Maigret und die Keller des Majestic
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: Januar 1962
- 7
- Paris: Gallimard, 1942, Titel: 'Les caves du Majestic', Originalsprache
- Köln; Berlin: Kiepenheuer & Witsch, 1962, Titel: 'Maigret im Luxushotel', Seiten: 158, Übersetzt: Hansjürgen Wille & Barbara Klau
- München: Heyne, 1972, Titel: 'Maigret im Luxushotel', Seiten: 126, Übersetzt: Hansjürgen Wille & Barbara Klau
- Zürich: Diogenes, 1982, Seiten: 197, Übersetzt: Linde Birk
- Zürich: Diogenes, 2008, Seiten: 4, Übersetzt: Friedhelm Ptok
Zurücklehnen und auf Maigret verlassen
Grandhotel "Majestic" an den Champs-Elysées, Paris. Der Chef der Kaffeeküche, Prosper Donge, findet am Morgen im Personalumkleideraum im Keller eine Leiche in einem Metallspind. Es handelt sich um Mrs. Clark, die Gattin des Oswald J. Clark, einem reichen Industriellen aus Detroit, USA.
Mr. Clark ist gemeinsam mit seiner Frau, seinem 7-jährigen Sohn, einer Kinderfrau und einer Lehrerin vor 8 Tagen im Hotel abgestiegen. Er befindet sich offiziell aus geschäftlichen Gründen in Europa und bereist von Paris aus mehrere große Städte, während die übrigen Angehörigen und das Personal in der Zwischenzeit im Hotel bleiben. Kommissar Maigret, der Chef der Sonderabteilung der Pariser Kriminalpolizei, tritt auf und übernimmt den Fall.
Zunächst stößt er auf einige Ungereimtheiten: Mrs. Clark war am Vorabend allein im Theater, bei ihrer Leiche fand man eine geladene Pistole, die Lehrerin hatte nicht im Hotel zu Abend gegessen und war über Nacht nicht zurückgekommen, und Mr. Clark, der an diesem Tag nach Rom fahren sollte, hat keinen der dorthin führenden Züge genommen.
Die Nachforschungen ergeben weitere verdächtige Fakten: Der im Hotel arbeitende Buchhalter Jean Ramuel und der Vortänzer der Hotelbar, Eusebio Fualdés, übernachten gelegentlich unerlaubterweise im Keller, letzterer trägt auch einen falschen Namen.
Schließlich arbeitete die Freundin von Prosper Donge, der die Leiche gefunden hat, früher als Tänzerin und Animierdame in einer Bar in Cannes, zu genau der Zeit, in der die Ermordete, Mrs. Clark, in ebendieser Bar unter ihrem früheren Namen Mimi gleichfalls Animierdame war.
Maigret begibt sich nach Cannes, um vor Ort Ermittlungen anzustellen, da erhält er die Nachricht, dass im Keller des "Majestic" wieder eine Leiche gefunden wurde, in einem Metallspind der Personalgarderobe...
Das ist wieder ein wunderbarer Maigret! Äußerlich leicht und zügig zu lesen, lässt er einen jedoch zu keiner Zeit los. Simenon baut die Spannung langsam, aber stetig auf und verleiht der Handlung immer wieder unerwartete Wendungen. Dabei bedient er sich oft folgender Methode: Maigret führt ein scheinbar belangloses Gespräch oder macht eine für den Leser harmlose Beobachtung, zieht jedoch daraus Schlüsse, die erst später an unerwarteter Stelle manche Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen.
Man kann sich entspannt zurücklehnen und auf Maigret verlassen, er macht instinktiv alles Richtig, es kann eigentlich nichts passieren, seine Ermittlungen gehen - wie bei Columbo - immer in die richtige Richtung.
Was Simenon meiner Meinung nach aber darüber hinaus auszeichnet, ist seine Fähigkeit, bestimmte Situationen so intensiv zu beschreiben, dass man sie fast wie Filmszenen vor Augen hat. Ein Beispiel dafür sind die Auftritte seiner Figuren:
Auftritt Maigret:
"Maigret wollte vor der Drehtür schon seine Pfeife am Absatz ausklopfen. Dann zuckte er mit den Achseln und steckte sie wieder zwischen die Zähne. Es war seine erste Morgenpfeife, die Beste."
Auftritt Lehrerin:
"Aber plötzlich krauste der Direktor die Stirn. Die Drehtür war in Schwung geraten, und eine junge Frau in grauem Kostüm trat ein, begleitet von einem Sonnenstrahl."
Manche Stellen zeigen auch feinen Humor, wie etwa die Szene, in der Maigret (der kein Wort Englisch spricht) und Mr. Clark (der kein Wort Französisch spricht) miteinander reden wollen.
Und schließlich ist da noch etwas, was mich persönlich sehr für den Autor einnimmt, nämlich seine Art, Stimmungen zu erzeugen, auf deren Hintergrund die Handlung abläuft; etwa die Szene in Cannes, wo Maigret am Tag des Blumencorso am Bahnhof von Blasmusik, blitzenden Instrumenten und farbigen Uniformen empfangen wird, und gegen Tagesende, vor seiner Heimfahrt, klingt das so:
"Er befand sich in einem kleinen Café am Bahnhof. Die Musiker der Blaskapellen hatten jetzt staubige Hosen. Sie fuhren waggonweise in die kleinen Nachbarorte zurück, und es lag Müdigkeit in der Luft wie am Ende eines schönen Sonntags."
Braucht man das alles eigentlich, um einen spannenden Kriminalroman zu schreiben? Natürlich nicht. Bei Simenon stehen diese Dinge nicht im Vordergrund, mancher liest wahrscheinlich darüber hinweg, ohne es zu bemerken. Seine Meisterschaft besteht in der richtigen Dosierung, er verwendet seine Fähigkeit, Atmosphäre zu erzeugen, wie die Obertöne in der Musik, wie das al dente in der italienischen Küche...
Georges Simenon, Kiepenheuer & Witsch
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