Der Schneegänger
- Der Hörverlag
- Erschienen: Januar 2015
- 8
- München: Der Hörverlag, 2015, Seiten: 6, Übersetzt: Eva Mattes
Ein Blick in menschliche Abgründe
Im Berliner Grunewald wird die skelettierte Leiche eines Jungen von einem Förster und seinem Jagdhund gefunden. Die Ermittler um Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring finden bald heraus, dass es sich um den vor vier Jahren entführten Darijo handelt. Der Fall des neunjährigen Kroaten war damals ungelöst geblieben. Es wurde gemutmaßt, dass die Entführer ihn mit dem gleichaltrigen Sohn eines reichen Industriellen verwechselt hatten, bei dem seine Mutter als Putzfrau arbeitete. Nach dem Erpresseranruf beim Arbeitgeber von Lida Tudor gab es keine weitere Kontaktaufnahme. Zum Gespräch mit den mittlerweile getrennt lebenden Eltern nimmt Gehring seine junge Kollegin Sanela Beara mit. Die geborene Kroatin soll ihm als Übersetzerin helfen. Die ehrgeizige junge Polizei-Studentin ermittelt zum Unwillen von Gehring anschließend alleine weiter – und so nimmt der schwierige Fall einen turbulenten Verlauf.
Ermittlerin mit unkonventionellen Methoden
Elisabeth Hermann ist es in ihrem neuen Roman einmal mehr perfekt gelungen, gesellschaftlich relevante Themen mit einer spannenden Kriminalgeschichte zu verbinden. Da ist die Savoyer Straße, mit den gutbürgerlichen Villen, Hausangestellten, wohlsituierte Bewohner mit entsprechendem Standesdünkel. Auf der anderen Seite der Vater von Darijo, ein Biologe, der in einer Wolfsstation in Brandenburg lebt und arbeitet. Lida Tudor ist eine Art Klammer für beide Welten, offenbar aber derart mit sich selbst beschäftigt, dass sie nur noch eine getrübte Wahrnehmung ihrer Umwelt hat. Sanela Beara versucht ihrerseits, beide Welten zu verstehen, was ihr durch ihre Kontakte in die kroatische Gemeinschaft natürlich viel besser gelingt als ihrem älteren Kollegen Lutz Gehring. Die junge Frau, derzeit als Studentin in der Ausbildung für den gehobenen Polizeidienst, eckt mit ihrer unkonventionellen Art ständig an – und wird so schnell zum Liebling des Lesers.
Ermittlerduo der Gegensätze
Beara brennt vor Ehrgeiz, ist von einer Art missionarischem Eifer erfüllt. Sie lässt sich auch von persönlichen Empfindungen leiten, was eine Art Markenzeichen von ihr ist. Sie ist eine sympathische Figur, die noch einiges an Entwicklungspotenzial hat. Ihr Kratzen an der Autorität ihres Vorgesetzten wirkt nicht aufsässig, sondern getrieben vom Wunsch, es besser zu machen als der erfahrene Kollege. Dabei macht sie auch reichlich Fehler, die sie allerdings mit Glück wieder ausbügelt. Ihr Einsatz in der Villa der Millionärsfamilie verläuft keineswegs pannenfrei, aber mit Geschick und Instinkt sammelt sie dann doch die nötigen Informationen. Lutz Gehring wirkt demgegenüber leicht hölzern, stur, nicht wirklich flexibel. Er muss sich zuweilen auf seinen Status als Chef von Beara berufen, aber im Duo bewirken die beiden Ermittler dann doch einiges. Man darf gespannt sein, wie es mit den beiden gegensätzlichen Figuren weiter geht – wenn es denn eine Fortsetzung in dieser Kombination gibt.
Emotionale Belastung für alle Beteiligten
Neben den Einblicken in die Gemeinschaft der kroatischen Einwanderer, und den Mikrokosmos der gut betuchten Bürger an der Savoyer Straße schafft es Elisabeth Hermann mit vielen falschen Fährten und überraschenden Wendungen, enorme Spannung aufzubauen. Die Ermittler sind ständig mit neuen Spuren und wechselnden Aspekten konfrontiert. Hinzu kommen die internen Probleme zwischen Gehring und Beara. Zudem wird dem Leser eine phasenweise düstere Stimmung vermittelt. Die Konflikte zwischen Wolfsschützern, Jäger und Nutztierhaltern werden dabei nur am Rande thematisiert. Eine Vertiefung an dieser Stelle hätte den Roman nach meiner Auffassung aber auch überfrachtet, so bleibt es knackig und spannend – und der Leser kann sich selbst seine Gedanken zu diesem speziellen Thema machen. Ein Mord an einem Kind sorgt zudem bei allen Beteiligten für eine enorme emotionale Belastung. In den düsteren brandenburgischen Wäldern passieren außerdem Dinge, die die Phantasie weiter anheizen. Insgesamt ist Elisabeth Hermann ein lesenswertes und fesselndes Buch gelungen, Lesekino der besseren Art. Auf die Fortsetzung mit der jungen Polizeirebellin freu ich mich jedenfalls schon jetzt.
Elisabeth Herrmann, Der Hörverlag
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