Alte Feinde

  • Pendragon
  • Erschienen: Januar 2014
  • 2
  • Bielefeld: Pendragon, 2014, Seiten: 648, Originalsprache
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Jörg Kijanski
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2014

Packende zeithistorische Bestandsaufnahme.

Mainz 1947. Kommissar Paul Koch hat zu einer Feier mit seinen Kollegen Maus und Richter sowie seinem Nachbarn Bresson geladen. Am nächsten Tag möchte er in das Haus seiner Freundin Dorle einziehen, doch ein Mordfall kommt dazwischen. In einem Steinbruch bei Bingen wurde ein Mann die Felswand hinunter gestoßen, sein Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt und seine Genitalien wurden entfernt. Zunächst kommen Koch und Maus nicht weiter, da sich die Identität des Opfers nicht feststellen lässt. Aber Koch plagen noch ganz andere Sorgen, denn plötzlich ist Dorle unauffindbar. Ihr Nachbar Neubert, ein alter Nazi, der Dorle schon früher belästigte, ist vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden und bedroht Dorle erneut. Diese flieht zu ihrer Freundin Franzi und bittet sie, Koch nichts zu sagen. Als wäre dies alles noch nicht schlimm genug, kommen Koch zudem Zweifel an der Arbeitsweise seines Freundes Reuber, der sich recht auffällig verhält. Schon gibt es die nächsten Toten...

Grandiose Fortsetzung von Unter Trümmern

Nach dem ersten Roman mit dem recht eigenwilligen Protagonisten Koch in Unter Trümmern blieben etliche Fragen offen, die im zweiten Teil Alte Feinde nun umfassend beantwortet werden. Nahezu alle bekannten Nebenfiguren spielen erneut mit, so auch Kochs Chef Arnheim.

 

"Koch, der Moralapostel. Das steckt tiefer als man denkt. Manche verrohen durch den Krieg völlig, andere entdecken da erst ihre moralische Seite. Sie gehören eindeutig zur zweiten Kategorie. Karriere werden Sie so nicht machen."

 

Arnheim kann mit dem übereifrigen und vor allem überkorrekten Koch nur wenig anfangen, schließlich sind Personal und verfügbare Mittel begrenzt. Nur ein Fahrzeug ist einsetzbar, das Benzin knapp und so muss sich Koch jede erforderliche Fahrt (nicht nur nach Bingen) förmlich erbetteln.

Einmal mehr gelingt es Jürgen Heimbach seine Leser packend in die Nachkriegszeit zu entführen. Lebensmittel und Brennmaterialien sind knapp, nicht wenige Menschen sind im Winter '46/'47 verhungert oder erfroren. Auch die in Schutt und Asche liegenden Städte und Orte werden spürbar und machen Geschichte erlebbar. "Geschichte zum Anfassen" könnte man sagen und selbst der Kriminalfall ist durchaus spannend, wenngleich die Untersuchungen lange Zeit kaum Fortschritte bringen. Dies ist den Umständen geschuldet, denn über verschiedene Besatzungszonen hinweg zu ermitteln ist alles andere als einfach. Telefone gibt es zwar, aber nur vereinzelt und auch die Hilfsbereitschaft der Menschen ist begrenzt; man hat seine eigenen Probleme.

Die große moralische Frage: Kann es eine Rechtfertigung für Selbstjustiz geben?

Neben einem spannenden Krimi und einem beeindruckenden zeithistorischen Roman ist Alte Feinde aber vor allem ein Werk, in dem es um die große moralisch-ethische Frage der Selbstjustiz geht. Angesichts der schweren Verstümmelungen des ersten Opfers liegt der Verdacht nahe, dass hier womöglich jemand einen alten Feind aus den Kriegsjahren wiedergesehen und Rache genommen hat.

 

"Ich könnte mir vorstellen, Koch, dass es DPs waren, die den Mann umgebracht und so zugerichtet haben. Rache. Man kennt diese Russen ja."
Koch wunderte sich, dass Arnheim die Verstümmelung des Körpers kalt zu lassen schien, zumindest wirkte das so.
"Entschuldigen Sie, Herr Arnheim", korrigierte er seinen Vorgesetzten. "Unter anderem haben auch ehemalige jüdische Gefangene  den Status von Displaced Persons..."
"Und wenn einer von denen einen ehemaligen Aufseher erkannt hat...", griff Arnheim diese Erklärung auf.
"Dann sollten wir uns davor hüten, dass man uns vorwirft, den Tod dieses Mannes nicht genauestens untersucht zu haben."

 

Aus Kochs Sicht ein Unding, man hätte einen möglichen Täter aus der Nazizeit ja anklagen können. Aber ist dies eine Option, wenn Polizei und Gerichte von genau denjenigen Personen besetzt sind, die in den dunklen Jahren zuvor schon aktiv waren? Die Freunde und Kollegen von Koch haben für derartige Rachegelüste durchaus Verständnis was Koch noch weiter in seine Gedanken stürzt. Wie einen Staat aufbauen ohne den Glauben an eine gerechte Justiz? Aber gibt es eine Gerechtigkeit nach den Schrecken des Krieges, der Diktatur und dem Holocaust? Heimbach stellt durch seinen Protagonisten tiefgehende Fragen, ohne dabei selbst moralisierend den Zeigefinger zu heben. Dabei erstreckt sich die weitere Themenpalette (u.a.) über die Rassenhygiene der Nazis, die Napola, die sogenannten Rheinland-Bastarde  bis hin zu den Nürnberger Ärzte-Prozessen 1947.

Alte Feinde ist ein rundum stimmiges und vielschichtiges Leseerlebnis, dass allen politisch und (zeit-)geschichtlich interessierten Krimifreunden besonders zu empfehlen ist. Gerne jederzeit mehr davon!

Alte Feinde

Jürgen Heimbach, Pendragon

Alte Feinde

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