Intervention

  • Audio Verlag
  • Erschienen: Januar 2014
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  • London: HarperCollins, 2012, Titel: 'Pantheon', Seiten: 406, Originalsprache, Bemerkung: als Sam Bourne
  • Berlin: Audio Verlag, 2014, Seiten: 6, Übersetzt: Torben Kessler
Intervention
Intervention
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Michael Drewniok
55°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2014

Darwinismus kriminell: Der Rücksichtslose überlebt

James Zennor ist seit jeher ein Patriot mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn gewesen. Der Kampf gegen das aufstrebende Nazi-Deutschland ist ihm deshalb schon frühzeitig ein Bedürfnis. Als in Spanien 1936 der Bürgerkrieg ausbricht und der putschende Franco die Nazis zur Hilfe ruft, um die Anhänger der demokratisch gewählten Regierung niederzuwerfen, ist Zennor unter denen, die sich als Freiwillige an die Seite der spanischen Republikaner stellen.

In diesem Krieg lernt er immerhin Florence, seine spätere Frau kennen, die ebenfalls die Nazis verdammt. Während sie gesund heimkehrt, wird Zennor von einer Faschistenkugel getroffen. Er überlebt, doch die zerschossene Schulter bleibt verkrüppelt. Als 1939 der II. Weltkrieg ausbricht und die Nazi-Invasion Englands droht, muss Zennor als Zivilist und Dozent in der Universitätsstadt Oxford tatenlos zuschauen, denn als Soldat ist er untauglich und in der Etappe überflüssig.

Der verbitterte Zennor lässt seinen Zorn an Ehefrau und Sohn Harry aus. Eines Tages Anfang Juli 1940 sind beide verschwunden. Der verzweifelte James glaubt zunächst, Florence habe ihn verlassen. Seine Nachforschungen ergeben, dass sie mit dem Sohn das Land verlassen hat. Die Elite-Universität Yale hat die Angehörigen englischer Gelehrter in die kriegsfernen USA eingeladen, wo sie in Sicherheit sind.

Zennor gelingt es, ebenfalls über den Atlantik zu reisen. Doch in Yale will niemand wissen, wo Florence und Harry geblieben sind. Ein Dozent, der ihm endlich hilft, wird umgebracht. Die Polizei jagt Zennor als Hauptverdächtigen. Der kommt einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur: Das Yale-Programm ist nur Vorwand für ein Projekt, das rechtsgerichtete US-Eliten auf Kosten des kriegsbedrohten England verwirklichen wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ihnen jedes Mittel recht, wie Zennor bald am eigenen Leib spürt ...

Nicht nur die Nazis waren verblendet

Dass die Nationalsozialisten 1933 nicht aus heiterem sowie nur deutschem Himmel fielen, dürfte inzwischen auch den hartnäckigsten Ignoranten bewusst sein. Nur hierzulande verbanden sich allerdings politische, kulturelle und wissenschaftliche Strömungen, die durchaus europaweit und manchmal sogar global existierten, unter dem Eindruck des aktuellen Zeitgeschehens zu jener Ursuppe, aus der die ‚echten' Nazis schließlich krochen.

Als sie an die Macht gekommen bzw. diese "ergriffen" hatten, standen sie lange Zeit keineswegs isoliert da. Bis zum Ausbruch des II. Weltkriegs wurden sie im Ausland nicht nur von Spinnern, Wendehälsen und Mitläufern hofiert, sondern besaßen zahlreiche Fürsprecher dort, wo man sie nicht erwarten würde. "Pantheon" nannte Jonathan Freedland seinen Roman: In ihrer Ruhmeshalle thronen über dem gemeinen Pöbel jene, die als Lenker & Denker über die Geschicke der Menschheit entscheiden (wollen).

Freedland erläutert in einem (notwendig) ausführlichen Nachwort, wie "wissenschaftlich begründete" und damit "objektive" Fakten eine Menschenverachtung der besonders heimtückischen Art fundamentierten. Nicht verblendete Nazis vertraten sie, sondern Politiker, Gelehrte und Intellektuelle, die oft prominente Namen trugen (und später bestrebt waren, ihre entsprechenden Äußerungen unter jenen Teppich zu kehren, der sich über den vertuschten Fehlern und Dummheiten der Menschheitsgeschichte aufwölbt). Freedland nennt Namen: George Bernhard Shaw, Bertrand Russell, John Maynard Keynes ... Die Liste ist deprimierend lang.

Kluge und noch heute verehrte Männer (aber auch Frauen) nahmen sich am Schreibtisch das Recht heraus zu entscheiden, wie eine ideale Welt mit idealen Bürgern aussähe. Selbstverständlich schloss dies gleichzeitig die Abstempelung derer ein, die nicht für diese schöne, neue Welt geeignet waren. Je nach Herkunft und Mentalität der großen Entscheider waren diese untauglichen Fresser & Faulenzer körperlich oder geisteskrank, ungebildet, anpassungsunwillig, meist nicht weißhäutig und auch sonst der gesunden, klugen, schönen Restmenschheit ein Klotz am Bein.

Darwin ist (keineswegs) an allem schuld

Charles Darwin wäre entsetzt gewesen, hätte er erleben müssen, dass die von ihm entwickelte Evolutionslehre auf einen prägnanten, den Sinn der Sache entstellenden Satz heruntergebrochen wurde: Nur die Starken überleben! (Freedland greift einen traurigen Treppenwitz der Geschichte auf: Zu denen, die entsprechendes Gedankengut verbreiteten, gehörte der Ökonom und Eugeniker Leonard Darwin - Charles Darwins vierter Sohn!) Bis zur Auslegung, diese ‚Starken' könnten deshalb die "Schwachen" = Unbrauchbaren nicht nur ausgrenzen, sondern sie sogar austilgen, war es nur ein Schritt. Zumindest auf dem Papier und in freier Rede wurde er oft beherzt und unmissverständlich unternommen.

Wo Autor Jonathan Freedland diese düstere Episode der Zeitgeschichte als Anlass für seine Geschichte einsetzt, kann er den Leser berühren, d. h. gleichermaßen empören wie unterhalten. Freedland spitzt darüber hinaus reale Ereignisse zu, um sie dem Hintergrund anzupassen. So hat ein "Transfer" von Müttern und Kindern gelehrter Oxford-Dozenten in die kriegssicheren USA tatsächlich stattgefunden. Ob diese als globales Reservat für genetisch "wertvollen" Nachwuchs dienen sollten, ist allerdings zweifelhaft.

Nur zu wahr ist dagegen die "America-First!"-Mentalität, auf die Freedland James Zennor in den USA immer wieder treffen lässt. Dort vertrat man die Ansicht, dass die europäischen Mächte es dieses Mal unter sich ausfechten sollten. 1917 waren die USA in den I. Weltkrieg eingetreten und hatten einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Daran erinnerte sich eine kriegsmüde Mehrheit gut. Außerdem lag der Atlantische Ozean zwischen Amerika und dem von den Nazis bedrohten Europa.

Es dauerte letztlich bis Pearl Harbor im Dezember 1941, um diesen Irrglauben zu beenden und die USA zum Kriegseintritt zu bewegen. Zuvor hätte die Veröffentlichung von Briefen, aus denen hervorging, dass Präsident Roosevelt durchaus bereit war, die Briten zumindest durch Güter- und Waffenlieferung zu unterstützen, tatsächlich einen Skandal hervorgerufen.

Am Beispiel des Individuums

In dieses Panorama bettet Freedland die Geschichte eines Idealisten ein, dem einerseits übel mitgespielt wird, während er andererseits mit privaten Problemen zu kämpfen hat. Schon diese Konstellation weckt Misstrauen, das rasch bestätigt wird: Während das historische Umfeld überzeugt, bleiben die Figuren, die sich hier tummeln in ihrem Verhalten allzu bekannten Klischees verhaftet. Vor allem James Zennor ist kein Charakter, der den Leser für sich gewinnen kann: ein zum Krüppel geschossener Idealist, der von Albträumen und Flashbacks gebeutelt wird und trotzdem super-patriotisch zu den Waffen drängt, sobald sich Nazis am britischen Horizont zeigen.

Die eigene Familie wird plakativ vernachlässigt, was Florences Abgang ins Ausland verständlich wirken lässt. Doch Freedland schreckt vor Konsequenz zurück: Im Finale lässt er Florence allen Ernstes behaupten, sie habe in ihrem Exil sehnsüchtig auf Post vom daheimgelassenen Gatten gewartet sowie keine Ahnung von der wahren Natur der Mütter-&-Kinderlandverschickung gehabt! Freedland benötigt sichtlich vor allem ein Motiv, Zennor in die USA zu schicken.

Vielleicht war Florence aber wirklich arglos, denn faktisch scheint der von Freedland schief in die literarische Welt gesetzte Ober-Schurke selbst keine Ahnung zu haben, welche Verschwörung er in Gang gesetzt hat. Darüber hinaus gehen er und seine Spießgesellen - angeblich Mitglieder der intellektuellen Elite - so kreuzdämlich zu Werke, dass sogar ein denkbar ungeschickter Spitzel wie Zennor ihnen immer wieder Schnippchen schlagen sowie einen Mietkiller aus dem fahrenden Zug werfen kann.

Der Zwang zum Thriller

Ohnehin wirken solche und ähnliche Spannungsmomente (sowie eine peinliche Alibi-Beinahe-Love-Story) aufgesetzt. Freedland scheint sich eher einer lästigen Pflicht zu entledigen: Intervention wird als Thriller angeboten und sollte deshalb entsprechende Passagen bieten. Lieber wirbelt Freedland jedoch Belege für die Verworfenheit zeitgenössischer Eugeniker/Politiker/Journalisten etc. auf. Ständig verzettelt er sich nicht nur dabei. Unerhört aufwändig schildert er Zennors Vorgeschichte und setzt uns dabei über Dinge in Kenntnis, die für das spätere Geschehen ohne Belang sind. Wo beispielsweise Alfred Hitchcock uns einen überforderten aber in der Not einfallsreichen Jedermann präsentieren konnte, gibt uns Freedland nur einen vom Zufall begünstigten Langeweiler.

In England erzählt Freedland an sich interessant von einer Gesellschaft am Vorabend der drohenden Invasion, kommt aber auch hier vom Hundertsten ins Tausendste und produziert einmal mehr Pseudo-Literatur, wie sie der einschlägig geprägte Kritiker liebt, während sie der Leser instinktiv richtig einschätzt: als gepflegte Langeweile.

Die wenigen Action-Elemente sind peinlich, weil ohne Originalität, Überzeugungskraft oder gar Timing. Einem müden Finale wird ein Last-Minute-Twist angeklebt, für den sich der Leser fremdschämt, obwohl dies dem Autor besser zu Gesicht stünde. Plötzlich löst sich alles in Wohlgefallen auf. Ausgerechnet die taube Nuss James Zennor jagt nicht nur die amoklaufenden Eugeniker diesseits und jenseits des Atlantiks zurück in ihre Löcher, sondern sorgt auch dafür, dass Präsident Roosevelt die USA in den Krieg eintreten lassen kann. Auf eine Belohnung verzichtet Zennor großzügig; daheim wird man ihm nun sicher eine kriegswichtige Position andienen - und siehe! Nachdem Florence zuvor um die halbe Welt gen Frieden und Sicherheit geflüchtet ist, kehrt sie jetzt mit Harry und James zurück nach England, um sich den Nazis an der Heimatfront zu stellen, wie es sich für eine gute Bürgerin, Ehefrau und Mutter ziemt!

Solchen Schmalz vermag uns Freedland auch nicht mit schönen Worten verdaulich zu machen. Manchmal ist der Inhalt einprägsamer als die Form; dies gilt besonders, wenn zwischen beiden eine unübersehbare Lücke klafft.

Intervention

Sam Bourne, Audio Verlag

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