Spur 24
- Rowohlt Polaris
- Erschienen: Januar 2014
- 3
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Polaris, 2014, Seiten: 384, Originalsprache
Der reale Background macht frösteln
Ellen Rausch ist eine Journalistin Anfang 50, die nach Jahren in den großen Medien einen persönlichen Absturz hatte, und jetzt auf Vermittlung eines alten Schulfreundes in ihre Heimatstadt Lärchtal zurückkehrt. In der Kleinstadt in der Eifel wird sie Reporterin beim "Eifel-Kurier", einer wöchentlich mittwochs erscheinenden Zeitung. Eher durch Zufall stößt Ellen Rausch auf eine in ihren Augen spannende Geschichte. Per amtlicher Bekanntmachung wird Ursula Gersdorff aufgefordert, sich im Amtsgericht zu melden, andernfalls soll sie 16 Jahre nach ihrem Verschwinden für Tod erklärt werden. Der Antrag dazu wurde von ihrer Mutter, Schwester und Bruder gestellt, sie wollen endlich einen Schlusspunkt setzen. Die versierte Reporterin Ellen Rausch beginnt nach allen Regeln der Kunst zu recherchieren – und sticht dabei in ein echtes Wespennest. Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik sind offenbar in ein Netz verstrickt, in dessen Zentrum der Bürgermeister sitzt. Ellen Rausch wird wegen ihrer Veröffentlichungen zur unerwünschten Person, in ihr Haus wird eingebrochen, es gibt Morddrohungen. Die örtliche Polizei mauert, und erst die Bonner Kriminalpolizei hilft der Journalistin nach einigem Zögern bei der Aufklärung des verzwickten Falles.
Realer Fall wird im Roman verarbeitet
Der geschätzte Journalisten-Kollege Wolfgang Kaes hat wieder einen Kriminalroman vorgelegt, der es in sich hat. Es geht vor allem um eine verschwundene Frau, die für Tod erklärt werden soll. Aber es geht auch um übelste Vetternwirtschaft in einem kleinen Provinzstädtchen. Das liegt zufällig in der Eifel, könnte aber auch überall in Deutschland sein. Ein wirklicher Zufall ist die Wahl des Schauplatzes allerdings nicht, denn der Autor hat hier seine Erfahrungen aus einem realen Fall verarbeitet. Trudel Ulmen galt 16 Jahre als vermisst, bevor der investigative Journalist Kaes dafür sorgte, dass ihr Fall wieder aufgerollt wurde. Der echte Fall ist im Roman komplett anonymisiert. Als Ort der Handlung wurde das Eifelstädtchen Lärchtal im westlichen Kreis Euskirchen erfunden. Wie viel autobiografisches Material Wolfgang Kaes in seiner Protagonistin Ellen Rausch verarbeitet hat, kann ich allerdings nicht beurteilen. Auf jeden Fall vermeidet es der Autor, die erfahrene Journalistin als zu ausgebuffte Person darzustellen, das macht sie als Romanfigur sympathisch und überaus glaubwürdig.
Lärchtal könnte überall sein
Ellen Rausch – wie in der Realität Wolfgang Kaes zuvor – geht der Frage nach, warum ein Mensch einfach verschwinden kann. In Deutschland ist das keine Seltenheit, rund 100 000 Vermisstenanzeigen werden laut Polizei jährlich aufgegeben. Nach wenigen Tagen sind die meisten Verschwundenen wieder da – aber drei Prozent der Vermissten tauchen eben nicht wieder auf. 3000 Männer und Frauen bleiben demnach pro Jahr unauffindbar. Und um einen solchen Fall kümmert sich Ellen Rausch. Sie führt lange und eingehende Gespräche mit den Angehörigen von Ursula Gersdorff. Ihre Artikel im "Eifel-Kurier" wirbeln gehörig Staub auf, denn sie tritt einigen Meinungsbildnern in dem kleinen Eifel-Ort kräftig auf die Füße. Aus eigenem Erleben kann ich anmerken, dass die Reaktionen dieser Möchtegern-Elite mehr als realistisch und authentisch dargestellt werden. Lärchtal ist überall. Oder könnte überall sein. Neben diesem Einblick in die mafiösen Netzwerke in der Provinz sind aber vor allem die Reaktionen auf das Verschwinden der vermissten Frau interessant.
Einige kalte Schauer auf dem Rücken
Wolfgang Kaes schildert eingehend das Leiden der Angehörigen, die erschreckende Gleichgültigkeit vieler Menschen, die zur Aufklärung des Falles beitragen könnten, aber auch die offensichtliche Inkompetenz der örtlichen Polizei. Bei der regt sich dann immerhin das schlechte Gewissen, als es zu Anschlägen auf Ellen Rausch kommt. Die Recherchen der versierten Journalistin machen beim Lesen zeitweise atemlos. Dabei ist weniger Action angesagt, als vielmehr das beharrliche Stochern und Bohren, das Fragen und Nachlesen. Man fragt sich ständig, was Ellen Rausch unter dem nächsten Stein finden wird, den sie umdreht. Ein mehr als lesenswertes Buch von Wolfgang Kaes, dessen realer Hintergrund so einige kalte Schauer auf dem Rücken auslöst.
Wolfgang Kaes, Rowohlt Polaris
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