Das Vergessen
- Heyne
- Erschienen: Januar 2014
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- London: Orion Books, 2013, Titel: 'The Red Road', Originalsprache
- München: Heyne, 2014, Seiten: 352, Übersetzt: Heike Schlatterer
Glasgow in Dunkelgrau
In der Nacht zum 31. August 1997 stirbt nicht nur Prinzessin Diana, das Datum ist auch für die Beteiligten in Denise Minas Das Vergessen schicksalhaft. Die 14-jährige Rose ersticht in dieser Nacht zwei Männer und kommt dank des korrupten Anwalts Julius McMillan und manipulierter Beweise mit zehn Jahren Haft für nur einen Mord davon. Ein anderer Junge, Michael Brown, wird für einen Mord verurteilt, den er nicht begangen hat und beginnt damit seine lange kriminelle Karriere. 15 Jahre später gibt es einen Mord, bei dem die Fingerabdrücke von Michael Brown gefunden werden, obwohl der nachweislich im Knast sitzt. Detective Alex Morrow macht sich daran, das Rätsel zu lösen und rollt den Fall von 1997 noch einmal auf, was allen damals Beteiligten überhaupt nicht gefällt.
Denise Mina hat einen interessanten Plot entwickelt, den sie leider durch die Ausführung selbst sabotiert. Die ständigen Rückblenden in die Handlung von 1997 lassen keinen Spannungsbogen entstehen und fragmentieren die Handlung. Die vielen Personen und ihre Verflechtungen untereinander machen es dem Leser schwer, den Überblick zu behalten.
Ebenso ausufernd sind die Themen, die sie anschneidet: Kindesmissbrauch, Zuhälterei, Korruption, Waffenhandel, Geldwäsche. "Das Vergessen" bietet weder den Themen noch den Charakteren den Raum, in die Tiefe zu gehen. Selbst die Ermittlerin bleibt in ihrem vierten Fall nur eine Randfigur, erst am Ende des Buches rückt sie in den Vordergrund. Bis dahin ist sie damit beschäftigt, in mühseliger Polizeiarbeit Fakten zu sammeln und zusammenzusetzen. Wer die vorherigen Fälle von Detective Morrow nicht gelesen hat, lernt sie in diesem Fall kaum kennen und lieben. Auch die anderen Charaktere bieten kein Identifikationspotential. Zwar werden ihre Beweggründe glaubhaft geschildert, aber alle Protagonisten sind mehr oder weniger unsympathisch. Schwarz-Weiss-Malerei kann man der Autorin wirklich nicht vorwerfen: alle haben Dreck am Stecken.
Das Bild, das Denise Mina von Glasgow, dem Schauplatz ihrer Krimis, entwickelt, ist durch und durch deprimierend: Korruption und Unmoral zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten, Gerechtigkeit ist nur ein leeres Wort. Verstärkt wird die deprimierende Atmosphäre durch Mina detaillierte Milieuschilderungen. Die Trostlosigkeit der Arbeiterviertel und seiner Bewohner sieht man ebenso plastisch vor sich wie den ausgestellten Reichtum der Oberschicht. Minas genauer Blick seziert gnadenlos die äußere Erscheinung der Figuren als Fassade, hinter der Verzweiflung, Angst und Egoismus stecken. Zurück bleibt ein düsterer Blick auf die Welt, der durch den fehlenden Humor noch verstärkt wird.
Realismus ist die Stärke der Autorin, aber ihre nüchterne Schilderung der Ermittlungsarbeit ist eben auch unglamourös. Die Kapitel, in denen Spannung aufkommt, werden abrupt abgebrochen durch den Wechsel der Erzählperspektive. Im Finale gerät Detective Morrow in einen moralischen Gewissenskonflikt – eigentlich ein hochemotionaler Moment, in dem man sich mit ihrer Figur identifizieren könnte. Aufgrund der nüchternen Prosa der Autorin schaut der Leser ihrem Dilemma aber mit emotionaler Distanz zu.
Denise Mina hat in einem Interview zu ihrer Schreibweise erklärt, dass es ihr in ihren Büchern weniger um einen Protagonisten geht – Detective Morrow war ursprünglich von ihr nicht als Reihe angelegt. Vielmehr interessiert es sie, ein Verbrechen und seine Auswirkungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu schildern. Vielleicht wäre ein Sozialdrama das bessere Genre für den Stoff und Minas Stil gewesen, als Krimi begeistert Das Vergessen nur mäßig.
Denise Mina, Heyne
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