Die Monogramm-Morde
- Der Hörverlag
- Erschienen: Januar 2014
- 5
- München : Der Hörverlag, 2014, Seiten: 1, Übersetzt: Wanja Mues, Bemerkung: vollständige Lesung
Poirots umständliche Wiederkehr
Im Februar des Jahres 1929 gönnt sich Meisterdetektiv Hercule Poirot eine Auszeit. Unweit seiner Wohnung in London hat er sich in eine gemütliche Pension eingemietet und lernt die Stadt quasi als Neubürger von ihm bisher unbekannten Seiten kennen - eine Erfahrung, die der stets neugierige Poirot genießt.
In seinem aktuellen Lieblings-Café fällt ihm eine junge, gehetzt wirkende Frau auf, die auf seine freundliche Nachfrage zugibt, sich verfolgt zu fühlen. Doch bevor Poirot Einzelheiten erfahren kann, flüchtet Jennie - den Namen erfährt er erst später - in die nächtliche Dunkelheit und lässt ihn zutiefst beunruhigt zurück.
Daran ändert sich wenig, als Scotland Yard sich in Gestalt eines alten Bekannten bei ihm meldet. Edward Catchpool wurde mit einem Fall betraut, der ihm großes Kopfzerbrechen bereitet, weshalb es ihm lieb wäre, würde Poirot seine berühmten "kleinen, grauen Zellen" zur Verfügung stellen: Im renommierten Bloxham Hotel wurden in unterschiedlichen Zimmern insgesamt drei Leichen entdeckt! Harriet Sippel, Richard Negus und Ida Gransbury wurden vergiftet und anschließend notdürftig aufgebahrt. In ihren Mündern findet sich jeweils ein Manschettenknopf mit dem Monogramm "PJI". An der Hotelrezeption wurde außerdem anonym diese Nachricht hinterlassen: "Mögen sie nie in Frieden ruhen. 121. 238. 317".
Was steckt hinter dieser seltsamen Tragödie, die auf den ersten Blick wie ein zelebrierter Massenselbstmord wirkt? Die Toten stammen alle aus Great Hollings, einem kleinen Ort außerhalb Londons, und Negus hatte die Zimmer reservieren lassen, wie Catchpool ermittelt. Doch was ist dann geschehen? Der unwillige Poirot soll die Polizei unterstützen. Er lässt sich nur überreden, weil er - und nur er - vermutet, dass auch die mysteriöse Jennie in den Fall verwickelt ist, dem eine nie gesühnte Tragödie aus dem Jahre 1913 voranging ...
Nicht nur Zombies kehren zurück
Alle Jahre wieder wird der Buchmarkt um diese "Sensation" bereichert: Dank enormer Überredungskünste eindringlich argumentierender Fachleute und Freunde und unter dem Blutschwur ehrfürchtigster Wahrung der originalen Qualitäten kehren dahingegangene Figuren der (Unterhaltungs-) Literatur zurück, obwohl ihre Schöpfer längst der grüne Rasen deckt!
Da selbst okkulte Rückrufversuche daran nichts ändern könnten, müssen lebende Autoren in die Bresche springen. Sie können jeweils ihr Glück nicht fassen, für diese ehrenvolle Aufgabe auserwählt worden zu sein, was sie in einer dem fertigen Werk beigefügten, außerordentlich wortreichen Danksagung bekräftigen, in der sie außerdem versprechen, sich schier in Stücke gerissen zu haben, um dem erwartungsvollen Publikum mindestens jene Zerstreuung zu liefern, die das Original so nachhaltig bieten konnte.
Die Realität sieht selbstverständlich anders aus. Namen wie Arthur Conan Doyle, Dorothy Sayers oder eben Agatha Christie stehen nicht nur für ausgezeichnete Autoren. Heute sind sie Marken mit hohem Wiedererkennungswert und deshalb ideale Kandidaten für "brandings", mit denen die alten Meister einer neuen, hoffentlich kauflustigen Generation vorgestellt und schmackhaft gemacht werden. (Mancher Autor darf gar nicht mehr sterben; so veröffentlichen Robert Ludlum oder Robert B. Parker weiterhin neue Titel, obwohl beide seit Jahren tot sind.)
Hier lockt Geld, das die Nachfahren dieser Schriftsteller gern nehmen. Dies gilt erst recht, wenn das Copyright für die Werke der (groß-) väterlichen oder mütterlichen Ahnen auszulaufen und eine angenehm sprudelnde Einnahmequelle zu versiegen droht. Wie perfekt eine solche postume Vermarktung funktionieren kann, zeigt das Beispiel Sherlock Holmes, vor dessen neuen Auftritten sich das Werk seines Schöpfers Doyle geradezu bescheiden ausnimmt.
Ein Mann mit Merkmalen
Nachdem in den letzten Jahren bereits letzte Schreibtischwinkel und Speicherecken durchforstet wurden, um bisher (und manchmal aus gutem Grund) unveröffentlichte oder "vergessene" Titel von Agatha Christie zu finden und unter großem Tamtam der Öffentlichkeit zu präsentieren, wird dieses Mal ein Neustart - neudeutsch "Relaunch" - versucht. Sicherlich haben sich hinter verschlossenen Türen Marketingstrategen ausgiebig die Köpfe darüber zerbrochen, ob man Miss Marple oder Hercule Poirot exhumieren sollte. Poirot hat dieses Rennen gemacht; über die Gründe lässt sich nur spekulieren, der Aufwand beeindruckt jedenfalls. (Einen Eindruck kann man sich davon u. a. hier machen)
Ein Motiv ist sicherlich die unauffällige aber wirkungsvolle Kunst, mit der bereits Christie Poirot von einer Romanfigur zu einer Persönlichkeit entwickelt hat. Poirot ist grundsätzlich eine Denkmaschine und ein Mann ohne männliche (oder menschliche) Eigenschaften. Christie sorgte mit Bedacht für Farbtupfer in der Biografie ihres Helden, ohne ihm jemals seine Unnahbarkeit zu nehmen. Hercule Poirot änderte sich wenig, sein Auftritt war Routine und wurde doch von den Lesern voller Freude und Ungeduld erwartet. Ein Poirot-Krimi von Agatha Christie stand für inhaltlich spannende und gut bzw. professionell geschriebene Unterhaltung.
Bereits das deutsche Cover von Die Monogramm-Morde belegt die Kultfigur: Hercule Poirot wird auf einen Hut - ein Homburg - und einen Schnurbart reduziert. Der Krimi-Freund weiß dennoch sofort, wer gemeint ist. Darüber hinaus stattete Christie ihre Figur mit charakteristischen Wesensmerkmalen aus, die ebenfalls einen gewichtigen Wiedererkennungswert aufweisen. Wer nicht Bescheid weiß, darf unbesorgt sein: Sophie Hannah kennt sie alle und vergisst keines! Der Dandy, der Feinschmecker, der Exzentriker und natürlich der absichtlich steif und betont formell sprechende, muttersprachliche Worte und Satzteile in seine Rede einflechtende Belgier, den jede/r für einen Franzosen hält und der seinen Ausländerbonus gezielt einsetzt, um seine meist englischen Klienten und Verdächtige über seinen Scharfsinn zu täuschen: Kein Zweifel, auf diesem Niveau ist Poirot wieder "da".
Der Glanz vergangener, so niemals gewesener Jahre
In ihren besten Jahren - erfreulicherweise waren es sogar Jahrzehnte - beherrschte Agatha Christie die Kunst, einen gleichermaßen komplexen wie unterhaltsamen Kriminalfall zu entwickeln. Die Handlung stand im Mittelpunkt, Abschweifungen waren möglich, wurden aber diszipliniert unter Kontrolle gehalten. Vielhundertseitige Als-ob-Krimi-Schwarten, wie sie schreibinkontinente Autor/inn/en heute so gern produzieren, wären ihr mit Sicherheit ein Gräuel gewesen.
Sophie Hannah war vom Ehrgeiz gepackt, dem Vorbild nicht nur nahezukommen, sondern womöglich eins draufzusetzen. Nostalgie hin oder her: Wir leben im 21. Jahrhundert, weshalb Retuschen nicht nur möglich, sondern vielleicht nötig sind. Gemeint ist damit keineswegs die Wiedergeburt eines gänzlich modernisierten Poirot, den die Mehrheit des anvisierten Publikums nicht kennenlernen möchte. Deshalb aalt sich Hannah geradezu im zeitgenössischen Ambiente des Jahres 1929 und sorgt für das vom Publikum geliebte "Downton-Abbey"-Feeling.
Wieder ist es primär die Form, die ihr gelingt. Die Kulissen "stimmen" und bereiten auch ausgemottet wieder Vergnügen. Komisch übertrieben agierende Einzelfiguren wie der gefühlsbetonte Hoteldirektor Lazzari setzte schon Christie gern ein, wobei das Element der herkunfts- oder standesbedingten Prägung (galanter Franzose, emotionaler Italiener, dummes Dienstmädchen) heute politisch korrekt abgemildert wird.
Roten Faden mit Fransen
Der zentrale Plot ist das große Manko dieses Romans. Was wieso im Bloxham Hotel geschah, ist einerseits simpel und andererseits so kompliziert, dass sich der Knoten im typischen großen Finale nur schürzt, weil die Verfasserin zusätzlich mit Klebstoff arbeitet. Das große Drama wäre wohl schon 1929 nicht so spektakulär, wie Hannah es uns weismachen möchte. Die anderthalb Jahrzehnte früher spielende Vorgeschichte ist konventionell, der Jennie-Subplot des nicht gar zu Guten ein wenig zu viel.
Nicht deshalb grollt man der Autorin. Als jedoch rekonstruiert wird, wie im Hotel gemordet und gestorben wurde, verliert sich Hannah in endlos anmutenden Details. Poirot redet und redet; ein aufklärendes und erlösendes Ende kommt trotzdem lange nicht in Sicht. Darüber hinaus will die irgendwann herausgerückte Auflösung nur bedingt zufriedenstellen: Viel Rauch bei wenig Feuer.
Bis dahin muss sich Poirot allzu intensiv in geheimnisvollen Andeutungen ergehen, denn ein Meisterdetektiv wie er müsste deutlich schneller erkennen, was vorgeht. Letztlich legt Hannah Die Monogramm-Morde einen Kriminalroman vor, der problemlos oder sogar besser ohne Hercule Poirot funktionieren würde. Bis die finale Auflösung droht, liest sich diese Geschichte angenehm. Von einer echten Wiederkehr Poirots sollte man jedoch nicht ausgehen.
Sophie Hannah, Der Hörverlag
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