Das Verbrechen
- Random House Audio
- Erschienen: Januar 2014
- 1
- London: Macmillan, 2013, Titel: 'The Killing II', Originalsprache
- Köln: Random House Audio, 2014, Seiten: 1, Übersetzt: Anneke Kim Sarnau, Bemerkung: ungekürzte Lesung
Die Lund hat das Zeug zur Kultfigur
Der Roman zur zweiten Staffel liegt nun endlich vor. Wie der Rezensent schon in seiner Besprechung zum ersten Teil schrieb, sind ihm die Fernsehvorlagen nicht bekannt und darüber steht ihm kein Urteil zu. Sollte die Fernsehproduktion nur einen annähernden Spannungsgehalt bieten wie die Romane, dann fragt er sich, warum die Serie am Spätabend und nicht zur Primetime gesendet wurde. Die Romane jedenfalls gehören in ihrer Komplexität, Intensität und ihrem Spannungspotenzial zum Besten, was die Kriminalliteratur gegenwärtig zu bieten hat. David Hewson beweist einmal mehr, dass er ein Meister seines Fachs ist. Auch wenn der zweite Teil im dramaturgischen Aufbau dem ersten sehr ähnlich ist – ein kleines Manko vielleicht - ist dem Autor wieder ein atmosphärisch dichter Roman gelungen mit einer Heldin, die als kultverdächtig einzustufen ist.
Die Hölle hat viele Gesichter
An einer nationalen Gedenkstätte in einem Kopenhagener Park wird der Leichnam der Rechtsanwältin und Aktivistin Anne Dragsholm gefunden, der Körper übersät von Stichwunden. "Ein klarer Fall – eine Beziehungstat" – folgert Lennart Brix, der Leiter der Mordkommision. Der Ehemann des Opfers wurde nur Stunden nach Auffinden der Leiche verstört und blutbesudelt in seinem Auto gestellt und festgenommen. Doch einige Ungereimtheiten verunsichern den erfahrenen Kriminalisten. Brix kommt nicht weiter. Fast wehmütig erinnert er sich an den Spürsinn und das Einfühlungsvermögen seiner früheren Mitstreiterin Sarah Lund. Er hätte sie gerne wieder im Team.
Sarah Lund lebt seit zwei Jahren in Gedser, einem kleinen Fährhafen an der dänischen Ostseeküste und arbeitet hier als einfache Grenzpolizistin. Nach ihrem letzten spektakulären Fall für die Kopenhagener Mordkommission hatte sie sich an diesen einsamen Ort zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken. Der letzte Fall hatte es wirklich in sich. Sarah konnte ihn zwar lösen, aber es war zu Kollateralschäden gekommen, die ihre Suspendierung vom Kriminaldienst zur Folge hatten.
Als nun die Bitte ihres früheren Chefs, bei einem komplexen Mordfall zu helfen, in Gestalt eines jungen Kollegen an sie herangetragen wird, willigt sie mit sehr gemischten Gefühlen ein.
In Kopenhagen angekommen, arbeitet sie sich in die bisherigen Ermittlungsergebnisse ein. Der Fall verkompliziert sich, als ein Bekenner-Video einer islamistischen Gruppe auftaucht. Kurz darauf geschieht ein weiterer Mord an einem Soldaten, der in Afghanistan stationiert war. Verbindungen zum ersten Opfer geben eine neue Ermittlungsrichtung vor.
Dänische Soldaten in Afghanistan
Was mag die Mehrheit des dänischen Parlaments am 11. Januar 2002 zu dem Beschluss bewogen haben, dänische Soldaten nach Afghanistan zu schicken? Auch der (Irr)glaube, die Sicherheit Dänemarks müsse/könne am Hindukusch verteidigt werden?
Im Nachhall der Anschläge vom 11. September sahen sich Ende 2001 einige Mitglieder der westlichen Wertegemeinschaft (NATO) gemüßigt, im Rahmen der Operation Enduring Freedom Truppen in gewisse Unruheherde, eben auch nach Afghanistan zu entsenden. Das "kleine" Dänemark unter der Führung des damaligen neoliberalen Ministerpräsidenten und jetzigen kriegslüsternen NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen beteiligte sich mit bis zu 700 Mann. Dieser Einsatz war in der dänischen Bevölkerung über die lange Zeit nicht unumstritten, nicht nur wegen der eigenen Verluste (43 tote Soldaten bis 2013), sondern weil viele Menschen grundsätzlich den Krieg nicht als Mittel der Konfliktbewältigung ansehen.
Das Drehbuch zu "Das Verbrechen II" hat wieder Søren Sveistrup geschrieben. Er macht die Frage: "Was macht ein Krieg aus/mit den Menschen?" zum zentralen Thema des Mehrteilers. Dabei konzentriert er sich weniger auf die direkten Konfrontationen vor Ort in Afghanistan, obwohl diese ausschlaggebend sind, sondern beschäftigt sich mit den physischen und psychischen Schäden der heimgekehrten Soldaten und wie die Kriegsveteranen von Gesellschaft und Politik aufgenommen werden. Das Schicksal der Soldaten in und nach Afghanistan sind sehr bedrückend geschildert. Den Realitätsgehalt von Sveistrups Fiktion kann man sehr gut in dem dänischen Dokumentarfilm "Armadillo" von 2010 (Camp Armadillo) nachvollziehen. Der Film hatte bei Erscheinen für Furore in Dänemark gesorgt..
Virtuoses Spiel auf drei Ebenen
Die Handlung des Romans verläuft auf drei Ebenen. Der Haupthandlungsstrang beschäftigt sich erwartungsgemäß mit den schwierigen Ermittlungen in den Mordfällen. Im Zentrum steht die Figur der Sarah Lund als Kriminalistin, aber auch als Privatperson. In Lunds Privatleben gilt es einige Altlasten abzuarbeiten und nach zwei Jahren in Abgeschiedenheit ist der erneute Umgang mit alten und neuen Kollegen auch nicht frei von Problemen.
Der zweite Strang führt in die große Politik des Landes zu einem unbequemen Minister in einem Kabinett der Macher und Mauschler. Thomas Buch ist ein politisch unerfahrenes Landei. Mit ihm als neuem Justizminister glaubt der Ministerpräsident, leichtes Spiel zu haben. Doch er irrt sich gewaltig. Buch ist ein Mann mit Gewissen und das führt zu Komplikationen.
Peter Jens Raben ist der tragische Held des dritten Handlungsstrangs. Er war als Soldat in Afghanistan und hatte einen Ausraster. Seitdem sitzt er in der geschlossenen Psychiatrie und kann sich kaum erinnern, was passiert ist. Er ist skeptisch ob dem, was er getan haben soll. Eigentlich fühlt er sich gut und das letzte Gutachten ist positiv ausgefallen. Doch irgendwer hintertreibt seine Entlassung.
Das geht unter die Haut
"Soldaten sind Mörder" - schrieb Kurt Tucholsky 1931 in einem Beitrag für "Die Weltbühne". Eine Behauptung, die einer differenzierten Analyse bedarf, vielfach diskutiert wurde, im Jahr 1990 sogar vom Bundesverfassungsgericht verhandelt wurde. Hier ist auch nicht der Ort, darüber zurichten. Aber was ist mit Soldaten, die im Einsatz unschuldige Zivilisten töten? Aus Versehen? Aus Angst? Aus Verwirrung? Mit Absicht? Antworten auf diese Fragen sucht auch der Roman. Das Schicksal der armen Schweine, die in einem Krieg kämpften, den sie nicht verstanden, geht echt unter die Haut. Den Kriegseinsatz überlebt, werden sie zu Hause Opfer einer Mordserie. Wer steckt dahinter?
In Sarah Lunds zweitem Fall gibt es viele falsche Spuren und zahlreiche Verdächtige. Der Täter scheint den Ermittlern immer ein Schritt voraus zu sein. Lund arbeitet wieder Tag und Nacht – manisch, wie wir sie kennen. Die Lösung ist überraschend für alle, für den Leser natürlich auch.
Ist die "Lund" noch Kult? Die dritte und letzte Staffel der Fernsehproduktion ist ja schon vor anderthalb Jahren gesendet worden. Wer die taffe Kommissarin vermisst, dem seien unbedingt Hewsons Romane ans Herz gelegt. Das ist "Nordic Noir" vom Feinsten, eben halt für's Kopfkino.
David Hewson, Random House Audio
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