Die Norwegische Küste
- CreateSpace Independent Publishing Platform
- Erschienen: Januar 2013
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- -: CreateSpace Independent Publishing Platform, 2013, Seiten: 252, Originalsprache
Manchmal sieht man's, manchmal nicht
Kommissar Doreich macht Urlaub. Drei Wochen in Avignon und Umgebung. So erzählt er es seinen Kollegen. Realiter pendelt er zwischen seiner Wohnung und einer nahe gelegenen Ferienhütte hin und her. Das kleine Häuschen gehört dem ´Graf´, den der Kommissar kaum mehr als flüchtig kennt. Trotzdem kommt er der Bezeichnung ´Freund´ wohl am nächsten.
Am liebsten würde Doreich auf die viele Freizeit verzichten. Nicht, weil er ein unermüdliches Arbeitstier wäre, sondern weil kaum etwas außerhalb seiner Arbeitswelt existiert, was seinem Tagesablauf, seinem Leben Form und Inhalt gibt. Gut, Essen vielleicht, das breiten Raum einnimmt in Dieter Paul Rudolphs Roman. Daneben bleiben dem Kommissar viele Stunden, Tage, Nächte, seinen Gedanken nachzuhängen, alte Fälle zu reflektieren. Er sehnt sich nach der Lehrerin, die eine Etage über ihm wohnt, liest Zeitung und erträumt sich einen aktuellen Fall, dem er sich widmen kann.
Der Unternehmer Winterscheid ist entführt worden, und es dauert nicht lange, bis Doreich vermutet, dass der Mann in dem Haus direkt neben seinem Feriendomizil gefangen gehalten wird. Der Kommissar vermutet ein internes Firmenkomplott, gemischt mit unglückseligen Liebeshändeln; er beobachtet, verfolgt Spuren und zieht seine Schlüsse daraus. Gleichzeitig gehen seltsame, rabiate Dinge in der Wohnung der Lehrerin vor. Doreich beobachtet, verfolgt Spuren und zieht seine Schlüsse daraus. Doch handeln wird er nicht. Erst als sich der Urlaub seinem Ende zuneigt, wird er agieren. Einen Telefonanruf tätigen.
Einundzwanzig Tage Urlaub ergeben genau so viele Kapitel. Klar und eindeutig wird so ein Werk strukturiert, das sich jeder Klarheit und Eindeutigkeit mäandernd entzieht. Bis zum Ende herrscht eine fast surrealistische Ambivalenz vor, in der Doreichs Gedankengänge als Teil der Realität möglich erscheinen, vieles bleibt aber zweifelhaft oder möglicherweise bloß der überbordenden Phantasie des Kommissars entsprungen. Verifizierbar sind nur historische Ereignisse, wie Shackletons Endurance-Expedition oder jene Vielzahl von Teigwaren, die akribisch benannt werden. An entscheidenden Stellen entlarvt Rudolph seinen Protagonisten als jemand, der zwar genau beobachtet, aber nicht in der Lage ist, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Zumindest nicht, bevor es zu spät ist.
So taumelt Hannes Doreich durch sein Leben wie David Hemmings durch "Blow Up". Er ist geplagt von der Ahnung, ein Verbrechen wahrgenommen zu haben, aber nicht in der Lage, es aufzuklären bzw. zu belegen, dass überhaupt etwas geschehen ist. Wie der "Emily"-Fall, der für schlaflose Nächte sorgt, den Doreich sich in immer neuen Facetten ausmalt, ohne den Schuldigen am Tod des Teenagers je überführen zu können.
Die norwegische Küste ist ein Diskurs über Einsamkeit, das Verlorensein und die verlockende Möglichkeit, dem mit Phantasie, erlerntem Wissen und Deduktion begegnen zu können. Scheitern vorprogrammiert? Dieter Paul Rudolph verurteilt nicht, behält den Kommissar von der traurigen Gestalt, der knapp jenseits der Fünfzig wie ein Mann am Lebensende wirkt, ohne Larmoyanz im Blick. Der Ton bleibt trocken, scheinbar kühl und beschreibt einen Menschen kurz vorm Zerschmelzen. Ein Voyeur an der norwegischen Küste, here, there and everywhere, der sich wünscht am Leben teilzuhaben.
PS.: Wen die Frage nach DEM Täter umtreibt, wer Action und stringente Spannungssteigerung bei einer atemlosen Hatz durch den Handlungsverlauf braucht, wie ein Fisch sein Fahrrad, der sollte einen weiten Bogen um die norwegische Küste machen. Und obwohl es einige explizite Darstellungen der Auswirkung von Gewalt gibt, ist auch für die Liebhaber von Eingeweidemantscherei die Küste eher Wüste.
Wer bereit ist, eifrig anderen Plänen zu folgen, während das Leben passiert, darf gerne buchen. Auch auf die Gefahr hin, dass das Fazit, "man hofft bis zuletzt, dass die Geschichte einmal beginnt. Tut sie aber nicht...", lautet. Bleibt die Frage offen: Wie kann beginnen, was nicht exisitiert?
Dieter Paul Rudolph, CreateSpace Independent Publishing Platform
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