Unschuldslamm

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2014
  • 4
  • Berlin: Ullstein, 2014, Seiten: 320, Originalsprache
Wertung wird geladen
Andreas Kurth
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2014

Grausamer Tod am Teufelsfenn

Ruth Holländer hat ihr Leben mittlerweile wieder gut im Griff. Die Trennung von ihrem Ex-Mann hat sie überwunden, ihr Sohn wohnt in einer Studentenbude, und mit ihrer Tochter lebt sie ganz gut zusammen. In ihrem französischen Bistro läuft alles gut – und plötzlich bekommt sie einen Brief vom Landgericht Moabit. Zunächst weißt sie den Gedanken, als Schöffin zu agieren, weit von sich. Aber ihr Umfeld redet ihr gut zu, und so gerät sie in einen Ehrenmord-Prozeß, der es wirklich in sich hat. Unvorbereitet geht sie zum ersten Verhandlungstag, wo es um den Mord an einer jungen Berliner Kurdin geht. Ruth Holländer ist danach völlig niedergeschlagen, denn sie kann sich nicht vorstellen, dass der Bruder des Mädchens ihr 23 Messerstiche zugefügt und ihr anschließend die Kehle durchgeschnitten hat. Gegen alle Regeln beginnt sie, Augen und Ohren in der Sache offen zu halten, und stellt schließlich sogar eigene Nachforschungen in der Sache an.

Schöffin leidet mit den Eltern der Ermordeten

Judith Arendt hat für ihren Roman Unschuldslamm eine Schöffin zur Ermittlerin auserkoren. Wobei der Begriff Ermittlerin hier ein wenig zu hoch gegriffen ist, denn Ruht Holländer zieht zwar Erkundigungen ein, und nutzt die Recherchekapazitäten ihres Ex-Mannes, aber als Ermittlungen im üblichen Sinne würde ich diese Nachforschungen nicht bezeichnen. Das macht aber nichts, denn die Art und Weise, wie sich die Protagonistin als völlig neue Schöffin auf ihre weiteren Prozeßtage vorbereitet, fesselt den Leser ungemein. In der Umgangssprache würde man wohl sagen, sie geht mit dem viel zitierten "gesunden Menschenverstand" an den Fall heran. Denn die Schlussfolgerungen der Staatsanwaltschaft, die von reinen Indizien ausgeht  und den Bruder der Toten für den Mörder hält, erscheinen ihr viel zu glatt, zu einfach. Sie will sich lieber auf ihre ausgeprägte Menschenkenntnis verlassen – und das macht sie als Protagonistin eines Kriminalromans in meinen Augen wirklich sympathisch und vor allem auch authentisch. Die Schöffin befasst sich eingehend mit dem Fall und den beteiligten Personen, obwohl ihr die ganze Angelegenheit wirklich zu Herzen geht. Zu brutal war der Mord ausgeführt, als dass sie ihn dem Bruder zutrauen würde. Und dabei leidet Ruth Holländer mit den Eltern des toten Mädchens, denn die junge Kurdin ging auf das gleiche Gymnasium wie ihre eigenen Kinder.

Eine sehr sympathische Figur

Holländer ist eine selbstbewusste Frau im besten Alter, dabei durchaus ehrgeizig und mitten im Leben stehend. Mittelpunkt ihrer täglichen Abläufe ist das kleine französische Bistro, aber auch ihre Kinder spielen noch immer eine wichtige Rolle. Judith Arendt schildert anschaulich, wie die Berufung zur Schöffin am Landgericht das Leben ihrer Protagonistin komplett umkrempelt. Die Vorsitzende Richterin kündigt ihr gleich zu Beginn an, dass die Tätigkeit als Schöffin Holländer verändern wird – und nach dem ersten Prozeßtag weiß sie auch, dass die Richterin mit dieser Aussage Recht hatte. Der Fall und die privaten Kämpfe, die nun doch wieder mit ihrem Ex-Mann ausgefochten werden müssen, aber auch eine gesundheitliche Krise ihres Vaters, führen bei Holländer zu emotionalen Zusammenbrüchen – die sie letztlich aber souverän meistert. Insgesamt hat die Autorin hier eine sehr sympathische Figur kreiert, die das Potenzial für weitere Romane hat. Wie üblich am Start einer Reihe müssen das Personal-Tableau  und das Umfeld der Haupt-Protagonistin zunächst ausführlich vorgestellt werden, aber das gelingt der Autorin, ohne zu langatmig zu werden.

Plot und Protagonistin sind gelungen

Das Buch ist in einem angenehmen, flüssigen Stil geschrieben. Orts- und Zeitangaben an den Anfängen der einzelnen Abschnitte erleichtern dem Leser die Orientierung, und die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen erzählt wird, sorgen doch für ausreichende Dynamik in der Geschichte. Unschuldslamm ist kein typischer Gerichtsthriller, weil sich die Handlung nur zum Teil im Gerichtssaal abspielt. Dennoch geht es hier auch um die verschlungenen Pfade der Rechtsprechung, die allerdings nicht wirklich im Vordergrund stehen. Plot und Protagonistin finde ich gleichermaßen gelungen, und freue mich auf jeden Fall auf eine Fortsetzung mit dieser engagierten und cleveren Schöffin.

Unschuldslamm

Judith Arendt, Ullstein

Unschuldslamm

Weitere Bücher der Serie:

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Unschuldslamm«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren