Sergeant Beef und der Giftmischer
- Heyne
- Erschienen: Januar 1989
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- München: Heyne, 1989, Seiten: 252, Übersetzt: Helmut Anders
- London: Victor Gollancz, 1951, Titel: 'Neck and Neck', Seiten: 224, Originalsprache
»Zwei Mörder, ein Gedanke = viel Verwirrung«
Drei Neffen hat Aurora Fielding, die alleinstehend in ihrem schönen Haus in der Küstenstadt Hastings lebt. Da sie nett ist sowie viel zu vererben hat, besuchen diese sie regelmäßig. Aurora erfreut sich einer robusten Gesundheit; erst eine Überdosis Morphium, das jemand in ihren Sherry gemischt hat, bringt ihr den Tod, die Eröffnung des Testaments und das Erscheinen der Polizei.
Kriminalschriftsteller Lionel Townsend, sein Bruder, der Schulmeister Vincent Townsend, und beider Cousin Hilton Gupp stehen für Inspektor Arnold ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Allerdings waren zum Zeitpunkt des Mordes auch mehrere Freunde des Hauses - darunter der Pfarrer - im Haus, und Gupp kann auf ein felsenfestes Alibi pochen. Dennoch geht Lionel auf Nummer Sicher und bittet seinen Freund, den Privatdetektiv William Beef, um Hilfe. Dieser war früher Polizei-Sergeant und ist charakterlich von eher grober Strickart. Seine kriminalistischen Fähigkeiten sind freilich stark ausgeprägt, was sein Auftreten ausgleichen kann.
Allerdings widmet sich Beef dem Mord an Tante Aurora offenbar nur widerwillig. In der Grafschaft Glouchestershire wurde in seinem Haus nahe dem Dorf Cold Slaughter der allseits verhasste Verleger Edwin Ridley erdrosselt aufgefunden. Da auch hier das Erbgeld erst fließt, wenn der Mord geklärt ist, hat Edwins Bruder Alfred Beef engagiert. Da Lionel Townsend Beefs inoffizieller Chronist ist, begleitet er diesen, während Inspektor Arnold weiter in Hastings ermittelt.
Beefs scheinbare Gleichgültigkeit erweist sich als vorgetäuscht: In Edwins Bibliothek fand er ein Päckchen, das eindeutig in Hastings aufgegeben wurde! Zwischen Auroras und Edwins Ende sieht Beef einen Zusammenhang, und den wird er finden, zumal sich ein weiterer Mord anzukündigen scheint ...
Immer Ärger mit anspruchsvollen Erblassern!
Der reiche aber anspruchsvolle Erbonkel bzw. die gleichermaßen schwierige Erbtante, die gegen Alter und Krankheit immun zu sein scheinen, während die Erben ihn oder sie umschmeicheln, seine oder ihre Launen und die daraus resultierende Enterbung fürchten und beide - wenn unter sich - zum Teufel wünschen, gehört zum festen Inventar des Kriminalromans. Beim Geld endet nicht nur alle Freundschaft. Gerade in der Familie bricht sich zusätzlich uralter aber sorgfältig gehegter Groll gern mörderisch Bahn, wenn sich nach Jahren des Krümmens und Schleimens herausstellt, dass man aus dem Testament gestrichen wurde.
Das war und ist ärgerlich, wird aber fatal, wenn man das erwartete Geld schon vorher ausgegeben hat. Seit jeher gibt es Geschäftsleute, die auf ein zukünftiges Erbe hin großzügig Kredite gewähren. Stellt sich der Erblasser plötzlich quer, entstehen ein Problem und eine Gefahrensituation, die den Mord am reichen Onkel/an der reichen Tante heraufbeschwören kann.
Natürlich ist der Erbe der Hauptverdächtige. Deshalb gilt es, solche Bluttaten möglichst perfekt einzufädeln und durchzuführen. Dem jeweils an den Tatort gerufenen Polizisten oder Detektiv obliegt es anschließend, das fein gesponnene Mordgespinst zu zerreißen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Erben meist im Rudel auftreten und sich auch unschuldig generell verdächtig verhalten. Alternativ (aber selten) kommt es vor, dass der Erbe unschuldig ist und der Mörder ihn als Sündenbock (oder sie als Sündengeiß) missbrauchen will.
Die Lösung liegt eigentlich nahe
Wieso nicht die Möglichkeiten 1 und 2 zu einem dritten, raffinierten Mordplan verschmelzen? Auf diese Idee kam nicht erst 1951 der Schriftsteller Leo Bruce. Der "Mord über Kreuz", bei dem zwei Mörder sich gegenseitig durch Alibis decken, ist weder ein moderner noch ein genialer Einfall, da sich die mit einem Kapitalverbrechen verbundenen Schwierigkeiten quasi verdoppeln.
Deutlich eleganter als Leo Bruce hatte dies 1950 Patricia Highsmith (1921-1995) unter Beweis gestellt. "Strangers on a Train" (dt. Zwei Fremde im Zug) kann - zumal bereits 1951 kongenial von Alfred Hitchcock verfilmt - einen Klassikerstatus beanspruchen, nach dem sich Bruce weder strecken kann noch will. Sergeant Beef und der Giftmischer bietet handwerklich saubere Routine und ist kein Psychothriller, sondern ein klassischer Rätselkrimi.
Dieses Genre hatte 1951 seinen Höhepunkt zwar überschritten aber ein treues und kopfstarkes Publikum behalten, das weiterhin nach dem begehrten Lesestoff gierte. Bruce lieferte regelmäßig und rasch, denn weil er nicht zu den Bestseller-Autoren gehörte, hielten sich seine Verkaufszahlen in Grenzen. Deshalb musste er für Nachschub sorgen und hatte kein Problem damit, sich zeitsparend ´inspirieren' zu lassen. Da Bruce als Autor ein Vollprofi war, ist Sergeant Beef und der Giftmischer alles andere als ein Plagiat. Selbst wegen seines ´kopierten' Plots muss sich dieses Buch nicht abqualifizieren lassen. Bruce griff eine Idee auf und schuf daraus ein eigenständiges Werk.
Humor kann auch bei Mord nie schaden
Es beginnt positiv damit, dass der Tonfall niemals ernsthaft ist. Stets schwingt jene bekannte Leichtigkeit mit, die den britischen "Whodunit" so angenehm prägt: Auch Mord ist kein Grund, gute Manieren (oder Manierismen) außer Acht zu lassen! Schon der Originaltitel klingt viel eleganter als das schwerfällige "Sergeant Beef und der Giftmischer": "Neck and Neck" bedeutet soviel wie "Kopf an Kopf". Das beschreibt sehr schön die aufregende Finaljagd auf den Mörder, der dem bisher so findigen Sergeant Beef noch in letzter Sekunde durch die Lappen zu gehen droht. Ebenfalls klingt schwarzhumorig das fatale Ende durch: 1951 gilt in England noch die Todesstrafe. Der Henkersstrick wird dem Täter das Genick - "neck" - brechen.
Davon ist in unserer Geschichte natürlich keine Rede. Der Täter wird gefasst und verschwindet im Gefängnis. In einer abschließenden Runde versammelt Beef sämtliche Männer und Frauen, die entweder verdächtig waren oder in den beiden Fällen ermittelten. Der andächtig lauschenden Gruppe und gleichzeitig uns, den Lesern, eröffnet Beef nun ausführlich, was er zuvor sorgfältig verschwiegen hatte. Auf diese Weise beweist Autor Bruce außerdem, dass er seinen Plot-Knoten sorgfältig geschürzt hat: Es bleiben nach der Auflösung keine losen Fäden zurück.
Bis es soweit ist, muss vor allem Chronist Lionel Townsend viel Langmut an den Tag legen. Er ist Beefs Watson und verdient gut damit, dessen Fälle in Kriminalromane zu verwandeln. Anders als der "echte" Watson fühlt sich Townsend allerdings sträflich unterbewertet. Nicht einmal Beef nimmt ihn als Kriminalisten ernst. Die übliche Reaktion auf ihn als Begleiter und Beobachter hält Bruce so fest:
"Sie sind also sein Dr. Watson - oder sein Captain Hastings? Ich wollte schon immer einen dieser getreuen Chronisten kennenlernen. Einen dieser netten, zuverlässigen Männer, die so treu und nicht allzu schlau sind." (S. 103; wobei "Captain Hastings" übrigens der Chronist von Agatha Christies Hercule Poirot ist)
Spott oder Zwischenton?
Townsend hat in dieser Hinsicht längst resigniert:
"Ich konnte mich nicht länger der Tatsache verschließen, dass Beef ein Genie war. Als ich ihn kennenlernte, hatte ich ihn für einen tölpelhaften Landpolizisten gehalten, dessen rotbrauner Schnurbart sein kräftiges Wachstum dem Bier verdankte, in das er so oft getunkt wurde." (S. 15)
Angesichts der Tatsache, dass Leo Bruce als unfreiwillig "geouteter" und vor Gericht gezerrter Homosexueller gesellschaftlich eine Randposition einnahm (oder einnehmen musste), stellt sich die Frage, ob der leichte Spott, mit dem der Autor den sehr auf seinen Status und seine Würde bedachten Townsend ständig aus dem Gleichgewicht bringt, Bruce als Ventil diente, mit dem er seinem gerade Anfang der 1950er Jahre nachweislich ausgeprägten sowie begründeten Zorn auf das englische Establishment trügerisch sanft Ausdruck verlieh.
Jedenfalls fällt auf, mit welchem Behagen Bruce seinen Beef Autoritäten in Frage stellen und Gesellschaftsklassen ignorieren lässt. Selbst Scotland Yard, jene im britischen Krimi sonst mit Ehrfurcht behandelte Einrichtung, wird nicht verschont. Anders als Sherlock Holmes ist Beef kein Chamäleon, das sich der Umgebung anpasst. Beef stößt gern und vorsätzlich vor sture Köpfe. Die dabei entstehenden Zwischentöne adeln diesen Roman nicht zum Meisterwerk, aber sie machen deutlich, dass Sergeant Beef und der Giftmischer kein mechanisch abgespulter Routine-Krimi ist, sondern weiterhin vergnüglichen Lektürestoff darstellt. Der moderne Leser gewinnt darüber hinaus die Erkenntnis, dass die Zeiten sich zynisch gewandelt haben: Heute kündigt sich die Auflösung sehr viel früher und deutlicher an als 1951.
Leo Bruce, Heyne
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