Die Zucht
- Wunderlich
- Erschienen: Januar 2015
- 6
- Reinbek bei Hamburg: Wunderlich, 2015, Seiten: 512, Originalsprache
Das tödliche Lächeln der Samojeden
Das Grenzgebiet zu Tschechien in Deutschlands Osten ist dünn besiedelt, in vielen Ortschaften harren nur noch die wenigen verbliebenen Alten aus. Landwirtschaftliche Nutzung findet nur auf verstreut liegenden Anwesen statt. In dieser Gegend müssen Kommissar Henry Conroy und seine neue Kollegin Manuela Sperling in einem Fall von Kindesentführung ermitteln. Der sechsjährige Oleg spielte in der Sandkiste, während seine Mutter die Wäsche zum Trocknen aufhängte. Nachdem sie kurz im Haus war, ist der Junge bei ihrer Rückkehr in den Garten verschwunden. Die Polizei hat nur wenige Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen – zudem brauchen Conroy und Sperling einige Zeit, um zu einer kollegialen Kooperation zu finden. Irgendwann verknüpft die junge Kommissarin einige Tatsachen, und so kommen ein paar ungeklärte Fälle wieder auf den Tisch, die zunächst übersehene Verbindungen zur aktuellen Entführung aufweisen. Oleg taucht wieder auf, aber mittlerweile hat es auch einen Mord gegeben. Sperling und Conroy spüren schließlich den Hunden hinterher, die immer wieder ein Thema sind – bis zum spektakulären Finale, in dem allerdings noch Fragen offen bleiben.
Es geht mal wieder heftig zur Sache
Andreas Winkelmann hat in seinen Romanen bereits mehrfach gezeigt, dass er Themen auch spektakulär aufgreifen kann. Deathbook war schon nichts für schwache Nerven, und im neuen Roman geht es ebenso heftig zur Sache. Die Zucht ist auf jeden Fall nicht Frühstückskompatibel, sondern sollte bei hellem Licht gelesen werden. Ich will damit sagen, dass der Autor seine Leser hier nicht schont, allerdings ohne es - in meinen Augen – mit der Brutalität zu übertreiben. Einige Szenen sind schon schockierend, aber dem Thema insgesamt dann doch angemessen. Es geht in diesem Roman vor allem um das Verschwinden von Personen – und die unterschiedlichen Schicksale dieser Entführten. Kleine Jungen, eine Tierschützerin, junge Prostituierte von jenseits der tschechischen Grenze – die Zusammenhänge bleiben den Ermittlern und damit auch dem Leser lange Zeit unklar. Auch die "Von früher" überschriebenen Rückblicke in die Vergangenheit erhellen die Hintergründe zunächst eher wenig.
Dispute als ausgefeiltes Unterhaltungselement
Die Ermittlungsarbeit von Conroy und Sperling wirkt zunächst recht chaotisch – aber das ist wohl vor allem der Dramaturgie dieses Romans geschuldet. Andreas Winkelmann scheucht seine Ermittler ordentlich durch die Gegend – und der faszinierte Leser hechelt hinterher. Gefallen hat mir, dass Andreas Winkelmann in seinem neuen Roman die junge Kommissarin Manuela Sperling wieder in den Einsatz schickt. Sie hat sich aus Norddeutschland in den Süden versetzen lassen – und kommt bei Henry Conroy vom Regen in die Traufe. Die kollegialen Dispute zwischen den beiden Ermittlern sind ein ausgefeiltes Unterhaltungselement, mit pfiffigen Dialogen, die auch die Handlung immer wieder dynamisch vorantreiben.
Grenzbereich zwischen Kriminal- und Horrorroman
Andreas Winkelmann nutzt das zunächst scheinbar ruhige Fahrwasser des Kriminalfalls, um die beiden Ermittler einander näher zu bringen. Sperling ringt lange um den Respekt ihres Kollegen, der sie jedoch irgendwann als vollwertiges Team-Mitglied akzeptiert. Der Autor baut aber auch da schon einen ordentlichen Spannungsbogen auf, denn die falschen Schlüsse und irrigen Ermittlungsansätze machen den Leser neugierig, wann es denn endlich spürbar weitergeht. Wie Sperling und Conroy schließlich durch die Hunde zu teilweisen Lösungen kommen, werde ich hier nicht verraten. Der Autor hat da einen Plot entworfen, der es wirklich in sich hat. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Aspekten, die in dem Roman abgehandelt werden, es geht um Erziehung und Macht in der Familie, um tiefe Gefühle, psychopathische Züge bei einigen Protagonisten, um Geheimnisse aus der Vergangenheit. Mit den Vorgängen auf dem Hof der Hundezüchter ist Andreas Winkelmann im Grenzbereich zwischen Kriminal- und Horrorroman unterwegs – und das macht der Autor in meinen Augen ganz bewusst. Spannungsliteratur vom Feinsten, die man in Ruhe genießen sollte.
Andreas Winkelmann, Wunderlich
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