. Die Autoren Hjorth und Rosenfeldt verstehen es, ihre Figuren komplex und glaubwürdig zu gestalten. Die Personen und ihre Beziehungen untereinander bilden den zweiten, ebenbürtigen Strang neben der Krimihandlung. Dennoch schaffen sie es, auch den Spannungsbogen der Krimihandlung zu halten, was bei fast 600 Seiten schon eine Leistung ist. Die Handlung liest sich flüssig, die Perspektivwechsel in der Erzählhaltung sind genau richtig gesetzt, nicht zu lang und nicht zu kurz.
Man merkt den Autoren an, dass sie vom Film kommen. Gleich auf den ersten Seiten geht es zur Sache mit dem Mord an der Familie, bevor wie in einem schnell geschnittenen Film Kapitel auf Kapitel die Erzählperspektive wechselt und die Geschichte vorantreibt. Die Spannung wird geschürt, indem die Kapitel mit Cliffhangern enden. Die Autoren setzen wohldosierte Entspannungsmomente, in denen die privaten Befindlichkeiten der Teammitglieder im Fokus stehen. Natürlich gibt es auch gutgesetzte Wendungen, um den Leser zu überraschen. Sie sind nicht immer vorhersehbar, aber leider auch nicht immer überzeugend. So gut nachvollziehbar die Motive aller Beteiligten sind - so richtig nimmt man dem Täter seine Fähigkeiten und Handlungen nicht ab. Das ist aber der einzige Schwachpunkt in einem ansonsten gelungenen Krimi.
Nachdem Sebastian Bergman im schwachen dritten Band fast wie eine Nebenfigur in seiner eigenen Reihe wirkte, nimmt er in diesem Band wieder eine zentrale und aktive Rolle ein. Das ist ebenso erfreulich wie der Fakt, dass die beiden Autoren ihren Hauptcharakteren eine Weiterentwicklung zugestehen. Der Cliffhanger am Ende des Buches macht neugierig auf den nächsten Band der Reihe. Zum einen scheinen große Konflikte im Team bevorzustehen, zum anderen steht natürlich die Frage im Raum: Wird Sebastian Bergman ein besserer Mensch? Wer nach dem letzten Band befürchtet hat, dass sich die Sebastian-Bergman-Reihe auf dem absteigenden Ast befindet, wird mit diesem Band eines besseren belehrt. Bleibt zu hoffen, dass der fünfte Bergman-Krimi wieder genauso überrascht wie dieser.
Michael Hjorth & Hans Rosenfeldt, Wunderlich
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