In Almas Augen
- Liebeskind
- Erschienen: Januar 2014
- 1
- New York: Little, Brown and Co., 2013, Titel: 'The Maid’s Version', Seiten: 164, Originalsprache
- München: Liebeskind, 2014, Seiten: 192, Übersetzt: Peter Torberg
Alleine gegen die Biederen und die Brandstifter
In Almas Augen erzählt von den Auswirkungen einer Feuersbrunst
in der Arbor Dance Hall […] bei der 1929 zweiundvierzig Tanzende aus diesem kleinen Nest in den Ozarks von Missouri ums Leben kamen.
Eigentlich beginnt der Roman im Jahr 1965, wandert zurück bis zum Enden des neunzehnten Jahrhunderts springt bis 1989, um schließlich sechzig Jahre vorher zu enden.
Dabei nähert sich Woodrell dem Feuer aus verschiedenen Perspektiven, erzählt die Geschichten einiger Opfer, gruppiert sie um das Feuer, und noch mehr um Alma Dunahew, deren lebenslustige Schwester Ruby verbrannte, und die anscheinend als einzige daran interessiert ist, den Verantwortlichen des Brandes zu finden. Was sie in die gesellschaftliche Isolation führt, als Hausangestellte und Ernährerin ihrer Familie auch ein finanzielles Desaster, später wird sie für verrückt erklärt und ins Hospital abgeschoben, bevor sie die letzten Jahre ihres Lebens in Freiheit verbringen darf.
Der armen Familie Dunahew steht die Sippe des reichen Arthur Glencross gegenüber, bei dem Alma angestellt ist, und der nach ihrer Abschiebung in die geschlossene Abteilung, nicht nur zum Gönner Arbors wird, sondern auch die verbliebenen Dunahews zurückhaltend unterstützt.
Im letzten Kapitel erst widmet sich Woodrell der Verkettung der unglücklichen Umstände, die zum tödlichen Brand führten. Alma ahnt sie zumindest, doch Gewissheit wird sie nie erlangen. Niemand wird genau erfahren, was wirklich geschehen ist, in jener Nacht des Jahres 1929. Nur der Leser…
In Almas Augen ist Familiensaga (auf knappen 188 Seiten!), berichtet vom schwierigen Kampf um die Wahrheit, gerade angesichts des Ungleichgewichts von Reich und Arm, das die Gesellschaft in den Ozarks prägt. Alma hat von Beginn an keine Chance, weil sie sich mit ihren Nachforschungen und Anschuldigungen gegen ein System auflehnt, das gemeinschaftsprägend ist, und dessen Funktionalität augenscheinlich den Tod von zweiundvierzig Menschen zur missliebigen Begleiterscheinung werden lässt.
Davon erzählt Woodrell knapp, schlaglichtartig, lässt dem Leser viel Raum seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Der Autor zieht sich weit hinter seine Figuren zurück, er verurteilt nicht, sondern versucht sich gekonnt an einer beinahe dokumentarischen Erzählweise, die ethische und moralische Beurteilungen den außenstehenden Betrachtern überlässt. Das führt zu einer episodischen Struktur, die sich einer stringenten Spannungsdramaturgie konsequent verweigert. Deren einzelne Facetten aber hochspannend sind und deren Einzelheiten und Miniaturen sich zu einem großen Bild zusammenfügen, einem wahrhaften Jahrhundertroman, der aus einer Sammlung kleiner Zoetrope einen großen Lesefilmpalast macht.
Daniel Woodrell, Liebeskind
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