Samariter

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2015
  • 15
  • Berlin: Argon, 2015, Seiten: 6, Übersetzt: Andrea Sawatzki
Samariter
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Sabine Bongenberg
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2013

Frau Hoffman, ich glaube, Sie haben den Thriller vergessen...

Zur Thematik der unterlassenen Hilfeleistung führt das Strafgesetzbuch aus: Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Nach diesem Paragraphen wäre die Heldin Faith Saunders des neuen Buches von Jilliane Hoffman eigentlich fein raus, denn als sie sich in einer stürmischen regnerischen Nacht mit einer jungen Frau konfrontiert sieht, die an die Scheibe ihres Fensters pocht und um Hilfe bittet, ist mehr als fraglich, ob sie helfen könnte ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Denn in einer gottverlassenen Gegend öffnet vermutlich niemand so einfach die sichere Autotür, insbesondere dann nicht, wenn seine vierjährige Erstgeborene auf dem Rücksitz schlummert und bestimmt dann absolut nicht, wenn sich zu der Hilfesuchenden noch zwei finstere Gestalten gesellen. Faith Saunders fährt also mit schlechtem Gewissen weiter und begreift erst wesentlich später, dass sie Zeugin einer Entführung wurde, dem ein Mord folgte und diese Tat nicht auf einer spontanen Entscheidung oder einem Einzelfall beruhte, sondern Element einer ganzen Serie ist.

Grundsätzlich könnte dieser Plot den Stoff für einen spannenden Thriller bilden, wenn auch sicherlich nicht viel Neues geboten würde. Der Einstieg ist damit auch vielversprechend mit einer haarsträubenden Schilderung der verzweifelten Flucht des Opfers, dem nervenaufreibenden "Katz-und-Maus-Spiel" mit den späteren Tätern und der packenden Schilderung der einzigen Zeugin, die zwischen Selbstschutz und dem Willen zu helfen hin und her gerissen wird. Aber das war es dann auch schon fast, was hier zur Thematik des "Thrillers" beigesteuert wird. Hoffman verliert sich im weiteren Verlauf des Buches in der Fallstudie ihrer Heldin Faith, die unaufhaltsam in die Alkoholsucht abdriftet. Sicher – in ihrem Leben mag einiges schief laufen: Ihre Ehe ist nach einem Seitensprung ihres Mannes ziemlich lädiert und auch die Tochter Maggie bietet einigen Anlass zur Sorge und zur weiteren Selbstzerfleischung, weist sie doch starke Hinweise auf Fetale Alkoholeffekte auf, die möglicherweise auf Faith's Alkoholgenuss während der Schwangerschaft zurückzuführen sind. Die Protagonistin reibt sich zwischen diesen Fronten und den zusätzlichen Anforderungen des Alltags auf und wird immer weiter in die Demontage ihres bisherigen Lebens gedrängt. Im Großen und Ganzen ist diese Analyse der Heldin nicht einmal unspannend geschildert – aber: Wenn aber ein Roman unter der Bezeichnung "Thriller" beworben wird, mögen solche Informationen sicherlich zur Bildung eines Spannungsbogens beitragen, dennoch ist es ein Etikettenschwindel wenn hauptsächlich eine Suchterkrankung oder ein sozialer Abstieg thematisiert wird.

Die eigentliche Mordserie bietet daher auch nur einen Nebenschauplatz, denn nachdem der vermeintliche Täter relativ zügig ermittelt wurde, beschränkt sich auch hier die Handlung auf die Verfahren nach dem amerikanischen Rechtssystem. Hier ist es eine gängige Methode die Glaubwürdigkeit von Zeugen möglichst massiv und nachhaltig zu erschüttern und so bildet dieser Konflikt neben der Schilderung der Alkoholsucht die zweite tragende Säule des Romans. Die eigentlichen Ermittlungen werden auch schon fast lieblos abgehandelt: Der Ort der Verbrechen wird zufällig gefunden, Verwicklungen bleiben aus und so wird auch hier eine weitere Chance auf mögliche Spannung verschenkt.

Nicht gerade spannungsfördernd sind auch die Fragen, die die medizinischen Argumentationen in diesem Buch aufweisen. Schafft es eine Frau, die von einem Pkw erfasst wurde und sich dabei unter anderem einen Oberschenkelhalsbruch zuzog, sich wieder aufzurappeln und ihre Flucht fortzusetzen und anschließend lediglich ein bisschen zerzaust zu wirken? Merkt eine Frau tatsächlich erst nach dem Ausbleiben der Regel, dass sie möglicherweise schwanger ist und schleppt bis dahin über vier Monate schwangerschaftsbedingte Begleiterscheinungen – die vermutlich auch aufgetreten sind – mit sich herum, ohne auch nur einmal nach der Ursache zu forschen? Auch hier musste der Eindruck entstehen, dass Hoffman die Begleitumstände passend hobelte, damit sich die Geschichte zusammenfügte.

Erst am Schluss offenbart sich, wo Jilliane Hoffman vermutlich die ganze Zeit hinsteuerte: Neue Ermittlungen zu weiteren Todesfällen sollen in die kundigen Hände von Staatsanwältin C.J. Townsend gelegt werden, die vielen Lesern aus den tatsächlich spannenden früheren Thrillern Morpheus und Cupido bekannt ist. Im letzten Kapitel lässt sich dann ein spannender neuer Thriller erahnen, dessen Bühne bereitet wird. Aber hier sei auch die Frage gestattet, wieso für diesen Stoff tatsächlich eine Einleitung von 477 Seiten notwendig war.

Samariter

Jilliane Hoffman, Argon

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