Sterben und sterben lassen
- Haymon
- Erschienen: Januar 2014
- 1
- Innsbruck; Wien: Haymon, 2014, Seiten: 365, Originalsprache
Major Schäfer grantelt weltmeisterlich
Die Zeit in der Wiener Mordkommission ist vorbei, seit über einem Jahr ermittelt Major Schäfer als Inspektionskommandant in der oberösterreichischen Stadt Schaching. Nachdem Wolfgang Kappl bei einer gemeinsamen Jagd Günther Thurner mit einem Wildschwein verwechselt und diesen versehentlich erschießt, wird der Fall schnell als bedauerlicher Unfall zu den Akten gelegt. Zumal ein ganz anderes Ereignis den Ort in Aufruhr versetzt.
"Resozialisierungs-Bestrebung, Bevölkerungssensibilisierung, Deeskalationsstrategie. Wenn ihm niemand gegenüber saß, brachte er so einen Schwulst locker heraus, ohne in Lachen auszubrechen."
Nach 27 Jahren kehrt Frederik Bosch nach Schaching zurück, jenen Ort, wo er damals die siebenjährige Susanna Paulus ermordete. Kein Häftling saß in Österreich nach den Weltkriegen länger in Haft, was auch an Luis Stommer lag, einem einflussreichen Unternehmer, dessen Nichte Sylvia, Thurners Frau, als Landrätin politisch Karriere macht.
"Abgetrennte Gliedmaßen, verweste Leichen, tote Kinder ... was hatte er davon, sich diese Scheußlichkeiten absichtlich in Erinnerung zu rufen? Die Scheiße gehörte begraben. Und wenn sie nach oben quoll: Dann war Alkohol noch immer das beste Mittel, um sie schnellstmöglich hinunterzuspülen.
Frauen und ihr Wunsch nach Offenheit, nach Reden, Reden, Reden. Sollten sie. Untereinander. Es ging doch nicht um Vertrauen, emotionale Intelligenz oder sonst einen der Begriffe, mit denen die entsprechenden Magazine mehr heiße Luft bliesen als die Trockenhauben, neben denen sie lagen."
Außer kleineren Delikten ereignet sich nicht viel in Schaching und so wird Schäfer hellhörig als es zarte Andeutungen gibt, wonach Bosch womöglich gar nicht der Kindermörder war. Während es in der Bevölkerung rumort, recherchiert Schäfer auf eigene Faust in dem fast dreißig Jahre alten Fall. Nicht nur dort stößt er auf Ungereimtheiten, denn als sich plötzlich Wolfgang Kappl das Leben nimmt, kommen Schäfer immer mehr Zweifel, dass die offensichtlichen Gegebenheiten tatsächlich der Wahrheit entsprechen...
Major Schäfer ist schon jetzt eine Kultfigur.
Der aktuelle Roman "Sterben und sterben lassen" wird von seinem Protagonisten getragen, der einmal mehr an sich selbst zu verzweifeln droht. Sozialen Kontakten gegenüber kritisch und bei sich anbahnenden privaten Kontakten gänzlich überfordert, entwickelt der Major dennoch einen untrügerischen Instinkt für kleinere und größere Verbrechen. Gerade der Umgang mit Tätern und Verdächtigen liegt ihm in Fleisch und Blut und so ist seine Bilanz enorm erfolgreich, wenngleich er aufgrund allerlei Probleme nun nicht mehr in Wien ermitteln darf, sondern in der Provinz angekommen ist.
"Sie waren vorher in Wien, bei der Mordkommission. So eine Art..."
"Wäre mir recht, wenn Sie jetzt nicht Columbo oder Monk oder etwas in der Richtung sagen."
So ersetzen neue Kolleginnen und Kollegen seinen bisherigen Mitarbeiter Chefinspektor Bergmann, der aufgrund einer denkwürdigen Abwesenheit Schäfers in einem früheren Roman auch selber schon mal die Ermittlungen durchführte. Wie Schäfer einmal mehr mit Gott und der Welt unzufrieden ist und herumgrantelt ist beachtlich, sein Alkohol- und Drogenkonsum hingegen höchst bedenklich.
"Therapie statt Strafe war eben immer noch kein sehr populäres Konzept. Und wenn man einer ausgeweideten Frauenleiche in natura begegnete, musste man schon sehr professionell, abstraktionsfähig , abgebrüht, erleuchtet, was auch immer sein, um dem Verantwortlichen nicht das ganze Magazin der Dienstwaffe in den Kopf schießen zu wollen – davon, ihn verstehen oder gar ihm helfen zu wollen, ganz zu schweigen."
Der Plot selbst ist interessant, wenngleich einem grundsätzlich bekannten Muster folgend, nämlich der Frage "Was geschah vor X Jahren?" Kritisch anmerken könnte man, dass der damalige Fall anscheinend sauber bearbeitet wurde und nach einem Geständnis des Hauptverdächtigen eigentlich kein Grund mehr vorliegt, warum man an der Schuld des Frederik Bosch zweifeln sollte. Aber Schäfer hat halt so ein Gespür ... und verschafft uns so einen weiteren Fall, der ebenso lustig wie spannend ist, ohne dabei den Anspruch zu erheben, politisch korrekt sein zu wollen.
Großes Krimikino aus Österreich!
Georg Haderer, Haymon
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