LeVine & Humphrey Bogart
- Ullstein
- Erschienen: Januar 1985
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- New York: Holt, Rinehart and Winston, 1975, Titel: 'Hollywood and LeVine', Seiten: 216, Originalsprache
- Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1985, Seiten: 221, Übersetzt: Jürgen Bürger
Nur ein toter Roter ist ein guter Roter
Der II. Weltkrieg ist vorüber, aber die Geschäfte gehen für Jack LeVine, Privatdetektiv in New York, 1947 schlechter denn je. Da trifft es sich gut, dass ein alter Freund und Studienkollege ihn anheuern möchte. Walter Adrian lebt und arbeitet eigentlich in Hollywood, wo er es als Drehbuchautor zu Ruhm und Geld gebracht hat. Aber Unheimliches geht seit einiger Zeit hinter den Kulissen der großen Studios vor. Adrian wird geschnitten, seine Karriere ist beschädigt. Gründe werden nicht genannt, aber der Autor ahnt etwas: Er hat sich stets öffentlich gegen Armut und Korruption sowie für mehr Gleichheit ausgesprochen und sogar mit dem Sozialismus geliebäugelt.
Das taten nicht nur in Hollywood viele Männer und Frauen. Die USA und die Sowjetunion waren im Krieg Verbündete. Doch seit Stalin als ernsthafter Konkurrent in der Weltpolitik auftritt, gilt die UdSSR als Reich des Bösen, Nun planen rechte Kreise den großen Schlag und wollen unter dem Vorwand des Kampfes gegen die ´roten' Elemente ihres Heimatlandes auch unliebsame Konkurrenten im Kampf um Macht und Geld kaltstellen. In dem jungen, ehrgeizigen und skrupellosen Kongressmann Richard M. Nixon finden sie den idealen Inquisitor für ihren verbrecherischen Plan.
Ein "Komitee gegen unamerikanische Umtriebe" wird geplant, und Walter Adrian steht auf dessen Liste. LeVine kommt zu spät nach Hollywood: In der Westernstadt der Warner-Studios findet er den Freund an einem Wildwest-Galgen baumelnd. Selbstmord, verkündet die Polizei, die als Instrument des "Komitees" agiert. Mord, weiß LeVine, der Gerechtigkeit fordert, wie es seine Art ist. Das bringt ihn in Lebensgefahr, denn dieses Mal legt er sich mit Gegnern an, die das Gesetz auf ihrer Seite haben und sich nicht scheuen, es zwecks Einschüchterung und Mord zu beugen. Aber es gibt auch Verbündete, sodass sich LeVine während einer rasanten Verfolgungsjagd an der Seite des Filmstars Humphrey Bogart wieder findet ...
Ein ganz düsteres Kapitel
Politische Brisanz, realistische Gesellschaftskritik & Unterhaltung mit Köpfchen, dargeboten als stimmige, spannende, nachdenklich machende Mischung: Wir lesen offenkundig einen US-amerikanischen Kriminalroman aus den 1970er Jahren, als diese Elemente einander nicht ausschlossen, sondern harmonierten. "New Hollywood" nannte man dieses Phänomen in der Filmstadt, die in einer kaum zehn Jahre währenden Glanzphase Meisterwerke wie "Bonnie & Clyde" (1967), "French Connection" (1971), "Chinatown" (1974) oder "Taxi Driver" (1976) zustande brachte.
LeVine & Humphrey Bogart ist ein Werk, das sich romanhaft mit einem düsteren Kapitel der modernen US-amerikanischen Geschichte beschäftigt: den Hexenjagden des Senators McCarthy und seines "House Committee on Unamerican Activities" (HUAC), vor das in den 1950er Jahren gezielt prominente Schauspieler, Autoren, Sänger u. a. Künstler geladen wurden, wo sie sich zu möglicherweise ungesetzlichen Aktivitäten äußern mussten. Befand sie dieses Tribunal – das selbstverständlich selbst definierte, was "unamerikanisch" bedeutete – "kommunistischer Umtriebe" für schuldig, wurden sie bestraft und fanden sich vor allem auf einer Schwarzen Liste. Das bedeutete praktisch Berufsverbot, denn die großen Filmstudios in Hollywood aber auch Radiostationen, Theater und sogar Nachtclubs im ganzen Land schlugen sich, um ihre Pfründen bangend, auf die Seite der Hexenjäger.
Unschuldige Männer und Frauen standen vor dem Nichts, gerieten in Not, begingen verzweifelt Selbstmord. ´Verräter', die vor dem HUAC-Druck kapitulierten und ´Genossen' denunzierten, entgingen dem Ruin, aber sie wurden von Kollegen und Freunden geächtet. Wer sich dem Terror widersetzte oder ihn anprangerte, geriet sofort selbst in die HUAC-Mühlen: Das ist die totalitäre Parallelwelt, deren Entstehung LeVine in erster Reihe miterleben darf.
Spannung und Brisanz
Andrew Bergmann nennt die Dinge beim Namen. Das ist längst nicht so selbstverständlich wie es uns heute vorkommt, denn 1975 waren prominente Befürworter der Hexenjagd noch am Leben oder nahmen sogar bedeutende Ämter ein. Bisher hatten sie sich ihrer historischen Verantwortung entziehen können. LeVine & Humphrey Bogart markiert den Zeitpunkt, an dem sich dies zu ändern begann.
Dieser Roman demonstriert weiterhin, dass sich Anspruch und Unterhaltung in der Tat keineswegs ausschließen müssen. War The Big Kiss-Off of 1944 (1974, dt. LeVine), die erste LeVine-Geschichte, bei aller ebenfalls geäußerten Kritik an Korruption und Hurrapatriotismus vor allem eine glänzende Rekonstruktion der unmittelbaren Nachkriegszeit als Detektivstory, ist Bergman mit LeVine & Humphrey Bogart eindeutig ehrgeiziger bzw. politischer.
Düster wird der Weg in den McCarthy-Terror geschildert. Für Bergman ist bereits seine Entstehung ein Verbrechen, das vor allem deshalb inszeniert wurde, um die politischen Gegner der amerikanischen Rechten aus dem Weg zu räumen. Folglich treten deren Repräsentanten wie Gangster heimlich, bedrohlich, verschwörerisch in abbruchreifen Häusern und an anderen wenig Vertrauen erweckenden Orten auf, wird ihr Wirken als Komplott gegen Gesetz und Moral identifiziert.
Den Fall mag LeVine vielleicht lösen, aber der Gerechtigkeit wird er nicht zum Sieg verhelfen können. Beklemmend zeigt uns Bergman die Mechanismen, die dem HUAC seinen Weg ebnen. Es gibt für jene, die sich ihm in den Weg stellen, keine Warnung, keinen Schutz. So verbietet sich das obligatorische Happy-End; die Drahtzieher werden ihr übles Spiel fortsetzen, und LeVine weiß dies auch.
Detektiv am Scheideweg
Jack LeVine ist immer noch ganz genretypisch der desillusionierte aber insgeheim idealistische und grundehrliche Privatdetektiv alter Schule. Seine aktuellen Erlebnisse sind die ideale Voraussetzung dafür zum Zyniker zu werden, denn diese Dimension des legalisierten Verbrechens ist ihm bisher unbekannt gewesen.
Zudem bewegt sich LeVine abseits seines Territoriums. New York kennt er, Los Angeles nicht. Das scheinbar auf sich selbst konzentrierte, um das Filmbusiness kreisende, die Medienpräsenz beschwörende Universum von Hollywood ist tatsächlich vielschichtiger als gedacht. Auch im oberflächlichen Tinseltown leben Menschen mit politischem Idealismus – oder Ambitionen.
Hier toben Machtkämpfe ganz eigener Art, in die sich LeVine vorsichtig aber unverdrossen stürzt. Normalerweise würde er gut damit fahren: Das Verbrechen ruht quasi überall auf der Welt auf gewissen Grundkonstanten, die ein erfahrener Kriminalist zu deuten weiß. Doch hier stößt LeVine an seine Grenzen. Seine unsichtbaren, schwer oder gar nicht fassbaren Gegner werden personifiziert durch den Kongressmann Richard Nixon. Das ist keine fiktive Gestalt, wie wir (hoffentlich) wissen, sondern ein historischer Prominenter ganz besonderen Kalibers: ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der aus dem Amt gejagt wurde, weil er seine Gegner bespitzeln (und sich erwischen) ließ – und das war nur eines von zahlreichen Vergehen.
Realer Schurke im Krimi-Einsatz
Als Bergman LeVine & Humphrey Bogart 1975 schrieb, war Watergate noch eine sehr aktuelle Affäre. Nixon hatte andere Sorgen, als gegen sein Porträt als skrupelloser Aufsteiger, der um jeden Preis nach oben will, zu protestieren. Zu diesem Zeitpunkt symbolisierte er den moralischen Bankrott der politischen Rechten. Wieso dies so ist und so kommen musste, versucht Bergman auf seine Weise zu illustrieren. Der junge Nixon ist bei ihm kein simpler Nachwuchsstrolch, sondern wirkt eher schizophren als ehrgeiziger Eiferer, der selbst an die hohlen Phrasen zu glauben scheint, die er in endlosen Serien hervorstößt. Bergman gelingt ein erschreckend überzeugendes Portrait.
Ebenso eindringlich ist seine Darstellung der Opfer. Nicht Solidarität bestimmt die Situation. Statt sich zusammenzutun, versuchen die ins Visier der Inquisitoren geratenen Filmleute vor allem die eigene Haut zu retten – und sei es auf Kosten der Leidensgenossen. Das macht es ihren Gegnern doppelt leicht. Indem sie die eingeschüchterten Männer und Frau gegeneinander ausspielen, können sie im Hintergrund bleiben und die besorgten Moralisten mimen. Während sie sich wie Vieh treiben lassen, fügen sich die Verfolgten selbst einander die schlimmsten Wunden zu: Sie verraten einander und werden das niemals vergessen oder vergeben.
Dies alles breitet Andrew Bergman auf nur 220 Seiten und dadurch ebenso dicht wie intensiv aus. Hier ist kein Raum für jenes ablenkende Geschwätz, das heute zu viele Kriminalromane in ziegelsteindicke Seifenopern verwandelt. Bergman bleibt gnadenlos auf dem Punkt und nimmt seine Leser auf eine nur allzu reale Höllenfahrt in die Vergangenheit mit.
Andrew Bergman, Ullstein
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