Regengötter
- Heyne
- Erschienen: Januar 2014
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- New York: Simon & Schuster, 2009, Titel: 'Rain Gods', Originalsprache
- München: Heyne, 2014, Seiten: 672, Übersetzt: Daniel Müller
Don't shoot the Sheriff
Lange, lange haben wir gewartet und gehofft. Gut zwölf Jahre waren seit der letzten Übersetzung eines James-Lee-Burke-Romans vergangen. Zwischenzeitliche Anfragen beim Autor wurden nur vage beantwortet. Dann, im vergangenen Sommer wurde bekannt und bestätigt, dass Ende Oktober ein neuer (älterer) James Lee Burke in deutscher Übersetzung erscheinen wird. Regengötter, das Burke 2008 (Rain Gods, 2009) schrieb, ist die Wiederbelebung seiner ersten Serienfigur Hackberry Holland (Lay down my sword and shield, 1971). Regengötter erscheint in der Hardcore-Reihe des Heyne-Verlags. An dieser Stelle sei ein großes Dankeschön gerichtet an den ehemaligen Krimi-Couch-Rezensenten Stefan Heidsiek, dessen unermüdliches Engagement maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Burkes Romane wieder übersetzt werden.
Dave Robicheaux und Co.
James Lee Burke, 1936 in Houston, Texas geboren, zählt seit Jahrzehnten zu den besten Krimi-Autoren Amerikas. Am erfolgreichsten in den USA (1987- heute) und am bekanntesten bei uns in Deutschland dürfte seine Dave-Robicheaux-Reihe sein. Leider endete die Übertragung dieser Romane ins Deutsche, kurz bevor in Mitteleuropa der große Krimi-Boom begann. So sind Burkes Name und sein Werk nur wenigen bekannt, zumal die deutschen Ausgaben größtenteils vergriffen und nur schwer (teuer) aufzutreiben sind. Es wundert also nicht, dass sich im Vorspann des Leseexemplars von Regengötter die Creme der deutschen (und internationalen) Krimi-Szene ein Stelldichein gibt, um dem Meister gebührend zu huldigen. Den durchweg lobenden Statements ist nichts hinzuzufügen. Zu bemerken wäre, dass sich dieses Meinungsbild auf Burkes Schaffen allgemein und nicht speziell auf den vorliegenden Roman bezieht.
Wie zu erwarten war, schaffte Regengötter gleich den Einstieg auf Platz 3 der KrimiZeit-Bestenliste im November. Rezensionen von Stefan Heidsiek und Thomas Wörtche sind des Lobes voll. Ohne Frage ist Regengötter ein großer Roman über die amerikanische Gegenwart abseits der Metropolen mit pittoresken Landschaften und skurrilen Charakteren. Dem reinen Krimileser wird es ein bisschen an Spannung mangeln.
Wenn man wie der Rezensent in den 1960/70er Jahren aufgewachsen ist, konnte man durch die unzähligen Western und Western-Serien, die im Kino und Fernsehen liefen, den Eindruck bekommen, dass das Amt eines Sheriffs eine ureigene amerikanische Erfindung sei. Doch die ersten Sheriffs gab es in England im 17. Jahrhundert, wo auch der Name (Mittelenglisch: shire-reeve) gebildet wurde. Sheriffs waren damals nicht nur Gesetzeshüter, sondern auch Verwaltungsbeamte und Steuereintreiber. In den USA der Gegenwart ist der Sheriff der Leiter der Polizeidienststelle eines der über 3000 Countys. Er wird turnusgemäß von der Bevölkerung gewählt, es gibt kein Pensionsalter.
Ein 70-jähriger Sheriff
So gesehen verwundert es nicht weiter, dass der Held des Romans Sheriff Hackberry Holland etwa Mitte/Ende Siebzig ist, aber wacker seinen Mann steht. Er blickt auf ein bewegtes Leben mit vielen Höhen und Tiefen zurück. Schon mit Anfang Zwanzig gerät er im Koreakrieg in Gefangenschaft und wird nachhaltig traumatisiert. Eine Flucht in Alkohol und Sex bringt kein Vergessen. Er wird Rechtsanwalt, versucht sich als Politiker und zu guter Letzt hofft er, als Sheriff im südwestlichen Texas eine ruhige Kugel schieben zu können. Das texanische Grenzgebiet zu Mexiko ist zwar nur dünn besiedelt, aber alles andere als eine friedliche Gegend. Drogenhandel und illegale Grenzübertritte gehören hier zum Tagesgeschäft. Doch diese Delikte fallen meist nicht in die Zuständigkeit eines Sheriffs. Darum kümmern sich die Agenten von DEA, ICE oder FBI. So auch, als hinter der Kirche eines öden Kaffs nahe der Grenze neun Leichen gefunden werden.
"Am Ende eines brennend heißen Julitages" betritt ein junger Mann, offensichtlich alkoholisiert, eine Telefonzelle in Chapala Crossing und meldet der Notrufzentrale, er habe Schüsse an der alten Kirche gehört. Auf nähere Angaben lässt der Mann sich nicht ein. Vierundzwanzig Stunden später, kurz nach Einsetzen der Dämmerung, untersucht Sheriff Hackberry Holland das Gelände. Er stößt auf ein Massengrab, notdürftig mit einer Planierraupe zugeschüttet. Die Leiber der neun blutjungen Thailänderinnen, illegal eingewandert, wie man später herausfindet, sind durch Garben einer Schnellfeuerwaffe völlig zerfetzt. In ihren Gedärmen findet man eine beachtliche Anzahl von Plastiksäckchen, mit Heroin befüllt. Das Massengrab berührt den alten Haudegen zutiefst, erinnert es ihn doch an Kriegszeiten. Er macht den Fall zu seiner persönlichen Angelegenheit, zumal der junge Anrufer, dessen Identität schnell aufgedeckt wird, ein psychisch und physisch gezeichneter Exsoldat des letzten Irak-Krieges ist – ein Leidensgenosse, vermutet Hack.
Jeder gegen jeden
Pete Flores, so heißt der Mann, ist mit seiner Freundin auf der Flucht, nicht nur vor den Ermittlern, sondern auch vor den Hintermännern des Massakers, die ihn als Mitwisser beseitigen wollen. Hinter den Kulissen hat ein Hauen und Stechen begonnen. Da kämpft offenbar jeder gegen jeden. Mitten unter ihnen, quasi als Schlüsselfigur, befindet sich der Auftragskiller Jack Collins, auch "Preacher" genannt, weil er immer einen Bibelspruch auf den Lippen hat. "Ein religiöser Spinner", sagen die einen, "eine gnadenlose Mordmaschine" die anderen, doch dieser Mann zeigt noch weitere Facetten. Auf jeden Fall ist er dem wackeren Sheriff ein gefährlicher Gegenspieler.
Jack Collins, der Preacher – unberechenbar, labil, gestört, tödlich. Ist er das personifizierte Böse, dem Hackberry Holland schon in Korea ins Auge schaute, oder ist er das Produkt seiner Lebensumstände?
"Er stand für Zerstörung und Tod durch irrationale Kräfte, für Hass und Leiden,
die ohne Grund, Motivation oder Sinn auf hilflose Menschen niedergingen.
Die Täter waren immer dieselben: Menschen, die von Geburt an das Zeichen
des Bösen trugen und die Welt mit ihrem Selbsthass überziehen wollten."
Dieses Zitat bezieht sich zwar auf ein anderes Ereignis in der Geschichte, passt aber gut zu den Geschehnissen um Jack Collins. Wenn man die Welt betrachtet mit all ihren Konflikten und Kriegen, möchte man dem zustimmen und an das Ur-Böse glauben. Es kostet Zeit, zu durchschauen, dass der Wahnsinn dieser Welt Methode hat, dass eine Strategie dahinter steckt. Es ist nicht Hass oder Selbsthass, sondern Hybris, die die Welt an den Abgrund drängt. Also vielleicht doch das Böse?
Landschaftsmaler, Dramaturg und Menschenkenner
Wer James Lee Burke noch nicht kennt, dem kann Regengötter als guter Einstieg in sein Werk dienen. Es ist ein in sich abgeschlossener Roman, der alles präsentiert, was den Autor auszeichnet - den grandiosen Landschaftsmaler, den versierten Dramaturgen, den erfahrenen Menschenkenner, den unbequemen Kritiker. Regengötter richtet sich in erster Linie an ein amerikanisches Publikum. Burke hält seinen Landsleuten den Spiegel vor, zeigt, wie sehr der "American Way of Life" das Land menschlich ins Negative verkehrte seit der Zeit, als die Bevölkerung noch an Regengötter glaubte.
Dem Rezensenten hat es ein wenig an Spannung gefehlt. Burke begeht einige "taktische Fouls", wie man im Sport sagen würde, die den Konfrontationen die Schärfe nehmen und zu überraschenden Wendungen führen, aber gleichzeitig schleicht sich dadurch ein parodistischer Unterton ein, der nicht jedermanns Sache sein dürfte. Aber das sind nur Marginalien, die den überragenden Gesamteindruck kaum schmälern.
James Lee Burke, Heyne
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